Wenn Medienhäuser um die Gunst von Lesern und Leserinnen werben, ist Qualität ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Das System „Cockpit“ wurde auf dem BDZV 2016 von Dr. Wolfram Kiwit, Chefredakteur der Ruhr Nachrichten und Bernd Weber, Geschäftsführer der mct Medienagentur, vorgestellt. Sandra Kluck hakt nach.
Wie schon viele Journalisten und Journalistinnen sahen sich auch Wolfram Kiwit und seine Redaktion mit erheblichen Veränderungen ihrer Arbeitsbedingungen konfrontiert. Durch den Wegfall der Konkurrenten Westdeutsche Allgemeine Zeitung und Westfälische Rundschau gab es kaum noch Vergleichsmöglichkeiten in der Dortmunder Presselandschaft. Der Lokalteil der beiden Medien wird nun gänzlich von den Ruhr Nachrichten produziert. Gleichzeitig ist der Wettbewerb im heutigen digitalen Zeitalter so vielfältig wie nie zuvor – die Leier von der Digitalisierung ist allseits bekannt.
Objektivität statt Bauchgefühl
Für Kiwit und Kollegen bedurfte es eines neuen Maßstabs für die eigene Arbeit. „Monomedial“ sei man damals noch vorgegangen, erzählt Kiwit und erinnert an die drei vor ihm auf dem Tisch ausgebreiteten Tagesausgaben der Dortmunder Lokalpresse. Das sei lange Zeit eine gängige Qualitätskontrolle gewesen, indem man darüber gemeinsam diskutiert hat, was die Konkurrenz gut gemacht habe.
Der Schwund dieser Vergleichsmöglichkeit stellte einen Schlüsselmoment für die weitere Entwicklung des redaktionellen Qualitätsmanagements dar; Kiwit unternahm vor drei Jahren den Schritt und ging auf die Dortmunder Medienagentur mct zu. Dort entwickelte seine Redaktion mit dem Zeitungsforscher Günther Rager ein neues Verfahren: „Cockpit“. Dieses überführt die Diskussion um Qualität in Zahlen, was nach Kiwit eine objektive Betrachtung „weg vom Bauchgefühl“ erlaube.
Journalistische Qualität quantifizieren
Bei „Cockpit“ handelt es sich um eine quantitative Inhaltsanalyse, die für jeden einzelnen Beitrag vorgenommen wird. Dabei wird erfasst, ob bestimmte Kriterien journalistischer Qualität in einem Beitrag erfüllt werden oder nicht. Die Kriterien sind der Darstellungsform angepasst. Für jede Seite wird nach der Codierung ein Index berechnet, der aussagt, wie viel Prozent journalistischer Gütekriterien die betreffende Seite erreichen konnte. Ein Wert ab etwa 60 Prozent sei schon nicht schlecht, erklärte mct-Geschäftsführer Bernd Weber im Vortrag. Weitere Nachforschungen ergaben, dass die positive Bewertung bestimmter Artikel durch die Leser und Leserinnen maßgeblich mit hohen „Cockpit“-Werten einherging.
System wird gut angenommen
Kiwit zeigt sich begeistert. Nachdem er lokal keine Vergleiche mehr ziehen konnte, stellte er sich die Frage, welche weiteren Messgrößen seiner Redaktion noch bleiben. Auflagenzahl allein reiche hier nicht aus, auch mit Befragungen der Leser und Leserinnen habe man gearbeitet. Mit „Cockpit“ liege ihm ein Messinstrument in den Händen, mit Hilfe dessen die Arbeit in der Redaktion gezielt gesteuert werden könne. Ein vergleichbares Qualitätsmanagement-system sei ihm nicht bekannt.
Das beste Tool helfe einer Redaktion aber nicht, wenn es keine Akzeptanz erfährt, führt er aus. Bei Einführung von „Cockpit“ habe man deshalb auf offene Diskussion und Erklärung gesetzt um zu erreichen, dass alle auch „die Chancen darin sehen, nicht nur die Risiken“. Seit drei Jahren gehöre das Tool zum Alltag seiner Redaktion.
Erfahrung schützt nicht vor Unachtsamkeit
Kiwit räumt ein, dass seine Technik auch nur 20 von 360 Grad Rundumblick erlaube. Der Fokus liege jedoch bewusst auf der handwerklichen Komponente und reflektiere die aktuelle Tagesausgabe nach den handfesten Kriterien: Aktualität, Vermittlung, Relevanz und Richtigkeit.
Sicherlich machen gute „Cockpit“-Indizes „keine super Lokalausgabe“ aus, fasst Kiwit zusammen, denn „ob Vor- und Nachspeise zusammenpassen“ wird von vielen Zutaten mitbestimmt.
In Zukunft möchte Kiwit noch weitergehen oder besser einen Schritt zurück, denn momentan arbeitet er an einer App, die es Redakteuren und Redakteurinnen erlaubt, ihre Berichte schon vor Veröffentlichung einer Qualitätskontrolle zu unterziehen. Die App „txt_check“ funktioniert im Grunde wie eine digitale To-Do-Liste, in der auch die handwerklichen Kriterien abgefragt werden. Der Chefredakteur rät, zu reflektieren: „Habe ich an alles gedacht?“
Kiwit verliert die Konkurrenz nicht aus den Augen: Wettbewerb halte wach – „nun müssen wir uns selbst wachhalten“.
Dr. Wolfram Kiwit, Chefredakteur der Ruhr Nachrichten, stellt in das System „Cockpit“ kurz und saftig vor.
Sabine Morche, Redaktionsleitung des Mindener Tagesblatts stellt „Azubify“ kurz und saftig vor.