Ein paar Stehtische, lauter bunte Luftballons und jede Menge Flyer – auf den ersten Blick sehen Wahlkampfstände alle gleich aus. politikorange-Redakteurin Kristin fragt nach, wie zeitgemäß sie noch sind.
Was im Hintergrund monatelang vorbereitet wurde, bekommen die Bürger*innen etwa zwei Monate vor Schluss deutlich zu spüren: Der Wahlkampf geht in die heiße Phase. Parteiprogramme werden veröffentlicht, an den Straßenlaternen kleben auf einmal Plakate mit (un)bekannten Gesichtern und Kandidat*innen werben on- als auch offline für Stimmen. Doch wie überzeugt man heutzutage die meisten Menschen?
Zwischen Small Talk und echtem Wahlkampf
Zwei Tage vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein unterstützt Heiner Garg, Gesundheitsminister und Listenplatz Zwei der Freien Demokraten, im Citti-Park das junge Wahlkampfteam. Locker geht er auf die Menschen zu und begrüßt sie mit einem verschmitzten Grinsen sowie einem gelben Strauß in der Hand. „Egal ob Rosen, Narzissen oder Tulpen – Hauptsache die Blumen sind schön. Darüber freuen sich die Menschen“, erklärt er. Schon ist der Start für lockeren Small Talk gelungen.
Das eigentliche Ziel solcher Aktionen ist klar: Die Menschen sollen stehen bleiben, sich über die Partei und ihr Programm informieren und mit den Kandidierenden ins Gespräch kommen. Nur wer präsent ist, hat auch eine echte Chance.
Garg erinnert sich an seine ersten Wahlen: „Ich bin früher die Stände abgelaufen und habe gemerkt, welche Parteien sich wirklich Mühe geben und welche eben nicht. Wie bei der CDU zum Beispiel, da wurde man einfach mit einem blöden Spruch abgespeist. Heute ist das bestimmt anders, aber sowas merkt man sich natürlich.“
Neue Ideen müssen her
„Wahlkampfstände sind zeitgemäß. Die Frage ist nur, wie lange noch“, schätzt Marvin Schmidt, der auf Listenplatz 9 des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW) steht. Damit spricht er unter anderem die Info-Flyer an.
Einmal einen kurzen Blick drauf geworfen, landen diese bei vielen Wähler*innen schnell im Mülleimer. Aber nicht nur beim Infomaterial, sondern auch bei den Werbeartikeln satteln die Parteien zunehmend auf nachhaltige Alternativen zu klassischen Luftballons und Kugelschreibern in Parteifarben um. Das reicht von kleinen Windrädern über regionale Äpfel vom Wochenmarkt bis hin zu Bleistiften, die Sonnenblumensamen enthalten.
„Unser Ziel ist es, leicht zugängliche Politik zu machen. Ich weiß ja, wie es mir geht: Wenn ich so einen Stand sehe, mache ich da erstmal einen großen Bogen drum“, gesteht Patricia Nnadi, Wahlkampfmitarbeiterin von Bündnis 90/Die Grünen. Deshalb habe ihre Partei auch bewusst auf andere Formate gesetzt.
Darunter zum Beispiel Workshops oder Veranstaltungen wie politische Poetry Slams. Auch das „Klinkenputzen“, der Haustürwahlkampf, sei eine gute Strategie. „Hauptsache, man geht auf die Menschen zu und wartet nicht darauf, dass sie von allein kommen“, so Nnadi. Zehn bis 15 Prozent der Angetroffenen würden auch länger an der Tür stehen bleiben, um über die Wahlthemen zu diskutieren.
Raus aus der echten Welt, rein in die digitale
Laut dem Digital 2022 Global Overview Report sind Deutsche durchschnittlich täglich fast fünfeinhalb Stunden online. Vor allem die sozialen Medien erfreuen sich großer Beliebtheit. 15 Prozent aller Deutschen sind täglich auf Facebook aktiv, auf Instagram sogar fast jede*r Fünfte. Besonders auffällig: Mit 55 Prozent täglicher Nutzung ist Instagram vor allem bei unter 30-Jährigen beliebt.
Es liegt daher nahe, dass Parteien ihren Wahlkampf immer mehr online austragen. Hier können sich die Kandidat*innen nicht nur von ihrer persönlichen Seite zeigen, sondern auch in Postings leicht und verständlich vermitteln, was sie erreichen wollen. Aber Online-Wahlkampf kostet: Zur vergangenen Bundestagswahl haben allein Bündnis 90/Die Grünen etwa 2,5 Millionen Euro für den digitalen Wahlkampf ausgegeben. Anders als im Bürgergespräch fehlt hier allerdings der direkte Austausch zu den potenziellen Wähler*innen.
Aminata Touré ist mit mehr als 110.000 Follower*innen auf Instagram die unangefochtene Spitzenpolitikerin aus Schleswig-Holstein und auch Ministerpräsident Daniel Günther folgen immerhin 30.000 Menschen. Dass es aber auch anders geht, zeigt Heiner Garg.
Er ist einer der wenigen Spitzenkandidat*innen im echten Norden, die Instagram ausschließlich privat nutzen „Ich bin, was Social Media angeht, ein absoluter Grundschüler und old-fashioned“, gibt er zu. Vielleicht reicht im Wahlkampf also doch auch die Blume am Wahlstand, um das Eis zu brechen.
Ein wirkliches Alleinstellungsmerkmal seiner Partei sei diese allerdings nicht, gesteht der FDP-Politiker. Die Sozialdemokraten verteilen am gleichen Tag, an dem er im Citti-Park ist, an anderer Stelle rote Tulpen. „Dann frage ich die Bürgerinnen und Bürger einfach, ob da nicht eine gelbe gut dazu passen würde.“