Waffen und Werte for Sale: Wie die Rüstungsindustrie die europäischen Werte versteigert

Deutschland rühmt sich seiner wertebasierten Außenpolitik. Die Waffenexporte an autokratische Regime zur Stabilisierung wirtschaftlicher Beziehungen zeichnen jedoch ein anderes Bild der politischen Lage.

Soldaten im Kriegsgebiet (Symbolbild). Foto: Unsplash/ Daniel Stubenrauch.

Der 24. Februar 2022 und der 7. Oktober 2023 sind gesellschaftlich gebrandmarkte Daten. Bedeutungsschwer hängen die kriegerischen Überfälle Russlands auf die Ukraine und der Terrororganisation Hamas auf Israel über dem gesamten politischen Globus. Der Krieg scheint wieder Einzug in die Köpfe und das Bewusstsein der Menschen erhalten zu haben.

Diese schwerwiegende Desillusionierung sollte das Blickfeld für die Krisen und Konflikte der jüngeren Geschichte weiten. Der Eindruck, der Krieg sei erst vor zwei Jahren eine europäische Angelegenheit geworden, ist fehlerhaft und der unzureichenden vergangenen Berichterstattung geschuldet. Die Kontinuität des Krieges wird von seiner derzeitigen medialen Omnipräsenz vollständig disproportioniert.
Ein Blick auf die wirtschaftlichen Erträge der Rüstungsindustrie am weltweiten Markt, sowie auf die Bilanz innerhalb des deutschen Haushalts schafft Klarheit; der Krieg und seine Kinder – Menschenrechtsverletzungen, Elend, Tod – tauchten nicht erst mit dem 22. Februar auf der globalen Spielfläche auf. Es wurde bloß plötzlich über sie berichtet.

Finanzielle Dimensionen

2021, sprich bereits vor dem imperialen Angriff Russlands auf die Ukraine, erreichten die deutschen Rüstungsexporte ein neues Rekordhoch von 9,35 Milliarden Euro (wobei 9,04 Milliarden Euro auf das Konto der Altregierung unter Kanzlerin Merkel und Finanzminister Scholz gingen).  Hauptempfängerland war damals Ägypten – das nordafrikanische Militärregime wurde nebst Luftabwehrsystemen ebenfalls mit Kriegsschiffen ausgestattet. Die Finanzierung belief sich dabei auf eine Gesamtkostenhöhe von 4,34 Milliarden Euro.
Auch Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar gehörten zur Kundschaft deutscher Rüstungsriesen. Ausnahmslos alle der aufgezählten Länder und somit aus deutscher Hand finanzierte Militärs beteiligten sich im seit 2014 aktiv schwelenden Jemenkonflikt. Während man in den Folgejahren inbrünstig die ethischen Maßstäbe einer Fußball-WM in Katar sowie die Möglichkeiten von Waffenlieferungen in die Krisengebiete der Ukraine öffentlich diskutierte, wurde der Jemenkonflikt selbst oder die Finanzierung der Kriegsakteure im Speziellen bisher mit kaum einer Silbe erwähnt.

Auch die Türkei war in den vergangenen Jahren, insbesondere 2015 und 2018, Spitzenreiter am deutschen Rüstungsmarkt. 2018, zum Auftakt der Militäroffensive des Präsidenten Erdogan gegen die YPK in Syrien, importierte die Türkei Rüstungsgüter in preislicher Höhe von 242,8 Millionen Euro. Während der Konflikt und die stählerne Hand Erdogans gegen die Kurden in Deutschland aufgrund der verwobenen türkisch-deutschen Geschichte (im Kontrast zur politischen und geographischen Isolation des Jemen) zumindest bekannt ist, bleibt auch in diesem Fall ein Diskurs über die militärischen Verstrickungen Deutschlands und den damit zusammenhängenden Verantwortungen aus.

