Noch gilt in vielen Städten: Tradition über Gleichberechtigung, auch beim Fischertag in Memmingen. Dabei wünschen sich junge Frauen endlich ein gendergerechtes Deutschland. Welche Partei das leisten kann, hat sich Felicitas Nagler genauer angesehen.
Ein Kanonenschuss durchbricht die kalte Morgenluft. Mit Kriegsschreien jucken die Memminger Männer in den Memminger Stadtbach – bewaffnet mit Strohhüten und großen Keschern. Die Menge, die sich am Ufer tummelt, fängt an zu jubeln und Bilder zu knipsen. Jeden Moment könnte es passieren: Der größte Fisch könnte gefangen werden und der Bruder oder Vater wird Memminger Fischerkönig. Beim nächsten Fischertag, nach Corona, könnte auch eine Fischerkönigin gekrönt werden, hat das Landgericht in Memmingen diesen Sommer beschlossen.
Eine junge Fischertagsexpertin aus Memmingen begrüßt das Urteil. „Ich möchte meiner zukünftigen Tochter nicht sagen müssen, dass sie nicht in den Bach darf, weil sie das „falsche Geschlecht“ hat“, erklärt sie. Gleichberechtigung solle in allen Situationen ohne Ausnahme stattfinden. Trotzdem blickt sie dem nächsten Fischertag eher kritisch entgegen. Viele Teilnehmer des Vereins würden noch an traditionellen Rollenbildern festhalten und könnten nicht akzeptieren, dass Frauen das gleiche Recht zugesprochen wurde. Die junge Memmingerin sieht genau deshalb für die Bundestagswahl im September viel Handlungsbedarf. Sie erwähnt auch, wie wichtig es für sie ist, die Frau in der Wirtschaft zu stärken und gegen sexualisierte Gewalt vorzugehen, also für Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen einzutreten.
In Memmingen, aber auch in allen Orten Deutschlands spielt der Feminismus eine große Rolle für viele junge Frauen und Erstwähler*innen, wenn es darum geht, eine Partei auszusuchen. Welche*r Kandidat*in wird sich dafür einsetzen, dass ich fair bezahlt werde? Welche Partei kann dafür sorgen, dass Gendergerechtigkeit auch in ländlicheren Städten und Dörfern ankommt? In ihren Wahlprogrammen versuchen die Parteien, diesen Fragen nachzugehen und decken dabei verschiedene Aspekte ab. politikorange wagt den Gleichberechtigungs-Check.
Gewalt gegen Frauen
Gewalt gegen Frauen in Deutschland sowie ihre desaströsen Auswirkungen werden von den meisten Parteien anerkannt – nur im Wahlprogramm der AfD findet sie keine Erwähnung. Die Union plant, im Strafgesetzbuch eine Kategorie für häusliche Gewalt einzuführen. Die SPD möchte „Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Femizide” einrichten und betont außerdem, Frauen am Arbeitsplatz vor Gewalt schützen zu wollen, nach der ILO Konvention 190. Die Grünen fordern eine „Kriminalistikreform“ und möchten, genau wie FDP und Linke, mehr Plätze in Frauenhäusern schaffen. Außerdem fordern sie einen eigenen Aufenthaltstitel für betroffene Frauen, die von der Aufenthaltsgenehmigung ihres gewalttätigen Partners abhängen. Bis auf Union und AfD sprechen sich alle Parteien klar für eine Durchsetzung der Instanbul-Konvention aus: Dieses UN-Abkommen verpflichtet die Mitgliedsstaaten zu Sensibilisierung in Bezug auf sexualisierte Gewalt, folglich also Gewaltprävenition, Einrichtung von Frauenhäusern und Schutz durch wirksame strafrechtliche Normen.
Verhütung und Menstruation
Linke, Grüne und SPD sprechen sich für kostenlose Verhütung aus. Die Linken erwähnen außerdem kostenlos zugängliche Menstruationsprodukte. Forschung zu Verhütungsmitteln für Männer werden von beiden roten Parteien gefordert. Weder AfD noch Union oder FDP weisen konkrete Pläne auf, um Verhütung für alle Menschen zugänglicher zu gestalten und um Periodenarmut nachhaltig zu bekämpfen.
§218, 219a
Bei den Schwangerschaftsabbrüchen dreht sich viel um die Paragraphen 218 und 219a im Strafgesetzbuch. „Schwangerschaftskonflikte gehören nicht ins Strafrecht“, erklärt die SPD und unterstützt damit, gemeinsam mit Grünen und Linken, die Abschaffung der beiden Paragraphen, womit sie Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland grundsätzlich entkriminalisieren würden. Die FDP möchte zumindest den 219a streichen, der gegen ein Werbeverbot von Abtreibungen spricht, weshalb Informationen zu Abtreibungen, auch online, noch sehr limitiert sind. Weder Union noch AfD äußern sich in ihren Wahlprogrammen zu dem Thema.
