Korruption, Geldberge und Vitamin B – das sind die Assoziationen vieler Menschen beim Wort Lobbyismus. Auf einem Event, offen für Besucher*innen, will Jan Mücke als Tabak-Lobbyist ein positives Bild seiner Arbeit vermitteln. Mit wenig Erfolg.
An einem Dezemberabend in Berlin tummeln sich ein paar Menschen in der „Kiezspinne“, einem lokalen Veranstaltungsort in Berlin-Lichtenberg. Sie warten auf ein Seminar und auf den angekündigten Gast. Denn der ist niemand geringeres als der ehemalige FDP-Abgeordnete des Bundestags und Geschäftsführer eines Tabak-Lobby Vereins, Jan Mücke. Als sich der Raum füllt und die Tür schließlich zu ist, betritt er das Podium, eine kleine Bühne, und stellt sich vor.
Er stellt sich tatsächlich ziemlich lang vor, über eine halbe Stunde dauert das, und er redet viel von Transparenz und den vermeintlichen Mehrwert seiner Arbeit: Expertise und Beratung für Politiker*innen. Kritisches Murmeln aus dem Publikumsraum. Mücke tut viel, um sich als transparenter Volksmann zu inszenieren. Er kommt aus Radebeul, dem Rande von Dresden und ihm ist vor allem hier bei einem Ostberliner-Publikum wichtig, seine „Ost-Herkunft“ auch zu thematisieren. Er verwendet vereinzelt DDR-Slang, um dann mit einer Handbewegung zu sagen, das hätte man ja nur im Osten so gesagt und zu fragen, wer alles wisse, was das Wort bedeutet. Es ist eine kleine Show für die, denen er als Gleichgesinnter erscheinen will. Mücke zeigt diverse Produkte, für die er lobbyiert und redet ausschweifend über die Relevanz von SNUS-Pflastern, die er in Deutschland gern nach schwedischem Vorbild legalisiert hätte.
Kontakte als Kapital
Auch wenn der Zweifel im Publikum weit gesät bleibt, schafft Mücke es im Laufe der Veranstaltung, durch Rhetorik und geschickt eingefädelte Anekdoten nahbar und sympathisch zu wirken. Eine gefährliche Show, wenn man bedenkt, dass eben diese Sympathie Teil der Überzeugungskraft von Lobbyarbeit ist und Mücke das nicht umsonst macht. Er hat neun Mitarbeiter und dreieinhalb Millionen Euro jedes Jahr von Konzernen zur Verfügung. Das im Hinterkopf zu behalten ist essentiell, wenn man ehrlich über Lobbyarbeit reden will. Denn Mücke stellt sich als den Freiwilligen dar, der sich aus Überzeugung für die umstrittene Rolle opfert und für den die finanziellen Anreize keinen Ausschlag geben.
Er hätte als selbstständiger Immobilienverwalter und ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung nach seiner Amtszeit diverse Angebote unterbreitet bekommen, in diesem Sektor zu lobbyieren, so Mücke. „Aber weil die sich dann alle darauf gestürzt hätten“, meint er, hätte er das eben nicht getan. Es ist ein offenes Geheimnis, dass ehemals hochrangige Politiker*innen gern in der Wirtschaft angeworben werden. Ihre Kontakte sind ihr größtes Kapital und von unschätzbarem Wert für Unternehmen. Politiker*innen und Vitamin B können den Ausschlag geben, welche Firma einen Millionenauftrag bekommt oder welche Produkte wie besteuert werden. Jan Mücke ist in seiner Position dafür da, den besten Deal für seine Auftraggeber zu erreichen. Das merkt man an der Ambivalenz, mit der er argumentiert und auf Fragen eingeht.
Evidenz ist, was du draus machst
Von sich aus nennt Mücke die Verbannung von Zigaretten und Co. aus Restaurants und öffentlichen Innenräumen „Ausgrenzung“ und bekundet Empörung darüber, dass man ja nur noch ganz eingeschränkt rauchen dürfe. Gleichzeitig sagt er, die Minderheit der Rauchenden sei süchtig. Als Beispiel nennt er sich und erzählt, er würde eben gern in guter Gesellschaft die Zeit noch ein wenig durch eine Genusszigarette aufwerten. Aber wenn es denn nur die Genusszigarette ist, dann müssten doch partielle Einschränkungen niemanden stören, oder? Auf der Straße ist es jedem gestattet, sein Feuerzeug zu zücken und es gibt bei weitem genug Biergärten, in denen man selbst als Passivraucher eine ordentliche Menge Qualm abbekommt.
Die erste kritische Nachfrage diesbezüglich wird von Mücke mit einer Aussage weggewischt, die an diesem Abend sein Totschlagargument sein wird. Jan Mücke bekundet, eine Studie hätte gezeigt, dass Zigarettenrauch nach zwei Metern Abstand nicht mehr bemerkt würde und sich verflüchtige. Diese Aussage kann nicht verifiziert werden, da die Studie auch nach intensiver Recherche nicht gefunden wurde. Als zwei Männer aus dem Publikum widersprechen und sagen, sie würden beim Joggen durch den Wald einen Raucher noch viel länger riechen, auch dann noch, wenn sie ihn nicht mehr sähen, beharrt Mücke auf seiner einen Studie und sagt, dass sei wissenschaftlich anders bewiesen. Trotzdem ist die von ihm erwähnte Studie nirgends auf seine Webseite oder anderswo zu finden. Er selbst nutzt anekdotische Beispiele außerdem gern. Die Regelung, nicht in einem Auto mit Kindern zu rauchen, fände er absurd, „weil dass doch keiner macht“.