Deutschlands politische Verantwortung

Solange die Kriege im Jemen und in Syrien mit deutschen Waffen gekämpft werden, sind es auch deutsche Kriege, deren stiefmütterliche politische und mediale Behandlung zu verurteilen und zu korrigieren ist. Verantwortungsbewusst zu handeln, bedeutet zunächst Transparenz zu schaffen. Nur auf diese Weise schaffen wir Raum für den obligatorischen politischen Diskurs der angesichts der Brisanz der Thematik in demokratischen Systemen unabdinglich ist.
Die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik haben einen Anspruch, über den Fluss ihrer Steuergelder aufgeklärt zu werden. Sobald die Thematik sich im gesellschaftlichen Diskurs verfestigt hat, verfügt die Politik prinzipiell über nur wenige Handlungsoptionen. Die fortgehende Finanzierung von ethnischen Kriegen birgt moralische Zerwürfnisse, welche die wertebasiert anmutende Außenpolitik Deutschlands in Bedrängnis bringen und letztlich auf einen konkreten Handlungsimpuls pochen: Die Förderung der Kriege in Krisengebieten durch die Bereitstellung von Angriffssystemen muss umgehend unterbunden werden.
Die Ursachen zu ergründen, ist ein notwendiger nächster Schritt. Die Motive der Bundesregierungen müssen beleuchtet werden und die Hintergründe und gegebenenfalls politisch-ökonomischen Zwänge nachgezeichnet werden, die dieses Bekenntnis zur Kriegstreiberei in der Vergangenheit unterfütterten. Dafür ist es notwendig, die Beziehungen Deutschlands zu den Empfängerländern der Rüstungsgüter zu betrachten.

Empfängerländer 1: Die Arabische Halbinsel – Energie als Druckmittel

Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate verfügen über den geographischen Vorteil eines hohen Öl- und Gasvorkommens. Im Frühjahr 2022 sorgte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck für Schlagzeilen, als er sich nahezu unterwürfig vor dem katarischen Emir verneigte. Anlass hierfür war der deutsche Abkapselungsversuch von russischen Gasimporten als Antwort auf die Ausweitung des Krieges Russlands in der Ukraine. Deutschland begibt sich demnach in die Abhängigkeit des autokratisch diktierten Katar.
Der Reichtum an Öl- und Gasreserven gestaltet sich somit als wirksames Druckmittel und kann mit politischem Kalkül von den Staaten der arabischen Halbinsel entsprechend eingesetzt werden, um ihre nationalen Interessen in der Geopolitik durchzusetzen. (Voneinander abweichende nationale Interessen sind in einer zunehmend multipolaren Welt, in welcher der Westen nicht mehr allein die Spielregeln diktiert, sehr relevant.)
Die Konsequenz dieser prekären asymmetrischen Handelsbeziehung ist eine notwendige Kulanz, was die menschenrechtlichen Eskapaden der arabischen Staaten betrifft. Wie rasant und verheerend diese Beziehungen kippen können, verdeutlicht die durch das Aufkündigen der russisch-westlichen Beziehungen verursachte Energiekrise. Gute diplomatische Beziehungen zu den öl- und gasreichen arabischen Staaten stellen einen durch Abhängigkeiten im Energiesektor bedingten ökonomischen Zwang dar.

Empfängerländer 2: Die Türkei – NATO, Migration

Auch die Türkei bezog für den von Präsident Erdogan ausgefochtenen rassistischen Kampf gegen die kurdische Minderheit diverse Rüstungsgüter. Der seit 2002 zunehmende Einfluss des türkischen Staatsoberhaupts ebnet den Weg zu einem mehrheitlich diktatorischen Regime, welches sich seiner demokratischen Elemente entledigt. Trotzdem sind die Beziehungen zu NATO-Mitglied und Handelspartner Türkei nach wie vor intensiv.
Seiner geographische Lokalisation nach zählt der mediterrane Staat am Bosporus prinzipiell zum Nahen Osten. Religion und Kultur legen dies nahe. Jedoch orientiert sich die Türkei mehrheitlich an ihren westlichen Nachbarn, eine Tradition, die auf den Gründervater Mustafa Kemal „Atatürk“ zurückgeht. Diese identitäre Zugehörigkeit illustriert beispielhaft die bereits erwähnte Zugehörigkeit zum westlichen Verteidigungsbündnis NATO. Der Türkei kommt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle zu, da sie den strategisch relevanten Übergang zum Schwarzen Meer kontrolliert, was ihr ein gewisses politisches Privileg in Form eines Druckmittels auf diplomatische Beziehungen verleiht.
Auch hinsichtlich der schwelenden Migrationsfrage, welche sowohl die europäische Innen- als auch Außenpolitik massiv unter Druck setzt, übernimmt die Türkei eine zentrale Rolle. So erlaubte das Migrationsabkommen von 2016 zwischen Deutschland und der Türkei eine effektive Unterbindung der Einreise von Geflüchteten.
Die türkische „Europhilie“ und ihr kontinuierliches Pochen auf einen Beitritt zur Europäischen Union bereitet den EU-Staaten, darunter Deutschland, jedoch zumindest ein politisch relevantes Trumpfmittel, welches die Beziehungssymmetrie teilweise austariert. Trotzdem bleibt die türkische Machtposition bestehen, insbesondere was die Migration aus den Ländern des Nahen Ostens nach Europa betrifft.

