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Von Grünen zur Linken: Die Stimme der Linksliegengelassenen

©️ Lennart Jördens / Jugendpresse Deutschland e.V.

Die Linke feiert nach den Ergebnissen der Bundestagswahl, bei den Grünen deutet sich ein Personalwechsel an. Die Begründung von Robert Habeck für den Boom der Linken: Junge Menschen wollten nicht Friedrich Merz, also haben sie die Linke gewählt. Ich habe mich bei jungen Menschen umgehört: Wie viel ist an dieser Erklärung wirklich dran?

Hochgerissene Hände, strahlende Gesichter, Jubelschreie: Es ist der Abend der Bundestagswahl auf der Wahlparty der Linken. Das vorläufige Ergebnis von 8,8% ist überraschend für viele. Besonders auffällig ist, dass die Linke von vielen jungen Menschen gewählt wurde. In der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen ist die Linke bei dieser Bundestagswahl stärkste Kraft. Mit Blick auf die Wählerwanderung zeigt sich, dass der größte Zuwachs der Linken von den Grünen kommt.

Gegen rechts, links?

Noch am Wahlabend erklärt Robert Habeck im heute journal: „Durch das Abstimmen von Friedrich Merz mit der AfD haben sehr viele, wahrscheinlich vor allem junge, Leute gesagt: So, gegen rechts, links.“ Man habe keine Möglichkeiten gehabt, gegen diese Wählerwanderung anzugehen. Doch der Trend deutete sich schon vor der Wahl an. Auch in meinem Bekanntenkreis überlegten zahlreiche junge Menschen, statt den Grünen bei dieser Wahl die Linke zu wählen. Im Gespräch mit ihnen entsteht jedoch ein anderes Bild als das, welches Habeck zeichnet: Die Stimme für die Linke war für die wenigsten eine reine Proteststimme gegen rechts. Der Klimaschutz, für den die meisten die Grünen 2021 gewählt hatten, war in den letzten Jahren von anderen Themen überlagert worden. Die Linke habe glaubhaft gemacht, dass sie soziale Ungleichheit bekämpfen möchte. Dieses Thema hat für viele an Relevanz gewonnen. Eine Freundin sagte mir, man merke ja schon im Supermarkt, dass alles teurer geworden sei. Die Grünen haben bei der sozialen Gerechtigkeit und Umverteilung nicht ernsthaft vermitteln können, dass sie sich für diese Themen einsetzen. Auch wenn Robert Habeck während des Wahlkampfs schon im Dezember eine Milliardärssteuer gefordert hatte.

Zudem haben mir viele junge Wähler*innen erzählt, dass es sie enttäuscht habe, wie sich die Grünen in der Migrationsdebatte positioniert haben. Die Kompromissbereitschaft der Grünen in der Migrationspolitik, z.B. der GEAS Reform, habe den Eindruck geweckt, die Partei sei insgesamt weiter nach rechts gerückt. Ein Großteil der jungen Menschen, die sich bei dieser Wahl für die Linken entschieden haben, schilderten mir ihren Eindruck, dass die Grüne sich in der Ampel-Regierung nicht genug durchsetzen konnte und zu viele Kompromisse zu Lasten der eigenen Werte gemacht habe.

