Bye, bye Europa – Bricht die USA auf der MSC mit ihren transatlantischen Verbündeten?

Politik

Auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz wurden langfristige Trends deutlicher als es einigen Transatlantiker*innen lieb ist. Die Versammlung, die auch seit 61 Jahren auf der engen Zusammenarbeit von Deutschland und EU mit den USA aufbaut und darauf begründet wurde, wurde mehr und mehr zum Schauplatz einer Entfremdung.

Präsident Selenskyj (mittig) appelliert auf der MSC an Europa und die US-Delegation. Foto: MSC/Kuhlmann.

Mit dem Krieg in der Ukraine als zentralem Thema zeichneten sich bei der 61. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) vom 14. Februar bis zum 16. Februar 2025 auf dem Bayerischen Hof unterschiedliche Mantras ab. Präsident Wolodymyr Selenskyj und seine Delegierten wiederholten vor der Kamera immer wieder ihr Motto „Nothing about Ukraine without Ukraine“. Und auch der Bundeskanzler Olaf Scholz höchstpersönlich bediente sich dessen in Bezug auf Diskussionen und Verhandlungen in seiner Rede. Die Forderung steht nicht im luftleeren Raum. Sie ist eine Antwort auf das, womit die Wenigsten gerechnet haben: Donald Trumps angekündigte Verhandlungsgespräche mit Wladimir Putin in Saudi-Arabien wenige Tage zuvor. Welchen Einfluss wird dieser Richtungswechsel der US-Politik haben und was genau will die Trump-Administration wirklich für Europa?

Russische Narrative auf US-amerikanischer Seite

Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als praktisch gesetztem Thema und dominierendem Inhalt der Sicherheitskonferenz überraschte es, dass Vize J.D. Vance in seiner Eröffnungsrede am ersten Tag in München nur im Nebensatz über den Konflikt sprach. Sein Fokus lag auf einer anderen Botschaft: Er sieht die Demokratie in Europa in Gefahr, aber keineswegs vorrangig durch Russland oder andere externe Akteure bedroht, „sondern von innen“. Er malte ein Bild von Europa, in dem Wahlen nicht fair und offen sind, Meinungsfreiheit nicht existiert und Vertreter*innen der Opposition sanktioniert werden. Er projiziert seine Wahnvorstellung einer zerstörten Demokratie, während Kritiker*innen des US-Präsidenten Sanktionierungen fürchten.

Dass Europas Demokratie in Gefahr sei, stößt den europäischen Regierungen vor den Kopf. Bundeskanzler Olaf Scholz und anderen deutschen Vertreter*innen baten die USA, Respekt für die deutsche Regierung und Systeme genauso entgegenzubringen, wie es Deutschland andersherum täte. Was viele Kritiker*innen fälschlicherweise als Stichelei oder Anfängerfehler von Vance gesehen haben, erinnert allerdings auch an das russische Mantra, die Demokratie der Ukraine sei in Gefahr.

Respektlosigkeit als „Weckruf“

Das vermeintliche Motiv für den russischen Einmarsch sollte hierbei nicht außer Acht gelassen werden: Putin spricht seit Beginn seines Angriffskriegs von einer „Entnazifizierung“ und stellt die Legitimität Wolodymir Selenskyjs als rechtmäßigem Präsidenten infrage. J.D. Vance verglich die aktuelle Situation in Europa in seiner Rede ebenfalls mit der des Nationalsozialismus. Er bezog sich im Zuge dessen auf die undemokratischen Tendenzen, die er sehe. Dass diese Änderung im Narrativ die Sicherheitsgarantien der USA in Europa gefährden könnte, ist offensichtlich.

Vize Vance stellt auf der MSC die Grundlage der transatlantischen Beziehungen infrage. Foto: MSC/Conzelmann

Der BR und andere Medien sprechen nach der Sicherheitskonferenz von einer Art „Weckruf“. Der tschechische Präsident Petr Pavel sagte in einer Paneldiskussion auf der MSC: „Wir wurden ins kalte Wasser geworfen, aber sind stark genug mit oder ohne US-Partnern.“ Er begreift die amerikanische Ambivalenz als Chance, dass Europa sich auf sich selbst verlassen kann. „Wir können endlich groß werden und zeigen, dass wir Verantwortung übernehmen können.“

“Da muss man gar nicht erst antreten”– Funktioniert Europa auch allein?

Die Ankündigung Trumps, man werde sich aus der militärischen Unterstützung Europas herausziehen, werden von US- und europäischen Vertreter*innen mehr als Stups in die richtige Richtung gesehen, als als Aufkündigung des Vertrauens. „We’re in the same team“, sagte schließlich Vance, während Trump vor der Konferenz zu Europas Rolle in der Ukraine bemerkte: „Es betrifft sie mehr als uns. Wir haben einen Ozean dazwischen.“ So sehr die Worte von Vance nach Zusammenhalt klingen mögen, so sind sie doch ein Euphemismus für den Rückzug der USA als Sicherheitsgarant.