Exkurs: Deutsch-Türken

Die hohe Bevölkerungsquote von Deutsch-Türken in der Bundesrepublik, ein Resultat der Gastarbeiterpolitik der 1950er Jahre, beinhaltet zudem ein innenpolitisches Stresspotenzial. Sollten sich die Beziehungen zur Türkei abkühlen, sind Unzufriedenheiten innerhalb dieser Bevölkerungsschicht durchaus realistisch. Das lässt sich aus dem nach wie vor bestehenden Zugehörigkeitsgefühl zur türkischen Nation ableiten. Eindrücklich skizziert dies das Wahlverhalten aus dem vergangenen Sommer, wobei ein Großteil der in Deutschland lebenden Türken mit doppelter Staatsangehörigkeit ihre Unterstützung für den amtierenden Präsidenten mittels Stimmzettel ausdrückten.
Die Beziehungen zur Türkei sind vielschichtig. Eine demokratische Entwicklung der Türkei ist zwar wünschenswert, jedoch entbehrt die Bundesrepublik Legitimation und Mittel, um diese zu forcieren. Lediglich in der eigenen Mitte, in ihren türkischstämmigen Milieus und im Entstehen begriffenen Parallelgesellschaften kann sie intervenieren, um die Rückbesinnung auf einen rückwärtsgewandten Nationalismus zu unterbinden.

Von wirtschaftlicher Unabhängigkeit zur politischen Handlungsfreiheit

Deutschland ist, wenn es um Rüstungslieferungen an Autokratien geht, in ein Abhängigkeitsnetz eingeflochten, wodurch der politische Spielraum stark eingeschränkt wird. Dies fungiert zwar nicht als Legitimierung, wohl jedoch als Erklärung des Umstands. Das Auskühlen diplomatischer Beziehungen zu den ölreichen Staaten im arabischen Raum gefährdet demnach die energetische Sicherheit der Bundesrepublik.
Wir können der Misere lediglich durch mehr Unabhängigkeit im Energiesektor und entsprechend einem Umstieg von fossilen auf regenerative Energieträger entkommen. Auf diese Weise gelingt die wirtschaftliche Abnabelung, welche mehr Gestaltungsmöglichkeiten ohne negative Rückwirkungen ermöglicht. Zudem muss auf gesamteuropäischer Ebene ein schlüssiges Migrationssystem entworfen und umgesetzt werden, damit der bestehende Migrationsdruck nicht als potenzielle Waffe fehlinstrumentalisiert werden kann.
Die Problematiken sind komplex, doch sie lassen sich nicht leichter lösen, indem sie tagespolitisch und medial ignoriert werden. Es ist fraglich, ob durch den Verzicht von Waffenlieferungen weniger Menschenleben versehrt werden. Sicher ist jedoch, dass die Integrität und Unversehrtheit unseres außenpolitischen Wertekomplexes erhalten bleibt.
Demokratie ist ein Prozess – und wenn unsere Werte im Namen der Rüstungsindustrie verkauft werden, sind wir einen Schritt näher an den autokratischen Regimen, deren menschenrechtsverachtende Unterdrückungspolitik wir auf diese Weise unterfüttern.

Dieser Beitrag ist ein Kommentar und entspricht nicht unbedingt der Haltung der Jugendpresse Deutschland, sondern der der Autorin.

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