Generell sei er dafür, jeden anzuzeigen, der oder die verbotenerweise Tabakprodukte oder ähnliches an Jugendliche und Kinder vertreibt. Die bei Schüler*innen so beliebten Vapes und Einwegzigaretten bewirbt er dennoch. Als weniger gesundheitsschädlich gelten sie zwar, dennoch keinesfalls als ungefährlich. Mücke lobt die Vapes als innovative Technologie. Den oft genannten vermeintlichen Vorteil, man könne damit aus dem Tabakkonsum aussteigen, lässt Mücke aus. Das würde sich auch nur bedingt lohnen, da er keineswegs eines seiner vertretenen Mündel gegen ein anderes ausspielen will.
Dem Vorwurf, Einweg-Vapes seien nicht nur umweltschädlich, sondern auch eine Ein- statt Ausstiegsdroge für Jugendliche und junge Erwachsene, entgegnet Mücke, da müsse man „mehr aufpassen“ und „Kiosks“ nach Verkauf an Kinder zur Rechenschaft ziehen. Dass gerade Verbote nicht Konsum verhindern, führt er an anderer Stelle allerdings selbst an.
Rauchen, aber zu welchem Preis?
Ein Zuhörer meldet sich mit der Frage, ob die von Mücke als essentiell für die deutsche Wirtschaft dargestellten Steuern durch Tabak und co. nicht lediglich die Gesundheitsschäden für Krankenkassen abdecken würden. Er stellt die Frage nach dem Elefanten im Raum: Wären andere besteuerte Wirtschaftszweige und Produkte nicht ausnahmslos lukrativer im Gesamten für unseren Staat? Denn wenn die Körper der Konsument*innen nicht darunter leiden und bei Krankenkassen keine Zusatzleistungen durch ein Produkt anfallen, ist das durch Steuern verdiente Geld ein wirklicher Zugewinn, der eben nicht an anderer Stelle indirekt kostet. Auf den, wenn auch teils nur indirekten Vorwurf, seine Anliegen würden das Wohl der Menschen verkaufen, reagiert Mücke im FDP-Jargon.
Die Freiheit als höchstes Gut preist er an und bemängelt fehlendes Verständnis. Er spricht von Bevormundung und sagt, die Nichtraucher*innen hätten eine Feindseligkeit entwickelt und würden immer weiteres verlangen, bis das Rauchen ganz verboten sei. Die Initiative „Berlin Rauchfrei“ beispielsweise habe sich das auch offen auf die Fahnen geschrieben. Mücke skandalisiert diese angestrebte Freiheitseinschränkung als unerhörte Anmaßung und kritisiert die seiner Meinung nach fehlende Transparenz der Anti-Rauchen-Vereine in ihren Treffen, die sich nicht für ihn oder andere Mitarbeiter der Tabak-Lobby öffnen wollen. Er betont, seine „Seite“ würde da viel offener mit der Gegenseite umgehen und diese einladen, an Konferenzen teilzunehmen oder Fragen zu stellen.
Mücke rühmt sich damit, auf der eigenen Website nachlesbar zu protokollieren, mit wem er sich trifft. Dabei ist dieses Verhalten mindestens Allgemeinkonsens und Abgeordnete sind gesetzlich dazu verpflichtet, Interessenvertreter*innen in ihren Registern bei Treffen aufzuführen. Wie besonders ist also Mückes „Transparenz“? Sie ist nicht von herausragender Innovation oder so radikal, wie er sie zu verkaufen versucht. Sie hält sich an den gesetzlichen Rahmen, ja. Aber das können wir von einem ehemaligen Vertreter unserer Demokratie hoffentlich erwarten.
Der richtigen Partei für seine spätere Laufbahn gehörte er zumindest an. Die FDP, die die eigene wirtschaftliche Bereicherung nach einer gebotenen Chance auch in diesem Fall nicht unbedingt kritisiert, ist ideal als Ausgangspunkt für spätere Lobbyist*innen. Denn auch wenn die Glaubwürdigkeit Mückes strauchelt und er ein surreal glückliches Bild der Rauchenden zeichnet, die in dieser Vorstellung lediglich ihr Leben genießen wollen, ist der Grundtenor dem der Freien Demokraten nah. Die Wirtschaft und somit die Konsumenten selbst entscheiden zu lassen, ist laut Mücke unverzichtbares Recht der Gesellschaft.
Regelung als Verhandlungsbasis?
Und auf einmal lobt Jan Mücke die aktuelle Regelung, die er vorher noch als ausgrenzend und unfair diskreditierte. Er fragt, warum man denn etwas verschärfen oder ändern solle, das sei doch „jetzt ein guter Kompromiss“. Wann immer entschiedene Nichtraucher*innen bemängeln, sie würden immer noch in der Stadt zu Passivrauchenden, mildert sich sein Ton der Gesetzgebung gegenüber und Mücke bemüht sich um Zufriedenheit. Ist doch alles gut, will er damit denjenigen sagen, die mehr verlangen.
Vielleicht geht er mit den Forderungen und Beschränkungen so um, wie in seinen Gehaltsverhandlungen. Immer mehr verlangen, um am Ende zufrieden herauszugehen. Wirtschaftliches Verhandeln kann er als Ex-FDPler und Unternehmer vermutlich ganz gut. Er wolle „niemanden, der das nicht will, zum Rauchen überreden oder motivieren“, behauptet Mücke. Und dass er auch die Gesundheitsrisiken sehen würde. Dass er allerdings niemandem vom Rauchen abraten würde, erklärt sich von selbst.
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