Martin Fuchs gibt gerne seinen Senf dazu – und zwar zur Politik. Als Wahlbeobachter und Politikberater kennt er sich aus mit der Parteienwelt in Deutschland. Im Interview mit Jule Zentek erzählt er, wie es derzeit im Wahlkampf zur Bundestagswahl abläuft.
Kaum ist der Tweet eines Politikers oder einer Politikerin raus, hat Martin Fuchs ihn schon gelesen. Der Wahlhamburger kennt sich aus mit dem politischen Geschehen und beobachtet vor allem den Onlineauftritt von deutschen Politikerinnen und Politikern und deren Parteien. Als Politikberater berät er Regierungen, Parlamente, Parteien und Politikerinnen bzw. Politiker zum Thema digitale Kommunikation.
Martin, wie informierst du dich jeden Tag über Politik?
Ich bin ein Informationsjunkie. 24 Stunden mache ich nichts anderes: Auf Twitter schaue ich, was nachts passiert ist und lese jeden Morgen Newsletter. Dann habe ich noch Monitorings angelegt, also neusten Blog- und Social-Media-Beiträge, die ich über den Tag hinweg lese. Allerdings habe ich auch mittlerweile den Luxus, dass mir meine Community Sachen aus Regierungszentralen und anderen Bereichen zusendet.
Politikberater – dein Berufswunsch seit der Kindheit oder eher Zufall?
Bis vor vielen Jahren wusste ich gar nicht, dass es einen Politikberater gibt. Das hat sich einfach ergeben. Ich war immer ein politisch denkender Mensch, hatte aber nie den Bedarf in die ersten Reihen der Politik zu gehen. Ich wollte immer noch ein Privatleben haben. Also schaute ich, was in der zweiten und dritten Reihe der Politik so passiert. Nach meinem medienwissenschaftlichen Studium arbeite ich als Lobbyist. Daraus entstand dann die Lust, was Neues zu tun. Ich sah Nachholbedarf im Bereich der Digitalisierung in der Politik und Verwaltung. So kam ich zur Gründung meines Blogs und so zu meinem Geschäftsmodell als Politikberater.
Du darfst also immer deinen Senf dazugeben – wie fühlt sich das an?
Wenn man das jeden Tag macht, vergisst man, dass man mit vermeintlich mächtigen Leute zusammensitzt. Die sind aber auch nur normale Menschen. Natürlich freut man sich, wenn die eigenen Sachen umgesetzt werden und dann auch noch funktionieren. Das ist ein sehr erhabenes Gefühl. Aber ich glaube in keinem Beratungsprojekt wurde jemals eins zu eins umgesetzt, das wäre wohl der Traum jedes Beraters. In der Verwaltung gibt es so viele Leute, die reinreden und so viele Gesetze und Verordnungen, als dass man Dinge einfach umsetzen kann.
Wie ist es zu deinem Blog „Hamburger Wahlbeobachter“ gekommen?
Als ich 2011 nach einem Sabbatical-Jahr zurück nach Hamburg kam, wurde überraschend und kurzfristig eine Bürgerschaftswahl angesetzt. Sechs Wochen lang habe ich dann jeden Tag alle Zeitungen gelesen und festgestellt, dass die klassischen Medien mich als Wähler überhaupt nicht informiert haben. Daher habe ich angefangen selbst zu recherchieren und auf dem Blog zu veröffentlichen. Innerhalb von drei Wochen hatte ich zwei Skandale aufgedeckt. In Hamburg war ich auf einmal allen Journalisten und vielen Politikern bekannt. Und ich bekam auch von meinen Lesern gutes Feedback. Das war Motivation genug.
Was waren das für Skandale?
Die Stadt Hamburg hatte damals ein Wahlportal, in dem nur die vier größten Parteien und die FDP vertreten wurde. Das fand ich undemokratisch und habe dann Blogeinträge dazu verfasst. Der Senat musste drei Tage später eine Pressekonferenz abgeben und das Wahlportal abschalten. Die damalige FDP-Spitzenkandidatin Katja Suding gab an als Kommunikationsberaterin zu arbeiten. Doch ich habe dann herausgefunden, dass sie kurz vor dem Wahlkampf Alkohollobbyist wurde und den größten internationalen Alkoholkonzern in politischen Fragen beriet. Eine wichtige Info für die Bürger. Also bloggte ich darüber, als erster.
Bloggst du aktuell über die Bundestagswahl?
Das ist eine Achillessehne. Da ich aktuell so viel zu tun habe, komme ich gar nicht mehr richtig dazu aber es wird definitiv zur Bundestagswahl wieder Blogeinträge geben. Ich blogge auch jeden Tag auf Twitter und Facebook.
Wie ist der Wahlkampf 2017 anders als der vor vier Jahren?
