Die AfD kommt an, vor allem bei immer mehr jungen Wähler*innen. Das hängt mit ihrem Erfolg auf den sozialen Medien zusammen, kommentiert Helin Topcu.
Nach der Wahl ist vor der Empörung – zumindest in Hessen und Bayern: Mal geht es um das Versagen der Ampel-Koalition auf Bundesebene, mal um die mangelnde Führungskompetenz von Olaf Scholz als Bundeskanzler. Das alles sind Aspekte, die in der Debatte durchaus ihre Berechtigung haben, trotzdem sind sie eher Belange der aktuellen Legislaturperiode der Ampelkoalition. Im öffentlichen Diskurs liegt der Fokus schon lange auf den falschen Themen. In Talkshows wird nur an der Oberfläche der Ursachen gekratzt, statt den Eisblock des Rechtsrucks aufzubrechen. Dabei wäre das jetzt wichtig – vor allem mit Blick auf den Trend nach rechts bei Erstwähler*innen. Denn der hängt auch mit dem Erfolg rechter Parteien wie der AfD auf den sozialen Medien zusammen.
Durchschnittlich verbrachten die Deutschen 2017 über vier Stunden am Tag online und nutzten dazu meistens ihre Smartphones. Rund 33,4 Millionen Personen in Deutschland nutzen das Internet 2022 mehrmals täglich, rund 12,7 Millionen sogar fast die ganze Zeit. Doch welche Inhalte erreichen die User*innen da? Wie viele davon sind mit einer politischen Message versehen?
Wie Menschen an politische Informationen kommen, hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert: Früher war es üblich, die Nachrichten in der Tageszeitung zu lesen. Vor 10 Jahren, als immer mehr Menschen sich auf den sozialen Medien angemeldet haben, öffneten sich neue Foren und Räume für Diskussion und Dialog.
Digital Natives sind damit konfrontiert, ständig Stückchen von politisiertem Wissen mit sich in der Hosentasche zu tragen. Das beeinflusst ihr Verständnis von Demokratie und Politik: Ihre Geduld, Aufmerksamkeitsspanne und Frustrationstoleranz für Prozesse, die andauern und komplex sind, nimmt ab. Politische Informationen hauptsächlich aus den sozialen Medien zu beziehen, bedeutet, sich anhand von absichtlich verknappten Formaten sehr oberflächlich mit sehr viel zu beschäftigen.
Diese Reizüberflutung machen sich vor allem Parteien im rechten Spektrum zu Nutzen – und sie dringen damit durch. Menschen zu sich zu ziehen und sie auch zu behalten – Parteien wie die AfD haben modern informieren, polarisieren und isolieren verstanden. Auf ihrem TikTok-Account postet die AfD-Bundestagsfraktion kontextlose Ausschnitte aus Plenarsitzungen mit provokanten und polemischen Behauptungen in der Überschrift. So schreiben sie beispielsweise: „DIE AMPEL-REGIERUNG HASST DICH“, „GRÜNE ENDZEIT SEKTE“ oder „DIE LINKSGRÜNEN WOLLEN DEUTSCHLAND ABSCHAFFEN“ . Diese Überschriften sind auf jedem Video in der Profilansicht in Großbuchstaben mit ausdrucksstarken Emojis zu sehen. Sie regen zur Neugier und demnach dazu an, die Videos anzuschauen.
Da ein selektiver und profitorientierter Algorithmus davon lebt, User*innen zu fesseln und auf der Plattform zu halten, werden Videos wie die von der AfD, die genau das schaffen, vom Algorithmus belohnt.
Wir denken, die Demokratie gepachtet zu haben, sie schon zu eigen gemacht zu haben. Doch das ist sie nicht, wenn wir sie nicht schützen, sowohl digital als auch analog. Meinungsbildende Prozesse sind schleichende und häufig unbewusste Prozesse. Im digitalen Zeitalter ist es für viele Menschen keine Option mehr, ganz ohne die sozialen Medien zu leben. Das ist legitim. Uns muss aber bewusst sein, wie die sozialen Medien unseren Demokratie- und Politikgedanken beeinflussen. Verschwimmende Frustrationsgrenzen sind bei all den Reizen und Inhalten, denen wir täglich ausgesetzt sind, nachvollziehbar. Aber an dem Punkt, an dem wir die Demokratie und die politische Landschaft nur noch verteufeln, sollten wir einen Schritt zurück machen und den Tab schließen und uns ein paar Fragen stellen: Hätte ich heute von allem mitbekommen, wenn ich nicht online gewesen wäre? Hätte ich mich darüber geärgert? Wie ausgeglichen war mein Feed heute? Wie vertrauenswürdig waren die Informationen, Quellen und Bilder? Zu welchen Ereignissen und Inhalten habe ich geprüft, was eigentlich an ihnen dran ist? Die Demokratie ist unser höchstes und schützenswertestes Gut, besonders in unserer immer digitaleren Medienlandschaft.
Disclaimer: Der Beitrag spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin wider und nicht die der Projektpartner*innen des Jugendmedienworkshops im Deutschen Bundestag 2023 (Jugendpresse e.V., Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Bundestag).