Zwischen Polizei und Demonstrierenden: Berichterstattung aus Lützerath

Anfang des Jahres richteten sich national und international alle Augen auf einen kleinen Ort in Nordrhein-Westfalen: Der Weiler Lützerath wurde geräumt. Er musste weichen für den Tagebau Garzweiler II. Aktivist*innen stellten sich dieser Räumung in den Weg, die Presse verfolgte das Geschehen – allerdings mit erheblichen Einschränkungen.

Ein*e Polizist*in entwendet einem*r Journalist*in ihr Telefon beim Versuch Jörg Reichel vom Journalist*innenverband zu erreichen.
Ein*e Polizist*in entwendet einem*r Journalist*in ihr Telefon beim Versuch Jörg Reichel vom Journalist*innenverband zu erreichen. Foto: Moritz Heck

Journalistisches Arbeiten in Lützerath soll „zeitlich und räumlich begrenzt“ werden. So zitiert die taz einen Leitfaden, den der Energieversorgungskonzern RWE zum Umgang mit der Presse erarbeitet hat. Ein Einschnitt in die Pressefreiheit: In einem so demokratischen Land wie Deutschland eigentlich unvorstellbar und trotzdem Realität. Immer wieder werden Medienschaffende auch hierzulande an ihrer Tätigkeit gehindert. Gerade heute, am Tag der Pressefreiheit, wird das wieder besonders deutlich. Erneut rutscht Deutschland im Ranking von Reporter ohne Grenzen (RSF) ab, diesmal auf Platz 21 – dem niedrigsten seit Erstellen des Rankings.

Dabei ist es fatal zu glauben, dass das nur an Querdenker-Demos liegt. Lotte Laloire, Pressereferentin bei RSF, sieht auch bei Klima-Demonstrationen eine „besorgniserregend hohe Anzahl an Angriffen“ auf die Presse. Deshalb hat auch die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in der Gewerkschaft ver.di genau diese Demos im Blick. „In der Vergangenheit haben wir in Sachen Pressefreiheit bei Klima-Demonstrationen schlechte Erfahrungen gemacht“, berichtet Jörg Reichel. Er ist der Geschäftsführer der dju Berlin-Brandenburg und war bei der Räumung von Lützerath vor Ort. Dort fungierte er als Mittelsmann und übernahm die Kommunikation zwischen der Polizei, der Security von RWE und der Presse. Er dokumentierte darüber hinaus Verstöße gegen die Pressefreiheit. Anschließend veröffentlichte er eine Bilanz – und die fällt nicht gut aus.

Reichel bewertet zwar die Arbeitsbedingungen für Journalistinnen und Journalisten innerhalb des Dorfes als „positiv und überwiegend pressefreundlich“. Er kritisiert jedoch, dass eine „Struktur an Verboten und Geboten rund um Lützerath“ kreiert wurde, die Journalist*innen in unterschiedlicher Art und Weise einschränkte. Zusätzliche Akkreditierungsverfahren oder zeitliche und räumliche Einschränkungen erschwerten die Arbeit strukturell. Durch tätliche und sexuelle Übergriffe sowie Beleidigungen wurden Pressevertreter*innen in Einzelfällen Opfer von Repressionen.

Fragwürdige Akkreditierungen

Einer der Fotografen vor Ort war Ingmar Nolting. Er berichtet, dass neben dem Presseausweis, der für gewöhnlich als Nachweis journalistischer Tätigkeit ausreicht, in Lützerath eine weitere Akkreditierung durch die Polizei notwendig gewesen sei. Zusätzlich mussten Journalist*innen eine Haftungsvereinbarung gegenüber RWE unterschreiben. Damit erklärten sie, dass sie Lützerath „auf eigene Gefahr und auf eigenes Risiko“ betreten. Unmittelbar nach dem Unterzeichnen soll es dann allerdings zu Hintergrundchecks und Abfragen von Datenbanken durch die Polizei gekommen sein, kritisiert die dju.

Medienrechtler Tobias Gostomzyk von der TU Dortmund erklärt, dass eine zusätzliche Akkreditierung durchaus plausibel sein kann. Bei besagtem Gelände habe es sich zum Zeitpunkt der Räumung bereits um Privateigentum der RWE gehandelt. Damit gelte das Hausrecht, so Gostomzyk. Die dju ist allerdings der Auffassung, dass an dem Fall Lützerath ein hohes öffentliches Interesse bestand. Aus diesem Grund müsse der Zutritt für Journalist*innen ohne große Hürden gegeben sein. Größtenteils wurde er zwar gestattet, allerdings nur unter erschwerten und undurchsichtigen Bedingungen.

Zeitliche und räumliche Begrenzung

„Ich möchte nicht den Service der Polizei annehmen, um meine Arbeit auszuführen“, ärgert sich der Fotograf Ingmar Nolting, denn der Zutritt zu Lützerath war für Journalist*innen nur mit einem Shuttle-Service der Polizei möglich. Laut dju gab es außerdem nicht genügend Zugänge und diese wurden wiederholt über längere Zeiträume geschlossen.

Im Weiler waren bestimmte Bereiche nicht betretbar. Andere nur zu bestimmten Uhrzeiten – und das, obwohl auch außerhalb dieser Zeitfenster Demonstrationen und Einsätze stattgefunden haben. Jörg Reichel von der dju berichtet, dass zeitweilig Gebäude gesperrt wurden, während im Inneren Einsätze stattfanden. Eine unabhängige Berichterstattung über diese Polizeieinsätze war so nicht möglich. Dem steht auch Medienrechtler Gostomzyk kritisch gegenüber: „Immer, wenn derartige, viel beachtete Polizeieinsätze wie in Lützerath stattfinden, muss auch die Presse nach meiner Auffassung im Dienste der Öffentlichkeit begleitend berichten können“, mahnt er.

Direkte Angriffe auf Journalist*innen

Schikanöses Verhalten seitens der Polizei und Security soll ebenfalls kein Einzelfall gewesen sein, bilanziert die dju. „Manchmal hieß es einfach ‘Hier nicht’ oder ‘Lauf da lang’“, erinnert sich Fotograf Nolting. Dann haben die Journalist*innen scheinbar unbegründet durch Matsch statt auf festem Boden laufen müssen. In einem Fall sollen auch Demonstrierende die Presse angegriffen haben. Bei einer Demonstration gingen Teilnehmer*innen ein Kamerateam des niederländischen Senders PowNed körperlich an, schildert dju-Geschäftsführer Reichel.

Auch verzeichnete die dju konkrete tätliche Übergriffe auf Medienschaffende. In mehreren Fällen sollen Journalist*innen körperlich angegangen worden sein. Sexuelle Beleidigungen sowie ein sexueller Übergriff werden ebenfalls aufgeführt. Davon berichtet die betroffene Journalistin Armilla Brandt auf Twitter. Ein Polizist sei sehr nah an ihr vorbeigelaufen und habe ihr an den Po gefasst, schreibt sie.

„Im Journalismus gab es immer so eine gewisse Zurückhaltung, sich selbst zu thematisieren“, erinnert sich Reichel. Über Angriffe auf die eigenen Journalist*innen wollte man lange nicht berichten. Doch immer mehr Journalist*innen, Verleger*innen und Chefredakteur*innen seien nun dazu bereit, genau diese zu thematisieren. Die Zurückhaltung sei mehr oder minder gewichen. „Es wird nicht mehr still gelitten, es wird darüber berichtet. Das ist etwas, was ein Dunkelfeld erhellt“, sagt Reichel. „Und das ist auch richtig so!“

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