Wir erleben einen wesentlich spannenderen Wahlkampf als vor vier oder acht Jahren. Rot-Rot-Grün wäre möglich und das motiviert die Parteien und viele Wahlkämpfer. Das wiederum fordert das konservative Lager, die CSU und die FDP heraus. Zweitens hat sich die Welt in den letzten vier Jahren extrem weiterentwickelt, was das Kommunikations- und Informationsverhalten der Bevölkerung, aber auch was die Entwicklung der Technologie angeht. Der Wahlkampf wird stärker auf Online-Medien basieren. Zum Beispiel werden Parteien nicht mehr nur selbst kommunizieren, sondern Leute mobilisieren, die digital in ihrem Freundeskreis für eine Partei werben.
Welche Rolle spielt der Online-Wahlkampf für die Entscheidung der Wähler?
Wahlentscheidungen sind so komplex, dasss es schwierig ist zu sagen, welches Tool welchen Anteil zur Wahlentscheidung beigetragen hat. Aber über Social-Media kann ein wesentliches Vertrauen zu Parteien und Politiker wiederhergestellt werden. Und es gibt immer mehr Menschen, die sich nur noch über Onlinequellen und Social Media informieren. Da ist es schon ein Must für die Parteien, dort präsent zu sein. Außerdem hat man über Online-Werbung die Chance, nicht nur zielgerichtet Leute zu erreichen, sondern auch sehr schnell eine enorm große Reichweite zu haben und das für ein kleines Budget.
Facebook, Twitter, Instagram oder Snapchat – welche Online-Plattform ist für Parteien eigentlich am sinnvollsten?
Das ist abhängig davon, wen die Partei erreichen möchte. Das sind bestimmte Leute, mit einem bestimmten soziodemografischen Hintergrund, aus bestimmten Gebieten, mit bestimmten Altersstrukturen und so weiter. Das kann für eine Partei wie die NEOS in Österreich Tinder sein. Das kann für die FDP Xing oder LinkedIn sein. Das kann am Ende des Tages auch Facebook sein. Was natürlich jede Partei hat, sind Facebook und Twitter. Das heißt aber nicht, dass es die effektivsten Kanäle sind.
Welche Parteien nutzen die Möglichkeiten von Social Media wirklich gut aus und wer kann sich da noch verbessern?
Vom Gefühl her würde ich sagen, dass kleine Parteien große Vorteile haben, weil sie weniger Hierarchien haben und vielleicht auch mutiger sind. Außerdem haben sie weniger Budget und wollen dann direkt mehr online machen. Speziell gefällt mir das, was gerade die FDP und auch in Teilen, was die Grünen machen. Die haben die Netzkultur mit ihrem Witz, der Selbstironie und Selbstkritik komplett verinnerlicht. Das größte Nachholpotenzial haben hingegen die Parteien auf Landes- und Kommunalebene. Wenn ich mir einige von den 4.000 Kandidaten angucke, hat rund die Hälfte Online nicht verstanden. Und natürlich haben die großen Volksparteien den größten Nachholbedarf. Da sitzen mittelalte Männer und Frauen, die kein Gefühl für das Internet und keinen Mut haben, Kontroll- und Informationsverlust zuzulassen. Gerade das benötigt aber Social Media.
Die Chance für einen Fauxpas von Politikern auf Social Media ist groß, das hat Peter Tauber erst neulich gezeigt. Welche Dos und Don’ts gibt es im Online-Wahlkampf?
Politiker wollen Diskurse anstoßen. Und was hat Peter Tauber gemacht? Er hat in einem emotionalen Moment eine Antwort hingeschludert, die einen Riesendiskurs in Deutschland initiierte. Das war eine Riesenchance für die CDU ihre sozialpolitischen Forderungen deutlich zu machen. Also im Grunde genommen ist das, was Peter Tauber gemacht hat, für mich kein Fauxpas, sondern Best Practice. Der größte Fauxpas den man machen kann, ist keinen Mut zu haben und seine Accounts nicht zu pflegen. Das sehe ich leider sehr oft, insbesondere bei SPD-Kandidaten. Die haben dann so eine schöne Facebook-Seite für drei, vier Monate und nach der Wahl wird die sofort gelöscht.
Bundestagswahl 2021: Wie sehen die Bundestagswahlen zukünftig aus?
Das kann ich so natürlich nicht sagen. Aber wir sehen einen Trend zur Messengerisierung der Gesellschaft. Kommunikation wird immer stärker in geschlossene Bereiche abwandern, also in Facebook-Messenger, Signal, Whatsapp. Zum Beispiel mithilfe von Bots. Ein weiterer Trend ist, dass man in Zukunft von einem Wahlkampf sprechen wird, der dann für verschiedene Zielgruppen, auf verschiedenen Plattformen und Kanälen geführt wird und integriert erfolgt. Das heißt, wenn ich etwas online mache, versuche ich trotzdem auch die Leute für eine Offline-Veranstaltung zu mobilisieren. Wenn ich offline einen Haustürwahlkampf mache, muss ich den in Echtzeit begleiten, damit das wesentlich mehr Leute mitkriegen. Und als dritten Trend werden wir wesentlich mehr mit analysierten Daten arbeiten. Dadurch ist zielgerichteter Werbung möglich und Parteien bekommen ein besseres Stimmungsbild, wodurch sie dann auch besser wissen, wie sie Themen aufbereiten müssen.