Kompromissbereitschaft statt linker Themen

Auf gerade diese Kompromissbereitschaft setzten die Grünen jedoch in ihrem Wahlkampf. „Zusammen“ war auf den grünen Plakaten zu lesen. Der Versuch, Bereitschaft für eine weitere Regierungsbeteiligung zu signalisieren? Leon Matella, Sprecher der jungen Grünen im Kreisverband München-Land, findet das war der richtige Weg für die Grünen. „Die Grünen sind die Partei, die am verlässlichsten eine Linie fahren“, meint er. Dabei ginge es jedoch nicht darum das eigene Parteiprogramm durchzudrücken, sondern Kompromisse zu schließen. Besonders der vorangetriebene Ausbau der erneuerbaren Energien sei den Grünen zu verdanken. Dass Klimaschutz nicht mehr das zentrale Thema im Wahlkampf war, hat den Stimmenfang für die Grünen erschwert. Eigene Erfolge waren so kaum nach außen zu tragen. Im Gegensatz zur Linken habe sich die Grüne in ihrem Wahlkampf stärker daran orientiert, welche Themen die Gesellschaft bewegen. Die Wahlkampfstrategie der Linken findet er mutig. „Die Linken haben überlegt: Was sind unsere Themen – und damit gehen wir groß raus“, so Matella. Damit sei man ein Risiko eingegangen, was sich jedoch ausgezahlt habe.

Linken-Boom: Momentum oder Trendwende?

Die Gespräche, die ich mit jungen Menschen geführt habe, zeigten jedoch: die meisten, die zu den Linken gewandert sind, haben sich nicht komplett von den Grünen abgewendet. Damit sie ihr Kreuz wieder bei den Grünen setzen, forderten jedoch viele, dass die Partei wieder zu ihren sozialpolitischen Themen zurückkehre und sich auch glaubwürdig dafür einsetze. Ob dies passiert, ist fraglich. Die Journalistin Tanja Tricarico, Leiterin des Politik-Teams der wochentaz, hält die Linke aktuell für die größte Konkurrenz der Grünen. Die beiden Parteien konkurrieren größtenteils um dasselbe Wähler*innenmilieu. Tricarico kann sich vorstellen, dass nun innerhalb der Grünen sich ein erneuter Streit zwischen dem linken Lager der Partei und den sogenannten Realos entwickeln wird, in dem es darum geht, in welche Richtung sich die Partei nach der Bundestagswahl entwickeln soll. Auch der Politikwissenschaftler Dr. Michael Kolkmann hält dies für möglich. Entscheidend sei vor allem, welche Personen in Zukunft das Gesicht der Partei sind. Kolkmann sieht jetzt insbesondere die Parteivorsitzenden Franziska Brantner und Felix Banaszak in der Verantwortung. Sie haben die Aufgabe den Diskurs innerhalb der Partei zu führen und mögliche Unstimmigkeiten zu kanalisieren. Denkbar wäre laut dem Politikwissenschaflter von der Universität Halle Dr. Michael Kolkmann, dass erfahrene Politiker*innen aus der Landesebene auf Bundesebene geholt werden. Zudem hält er es für möglich, dass Ricarda Lang eine zentrale Rolle in der Partei übernimmt.

Wie sich die Grünen entwickeln, bleibt abzuwarten. Klar ist: Robert Habeck wird keine führende Rolle im möglichen Richtungsstreit führen. Er hat am Tag nach der Bundestagswahl angekündigt, sich aus der Spitzenpolitik zurückzuziehen.

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Der Sonnenkönig der Freien Wähler

Hubert Aiwanger von den Freien Wählern ist die prägende Figur des bayrischen Wahlkampfs. Seine Methoden kommen nicht überall gut an, doch der Erfolg scheint ihm Recht zu geben. 

Es heißt viele Köch*innen verderben den Brei. Ob nun der politische Brei, den die Freien Wähler in Bayern produzieren, einem Hauptgericht in Alfons Schuhbecks bestem Restaurant entspricht oder kaum runterzubekommen ist, das muss jede*r für sich selbst entscheiden. Klar ist: An der hohen Anzahl der Köch*innen kann es nicht gelegen haben. Seit Jahren gibt es genau einen Chefkoch: Hubert Aiwanger. Auch in diesem Wahljahr richtete sich die ganze Partei – ach was, der ganze Wahlkampf in Bayern – nach seinem Rezept.  