Frauenquote und und Frauenförderung
Noch immer sitzen Männer viel häufiger als Frauen auf Führungsposten in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Die FDP erkennt das Problem und fordert viel mehr Transparenz und möchte Gründerinnen und Frauen in der Wissenschaft empowern. Sie sprechen sich aber gegen „starre Quoten“ aus und vertrauen auf die Selbstverpflichtung der Unternehmen zur Förderung von Frauen. Verschiedene Arten von Quoten werden wieder von grün, rot und rot gefordert: Die Linken wollen die Hälfte aller Führungspositionen mit Frauen besetzen, die SPD nur bei börsennotierten Unternehmen und in der Politik (Paritätsgesetze), die Grünen fordern vor allem die Förderung von Pfleger*innen und dazu eine Frauenquote an den Spitzen der medizinischen Branche. Die Union möchte zumindest eine Förderung von Frauen in MINT-Fächern und – Berufen. Für die AfD stellen jegliche Frauenquoten eine Form der „Diskriminierung“ dar, da sie angeblich die Annahme unterstützen, Frauen könnten nur durch eine Karriere ein „erfülltes und anerkanntes Leben“ erreichen.
Pay Gap
Am fortschrittlichsten beim Thema Gender Pay Gap sind die Parteien Grüne und Linke. Sie fordern ein „Entgeldgleichheitsgesetz“, das alle Unternehmen dazu verpflichtet, Pläne zur Schließung des Pay Gaps vorzulegen. Die Lösung der FDP ist wieder Eigenverantwortung und Transparenz, bei der größere Firmen ihre Daten selbst auswerten und vorlegen müssen. Das aktuelle Entgeldtransparenzgesetz ermöglicht es Frauen, die Gehaltsunterschiede in ihrem Unternehmen selbst herauszufinden. CDU und CSU räumen ein das Gesetz wenigstens zu evaluieren.
Prostitution
Auch, wenn Feminist*innen untereinander diverse Meinungen zu Sexarbeit und Prostitution haben, bleibt es ein zentrales Thema des öffentlichen Diskurses. Die Frauen-Union sprach sich für ein allgemeines Verbot der Prostitution aus, Bestrafung der Freier und gesundheitliche und psychologische Betreuung für Aussteiger*innen. Im Wahlprogramm der CDU und CSU kommt ein verstärkter Schutz der Sexarbeiter*innen zum Tragen, sowie eine Kontrolle der Prostitutionsstätten. Der letzte Punkt wird auch von den Grünen unterstützt, die zukünftig eine Erlaubnispflicht für Stätten in dem Gewerbe fordern. Linke möchten eine Entstigmatisierung und das wirtschaftliche Empowerment für selbstständige Sexarbeiter*innen.
Frauen, Frieden und Sicherheit: Resolution 1325
Die UN Sicherheitsratsresolution aus dem Jahr 2000 beinhaltet den Schutz von Frauen und Mädchen in Kriegsgebieten sowie die Stärkung der Teilhabe von Frauen an politischen Prozessen bei der Bewältigung und Verhütung von Konflikten. Deutschlands feministische Außenpolitik hat bisher sehr zu wünschen übrig gelassen. FDP, SPD und Grüne sprechen sich in ihrem Wahlprogramm klar für eine Umsetzung des Plans aus. Frauen, wie das Wahlprogramm der Freien Demokraten es formuliert, spielen eine „elementare Rolle in der internationalen Friedenssicherung, Streitschlichtung und Krisenprävention“.
Nach allen diesen Vorschlägen bleibt trotzdem noch eine Frage offen: Welche Partei kann sowohl in Gesetzen, als auch in der Gesellschaft selbst für Gendergerechtigkeit sorgen? Die Gleichberechtigung selbst ist schließlich seit 1949 im Grundgesetz verankert – und trotzdem ist der Feminismus noch nicht bei allen angekommen.
Beim nächsten Fischertag wird sich in Memmingen zeigen, ob sich etwas verändert hat: werden sich Frauen überhaupt trauen, mit in den Bach zu jucken? Oder werden wieder nur Männer, Väter und Söhne gemeinsam nach dem größten Fisch suchen? Wann wird es normal sein, das auch die Tochter mitmachen darf? Das Stigma um Frauen beim Fischertag wird weiterhin bleiben.