Warum denken wir bei Markus Söder an Bier und Wurst und nicht an politische Inhalte? Und warum punktet Alice Weidel mit einem Schnitzel? Weil Kulturkampf wirkungsvoller ist, als über die wirklich wichtigen Dinge zu sprechen. Ein Kommentar.

„Politiker lügen“ ist ein Vorwurf, der gesellschaftlich oft hohe Zustimmung einheimst. Denn wie oft hat jede*r schon von Zielen, Wahlversprechen oder Mottos gehört, die später im Sand verliefen? Ein gewisser Frust, eine Resignation ist Futter für populistische Inhalte und Reden, die der Wut der Bürger*innen vermeintlich Luft machen. In all dem Chaos halten sich diejenigen jedoch am besten, die nicht unbedingt immer bei ihren Aussagen bleiben. Es scheint fast so, als sei es wichtiger, dass die Politiker*innen in diesem emotionalisierten Arbeitsfeld bei sich selbst als Figur bleiben. Markengetreu quasi. Wie wichtig sind Inhalte da noch?
Ganz klar ist: Wir erwarten, dass die Politik Lösungen für unsere Probleme findet. Für die großen, allgemeinen Probleme. Das ist der Job eines Gremiums wie dem Bundestag und dafür wählen wir, wen wir für kompetent halten. Zumindest in der Theorie. Da gibt es durchaus genug Menschen, die gern ihre eigene Energie in die Weltverbesserung stecken wollen, substanziell und inhaltsbedacht. In der Praxis ist Politik jedoch viel durch Personen und Personenkult geprägt. Das geht so weit, dass beispielsweise der bayerische Ministerpräsident Markus Söder bis zu seinem Essen auf Instagram kaum etwas Privates auslässt, das ihm nutzen kann.
Aber wie nutzt ein Steak seiner politischen Karriere? Wie jede*r Politiker*in es ein Stück weit tut, baut er sich mit seinem Baukasten aus Öffentlichkeitsarbeit eine geeignete Persona für den Wahlkampf zusammen. Die Minderheit der Wähler*innen liest sich alle Wahlprogramme durch, viele Menschen wählen am Ende eben nach Sympathie. Dabei muss „Söder“ nichts mit seiner wahren Privatperson zu tun haben, es muss nur wirkungsvoll überzeugen.
Strohmänner und co. – Retter der Sprache
Diese Sympathie, die setzt sich zusammen aus Punkten wie: Kann ich mich mit Kandidat*in XY identifizieren? Da Markus Söder beispielsweise öffentlichkeitswirksam immer wieder mit Bierkrügen und fleischlastigem Essen abgelichtet wird und sich so als Mann des bayerischen Volks inszenieren will, ist zweitrangig, ob er tatsächlich Alkohol trinkt. Wenn die Show gelingt und die Wähler*innen erreicht wurden, dann ist auch das Ziel erreicht. Durch das dauerhafte Framing Söders in Bezug auf die Grünen als Verbotspartei kann er sich auf der anderen Seite leicht gegen das Narrativ positionieren.
Seine Instagramposts zeigen nicht nur, dass er vermeintlich Weißwurst mag. Sie sagen: Bei mir müsst ihr keine Angst vor Verboten haben. Die emotionalisierte Beziehung vieler Deutschen zu Symbolen wie Schnitzel oder eben Bier wird gekonnt genutzt und Teil der Verlustangst.
Alice Weidel rief auf dem Volksfest in Gillamoos, sie werde sich ihr „Schnitzel nicht wegnehmen lassen“. Was auf den ersten Blick absurd erscheint, ist keineswegs unüberlegt, sondern wirkungsvolles Kalkül. Personifizierte Strohmannargumente könnte diese Strategie vielleicht genannt werden. Niemand hat verlangt, „Schnitzel zu verbieten“. Aber Alice Weidel wird alle, die jetzt Angst davor haben, vor dieser Bevormundung vermeintlich beschützen. Sie erfindet ein Szenario, um sich indirekt mit der potentiellen Wählerschaft dagegen zu positionieren.