Eine Besonderheit des bayrischen Wahlkampfs waren schon immer die obligatorischen Auftritte bei aufgeheizter Stimmung und Temperatur in den Bierzelten des Freistaats. Eine Umgebung, die, laut des Kommunikationsexperten Olaf Hoffjann, besonders empfänglich für „Emotionales, Postfaktisches und Übertriebenes“ ist – ähnlich wie in den sozialen Medien. Beides sind Spielwiesen, auf denen Aiwanger sich besonders wohlfühlt. Hier wie dort stößt seine direkte, unverblümte Art auf viel Zustimmung. Unter den blau-weißen Planen der bayrischen Festzelte und auf seinem X-Account ist er die Stimme einer Wähler*innenzunft, die sich hohem Druck aus Politik und Gesellschaft ausgesetzt fühlt. Das sind laut Hoffjann überwiegend Männer, die unter anderem ihren gesellschaftlichen Status in Gefahr sehen. Damit setzte er den Ton im Wahlkampf. Markus Söder scheiterte in Erding an dem Versuch, ihn zu kopieren und die Ampelparteien hatten kaum Chancen, überhaupt in Erscheinung zu treten. 

Ende August sorgte eine Recherche der Süddeutschen Zeitung dafür, dass das Spotlight auf den FW-Vorsitzenden noch heller strahlte. Die Zeitung berichtete über Kopien eines extrem menschenverachtenden und antisemitischen Flugblatts, das er während seines 17. Lebensjahres in seiner Schultasche bei sich trug. Zwar bekannte sich anschließend sein Bruder dazu, dieses verfasst zu haben, doch Zweifel daran halten sich bis heute. Sein Umgang mit dieser Affäre sorgte bei vielen für Kopfschütteln. Auf eine für viele unzureichende Entschuldigung folgten relativierende Aussagen, mit denen er sich auch in den Augen Olaf Hoffjanns „um Kopf und Kragen redete.“ Anschließend ging er in die Gegenoffensive und warf den Medien vor, eine gezielte Hexenjagd gegen ihn durchzuführen. Ein Vorgehen, das stark and Donald Trump erinnerte, der ebenfalls immer wieder von einer „Witch Hunt“ gegen sich sprach. Im Stile des ehemaligen Präsidenten der USA stellt sich Aiwanger damit als das eigentliche Opfer dieser Geschichte dar. Seine Partei trägt das mit und stärkt ihm den Rücken. Susann Enders, Generalsekretärin der Freien Wähler Bayern, gratuliert ihm auf der Wahlparty am Abend des Wahltags zum Überleben des schmutzigsten Wahlkampfs, den sie je erlebt habe. Und Loraine Bender, stellvertretende Vorsitzende der Jungen Freien Wähler, erzählt im Gespräch mit politikorange, die Affäre habe ihm sehr zugesetzt. Er sei oft blass gewesen. Es funktionierte. Mehr als einen Monat später muss auch der Experte Hoffjann zugeben: „Am Ende hat Aiwanger alles richtig gemacht. Zynisch gesprochen war die Flugblattaffäre aus seiner Perspektive ein Geschenk, das vom Himmel gefallen ist. Er ist weiterhin stellvertretender Ministerpräsident und die Freien Wähler sind in der Wählergunst gestiegen.“ Letzteres zeigte sich am vergangenen Wahlsonntag. Der Bundes- und Landesvorsitzende der Freien Wähler führte seine Partei zum Rekordergebnis von 15,8% der abgegebenen Stimmen und holt dabei selbst das erste Direktmandat für die Partei. 

Nicht nur deswegen ist er in den eigenen Reihen weiterhin unumstritten. Für Bender, war und ist er „ein riesiges Zugpferd für die Partei.” In Zukunft soll er das auch auf Bundesebene sein. Aiwanger möchte bei den Wahlen 2025 in den Bundestag einziehen. Olaf Hoffjann denkt, dass dies gelingen kann: „Seine offene, gerade Art, auf Augenhöhe mit den Menschen käme auch außerhalb Bayerns gut an.“

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