„Wir müssen als Gesellschaft diskutieren, was uns unabhängiger Journalismus wert ist“

Die grüne Landtagsabgeordnete Claudia Maicher berichtet im Interview über ihre Arbeit als Vorsitzende des Ausschusses für Medien und zeigt auf, warum die Pressefreiheit in Sachsen besonders bedroht ist.

Claudia Maicher sitzt seit 2014 für Bündnis90/Die Grünen im Sächsischen Landtag in Dresden. Wir haben sie in ihrem Wahlkreisbüro in Leipzig getroffen.
Claudia Maicher sitzt seit 2014 für Bündnis90/Die Grünen im Sächsischen Landtag in Dresden. Wir haben sie in ihrem Wahlkreisbüro in Leipzig getroffen. Foto: Jugendpresse Deutschland e.V./ Ella Sophia Seeger

politikorange: Wie schätzen Sie die Lage der Pressefreiheit in Deutschland aktuell ein?
Claudia Maicher: Wir sehen, dass die Ausübung der journalistischen Tätigkeiten an vielen Stellen eingeschränkt ist. Nicht so, wie wir es in Diktaturen erleben, aber es ist beängstigend, wie viele Angriffe auf Journalist*innen dokumentiert werden. Das ist eine große Gefahr für die Pressefreiheit.

Und wie ist die Situation spezifisch in Sachsen?
In Sachsen werden Journalist*innen besonders stark bedroht und beschimpft. Ich erlebe hier in den letzten Jahren sehr oft, dass die Ausübung des Berufs auf Demonstrationen teilweise gar nicht möglich ist. Die Zahlen des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) zeigen, dass von 2015 bis 2022 in Sachsen allein 104 von deutschlandweit insgesamt 321 Angriffen auf Journalist*innen gemeldet wurden. Das ist eine klare Häufung.

Woran liegt es, dass die Lage in Ostdeutschland besonders prekär ist?
Das hat mit den häufigen Demonstrationen zu tun und einer in den letzten Jahren stark gewachsenen, sehr aggressiven Streit- und Demonstrationskultur, insbesondere von rechtsextremer Seite. Das Recht auf Versammlungsfreiheit wird genutzt, um gewalttätig gegen Presse- und Medienvertreter*innen vorzugehen. Hinzu kommt eine in ostdeutschen Ländern verhärtete Kritik an öffentlich-rechtlichen Medien. Auch erlebe ich, dass Journalist*innen in Sachsen stärker als in anderen Ländern ein Haltungsjournalismus vorgeworfen wird. Es wird gar nicht mehr unterschieden zwischen unabhängiger Berichterstattung zu relevanten Themen, die in der Gesellschaft kritisch besprochen werden müssen, und dem Vorwurf der Kampagnenarbeit.

Zum Teil werden Journalist*innen auf Demonstrationen auch vonseiten der Polizei an ihrer Arbeit gehindert. Was läuft hier falsch? Hier greift schließlich eine staatliche Institution in die Pressefreiheit ein.
Das ist definitiv zu beobachten. Bei der Polizeilichen Kriminalstatistik sind viel weniger Fälle gemeldet als bei den Zahlen des ECPMF und ich frage mich, woran das liegt. Womöglich hat das damit zu tun, dass Journalist*innen weniger Vertrauen in die Polizei haben. Das muss uns zu denken geben, weil eine unabhängige Berichterstattung das ureigenste Interesse unserer Gesellschaft ist. Und wenn dies schon in der Ausübung von denjenigen, die sie schützen sollen, nicht ausreichend wahrgenommen wird, dann ist das ein Riesenproblem. Es kann in einer Demokratie nicht sein, dass Journalist*innen auf Veranstaltungen von der Polizei weggedrängt werden oder sich eigenen Schutz mitbringen müssen.