Auch der vorgeschlagene „Veggie-Day“ der Grünen als Idee für einen vegetarischen Tag im Bundestag wurde aufgegriffen und von Gegner*innen strategisch genutzt. Das Gendern wurde ebenfalls immer von denjenigen erwähnt, die dagegen eiferten und sich ihre schöne deutsche Sprache nicht kaputtmachen lassen wollen. Dass Markus Söder am Ende widersprüchlich zu seiner eigentlichen Anti-Verbots-Inszenierung dann doch ein Verbot an bayerischen (Hoch-)Schulen für Gendersternchen und co. einführte, war nicht weiter beachtet worden, weil er Gendern zuvor als ideologische Bevormundung geframed hatte und so seine Landsleute vor einer anderen vermeintlichen Doktrin bewahrte.
Einer wie du und ich
Die Themen des Alltags, der Kulturkampf, das sind oft nicht die essentiellen Fragen über Krieg und Frieden oder Leben und Tod. Trotzdem oder gerade deshalb können sie viel wirkungsvoller sein. Eine Spaltung oder ein Gegensatz kann bei der Frage „Wurst, ja oder nein?“ leichter hergestellt werden, wenn sich Konkurrenz-Parteien in substanziellen Angelegenheiten weniger angreifbar machen. Solang die Wähler*innen das Gefühl haben, dass etwas Unbequemes verhindert werden sollte und ihnen dann der*die Kandidat*in mit den vermeintlich passenden Aussagen und Einstellungen geliefert wird, fühlen sie sich bei Söder oder Weidel sicher.
Er isst noch Weißwurst—also wird er mich nicht ermahnen. Der Maßkrug mit Bier ist neben der Weißwurst vermutlich Markus Söders häufigster Selfie-Partner und schon fast ein Erkennungsmerkmal. Und das, obwohl er selbst laut eigenen Aussagen nicht einmal Alkohol trinkt! Besser für die Gesundheit. Dieses Beispiel zeigt auf absurdeste Weise, wie oft Essen der Politisierung und dem Populismus zum Opfer fällt und gern als Symbol genutzt wird. Es ist egal, dass Söder abstinent ist, sein Politik-Ich trinkt jeden Maßkrug mit. Und so sind gewisse Bräuche, Konsumgüter oder ähnliches oft mit einer politischen Richtung verwoben, zu deren Steckenpferd oder Erkennungszeichen sie werden.
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Jemand, der über die kleinen Dinge des Lebens redet, der wirkt außerdem eher wie ein netter Nachbar und authentischer als der klassische Berufspolitiker. Zuhörer*innen sind oft leichter abgeholt von entsprechenden Anekdoten als verklausulierten Gesetzesentwürfen zu abstrakten Szenarien auf Staatsebene.
Riskantes Ablenkungsmanöver
Dass Angela Merkel selbst als Kanzlerin noch einkaufen ging, war für viele ein Sympathiepunkt. Dass sie dabei natürlich Personenschutz hatte, steht auf einem anderen Blatt. Spitzenpolitiker*innen können gar kein authentisch-normales Leben leben, aber sie werden trotzdem angehalten, es zu inszenieren. Denn solange die eigene Inszenierung Erfolg hat, hat auch die eigene Karriere eine Chance und man wird gehört oder gewählt. Meistens beides.
Ein Werkzeug wie dieses ist mächtiger als so mancher Inhalt, vor allem, wenn das Verständnis oder Interesse für die essentiellen Themen bei den Bürger*innen fehlt. Dass dieses Ablenkungsmanöver einigen zu viel wird oder die verbliebenen Idealist*innen am Ende abstößt, ist wahrscheinlich einfach nur menschlich. Rücktritte wie der von Ricarda Lang aus dem Grünen-Vorstand werden nicht selten von der Aussage begleitet, man habe sich von der eigenen Person entfernt. Der Bier-Populismus auf der anderen Seite ist wiederum kaum zu unterschätzen, denn ein Fokus auf vermeintlichen „Kulturgütern“, die mit der Realität wenig gemein haben, sorgt für verschobene Debattenkultur und eine Politik, die sich von den wirklich wichtigen Dingen fortlaufend entfernt.
Dieser Artikel ist im Rahmen der offenen Redaktion entstanden. Bei Fragen, Anregungen, Kritik und wenn ihr selbst mitmachen mögt, schreibt uns eine Mail an redaktion@jugendpresse.de