Die Chance, die viele in diesem Rückzug sehen, Europa könne stärker werden, ist in Wahrheit eine Notwendigkeit, ein Zwang. Das als partnerschaftlichen Akt zu sehen, scheint von dem verzweifelten Versuch gezeichnet, die USA irgendwie wieder mit ins Boot zu holen. So sagte Scholz im Interview mit dem Podcast „Der Tag“, er habe die „Hoffnung, dass die Unterstützung für die Ukraine seitens der USA nicht nachlässt”, weil man “bei dem russischen Präsidenten sonst gar nicht erst antreten muss, um was zu erreichen.“

Das zeichnet ein düsteres Bild von dem, was andere als „Chance“ begreifen. Jeanne Shaheen, US-Demokratin, sagte in einem Panelgespräch, Vance habe „eine gute Möglichkeit verpasst, die vergangene (transatlantische) Beziehung zu betonen und dass wir zusammen erfolgreich waren“. Auch der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha betonte auf der MSC: „Wir brauchen die Unterstützung der Vereinigten Staaten“ und dass die Ukraine an „neue Dynamiken und Friedensanstrengungen“ glaube.

Aus Verbündeten werden Vermittler

Diese Hoffnung in Trump wird auch von Wolodymir Selenskyj artikuliert, der zum Ende seines Interviews auf der Konferenz sagte, er glaube an Trump, weil er gewählt wurde. Er konnte sich bei dieser Hoffnung nicht auf pro-europäische Aussagen Trumps oder Ähnliches berufen. US-Verteidigungsminister Pete Hegseth sagte am 12. Februar in seiner Eröffnungsrede der „Ukraine Defense Contact Group“ in Brüssel, Europa müsse die tragende Rolle in seiner eigenen Sicherheit übernehmen und die USA würde sich wieder mehr um die eigenen Grenzen kümmern.

Olaf Scholz im Gespräch mit Zanny Minton Beddeos, Chefredakteurin von The Economist. Foto: MSC/Koehler

Bundeskanzler Scholz verlangte derweil, Europa müsse mitdiskutieren, wenn es um europäische Angelegenheiten ginge. „Nothing about Europe without Europe“ scheint allerdings fast genauso unwahrscheinlich wie das ukrainische Equivalent. US-Gesandter Keith Kellogg sagte auf die Frage hin, ob die EU ein Mitspracherecht bei Verhandlungen zwischen Trump und Putin haben werde: „That is not going to happen.“ Er ermutigte die EU stattdessen, „eigene Vorschläge“ zu machen und sagte, man solle sich von ihrer Seite aus nicht beschweren. Außerdem gab er bekannt, die USA würden an diesem Verhandlungstisch nicht als Verbündete, sondern als Vermittler auftreten und wären an einem schnellen Ende des Krieges interessiert.

Ein schnelles Ende des Kriegs: Wer profitiert wirklich davon?

Die Befürchtung, ein schnellerer Waffenstillstand würde zum Nachteil der Ukraine ausgelegt werden, ist seitdem omnipräsent. Zugeständnisse an Russland noch vor der Verhandlung alarmieren Beobachter*innen. So nannte Hegseth beispielsweise eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine „unrealistisch“. Es zeichnet sich anhand dieser Aussagen ab, dass die USA von Europa und der Ukraine zwar Initiative und Investitionen abverlangen, das allerdings nicht im Gegenzug zu Mitspracherecht oder Sicherheitsgarantien führen wird.

Die Aufforderung, Europa müsse einfach mehr in die eigene und die Sicherheit der Ukraine investieren, beißt sich übrigens mit der Unterstützung, die Techmilliardär und seit Neustem Effiziensminister Elon Musk, Vance und andere rechtsextreme Politiker*innen gegenüber nationalistischen und rechtsextremen Parteien in der EU äußerten. Schließlich stimmen genau jene gegen weitere Militärausgaben.

Putin gefällt das: Wie die amerikanische Entfremdung zur Ukraine voranschreitet und die Ambivalenz der transatlantischen Imperative Europa destabilisiert

Durch die nachlassende Hilfe der USA und ihre gleichzeitige indirekte Unterstützung rechtsextremer Akteur*innen, die auf europäischer Ebene keine Hilfe anbieten wollen, spielt die aktuelle US-Politik dem russischen Präsidenten in die Karten. Die Hoffnung Selenskyjs, Trump würde die Dinge anders machen als Biden, scheint zu verpuffen. Ja, Trump wird die Dinge anders machen, das tut er schon jetzt. Aber er wird nichts an der Antwort Bidens auf die Frage der Ukrainer ändern, ob sie in Zukunft Teil der NATO werden.

Bei einem Telefonat mit Selenskyj habe Biden im Amt schlicht mit „No“ geantwortet, so der ukrainische Präsident. Trump hat kürzlich noch einen draufgesetzt. Er beschimpfte Wolodymir Selenskyj als „Diktator ohne Wahlen“ in der Ukraine, als dieser sich äußerte, Trump säße Falschinformationen aus dem Kreml auf. Der US-Präsident hatte zuvor behauptet, die Ukraine trüge die Schuld an der russischen Invasion.

Christoph Heusgen spricht von einer „Zeitenwende“. Foto: MSC/Kopatsch

Auf der europäischen Seite des Atlantiks stellt sich mittlerweile eine Tiefstimmung ein. „Dass unsere gemeinsame Wertegrundlage nicht mehr so gemeinsam ist“, befürchtet der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen.


Dieser Artikel ist im Rahmen der offenen Redaktion entstanden. Bei Fragen, Anregungen, Kritik und wenn ihr selbst mitmachen mögt, schreibt uns eine Mail an redaktion@jugendpresse.de 

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