Wie kann die Politik dieses Problem angehen?
Wenn es innerhalb der Polizei zu Verstößen kommt, dass sie sich an Einschränkungen der freien Berichterstattung auf Demonstrationen beteiligen, müssen diese erfasst und geahndet werden. Vor allem aber braucht es eine bessere Aus- und Weiterbildung bei der Polizei. Es muss viel stärker auf die Fragen im Umgang mit Medienvertreter*innen auf Demonstrationen eingegangen werden, welche Rechte sie haben und welchen Schutz sie brauchen. Das ECPMF erarbeitet hierzu Leitfäden, die mit der Polizei und Medienvertreter*innen gemeinsam aufgestellt und diskutiert werden. Als Politik ist es unsere Aufgabe, die entsprechenden Ressourcen bereitzustellen.

Was tun Sie als politische Entscheidungsträgerin sonst noch, um die Pressefreiheit in Sachsen zu schützen?
Zuerst einmal bin ich eine klare Verfechterin von Unabhängigkeit von Politik und Journalismus. Wir als Freistaat, beziehungsweise als Politik, können natürlich keine Inhalte fördern oder fordern. Deswegen bin ich für eine strikte Trennung. Aber das heißt nicht, dass wir nicht in einen starken Austausch treten. Im Medienausschuss haben wir regelmäßig die Intendant*innen der Öffentlich-Rechtlichen zu Gast und sprechen über notwendige Entwicklungen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Erhalt von Medienvielfalt, denn lokalen Medien brechen Finanzierungsmöglichkeiten weg. Wir finanzieren über die Sächsische Landesmedienanstalt Lokaljournalismus, damit dieser überhaupt überleben kann. Auch das ECPMF wird sehr deutlich finanziert, damit beispielsweise juristische Beratung für Journalist*innen stattfinden kann. Das haben wir als Grüne Fraktion in den Haushaltsverhandlungen vorangebracht.

Es kommt immer wieder vor, dass Teile der AfD gegen Journalist*innen hetzen, sie als „Lügenpresse“ betiteln. Wie gehen Sie damit um und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit im Ausschuss, in dem auch AfD-Abgeordnete vertreten sind?
Die AfD stachelt Menschen in Sachsen gegen Journalist*innen auf und sieht Beitragsgelder nur dann als legitim an, wenn verbreitet wird, was sie gerne hören wollen. Sie trägt zur Bedrohung der Pressefreiheit bei. Und deswegen gibt es von meiner Fraktion keine politische Zusammenarbeit mit der AfD. Natürlich sitzt die AfD als zweitgrößte gewählte Fraktion in Sachsen im Landtag und sie sitzt auch in den Ausschüssen, aber das heißt nicht, dass man zusammenarbeiten muss. Im Gegenteil müssen wir in der parlamentarischen Arbeit die Probleme klar benennen und uns deutlich dafür aussprechen, die Freiheit von Presse und Medien zu verteidigen.

Die weltweite Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen zeigt ein erschütterndes Ergebnis: Deutschland ist zum zweiten Mal in Folge um mehrere Ränge abgerutscht. Überrascht sie das?
Das hat mich weniger überrascht, denn wir sehen an den Debatten in der Öffentlichkeit, dass die Zuspitzung stärker wird. Die Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Bedrohungen einzelner Journalist*innen haben extrem zugenommen. Das ist nicht nur in Sachsen so, überall haben die Proteste während der Corona-Pandemie zugenommen, bei denen es zu Angriffen auf Journalist*innen kommt. Der Unmut, dass nicht so berichtet wird, wie man selbst möchte, spitzt sich immer weiter zu und deswegen verwundert mich der derzeitige Abwärtstrend nicht.

Was ist Ihre Prognose für die Zukunft, wird sich dieser Abwärtstrend weiter fortsetzen?
Ich hoffe darauf, dass sich die Situation verbessern wird. Aber ich bin verhalten optimistisch, weil die harten Auseinandersetzungen der letzten Jahre weiter bestehen. Wir müssen als Gesellschaft viel stärker diskutieren und wahrnehmen, was uns unabhängiger Journalismus wert ist. Das heißt, wir müssen uns fragen: Was brauchen Journalist*innen? Wie kann Schutz ganz konkret aussehen? Ohne unabhängigen Qualitätsjournalismus können wir unsere Demokratie nicht erhalten, weil nur so Meinungsbildung möglich ist. Deswegen müssen wir ihn verteidigen.

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