Schönes neues Land?

Sozialer Zusammenhalt, Nähe und Verbundenheit zur Natur – obwohl das Leben im ländlichen Raum so schön ist, ziehen immer mehr junge Menschen weg. Doch Beachtung findet dieses Problem auf Bundesebene kaum. politikorange-Redakteurin Vivienne Fey berichtet aus ihrem nordhessischen Heimatdorf und hat konkrete Forderungen an die Bundesrepublik. 

Lebensrealität Land – eine andere als im städtischen Raum. Foto: Jugendpresse Deutschland / Vivienne Fey

Aufgewacht vom melodischen Vogelgezwitscher beginnt der Sonntagmorgen in meinem 600-Einwohner-Heimatdorf im Werra-Meißner-Kreis in Nordhessen. Auf der Terrasse am Waldrand frühstücken, später noch eine Tasse Kaffee mit der Nachbarin trinken. Dann muss ich auch schon wieder die Koffer packen, um pünktlich zum Semesterstart in der Studienstadt zu sein. Was ein schönes, erholsames Wochenende. 

So viele Probleme der Großstädte, über die in Berlin diskutiert wird, spielen hier kaum eine Rolle. Steigende Mieten oder Wohnungsknappheit? Nicht hier, wo die Häuser von verstorbenen Menschen reihenweise leer stehen. Fleisch aus Massentierhaltung klingt wie ein Fremdwort, kennt man doch den Bauernhof im Nachbardorf. Regional Lebensmittel zu kaufen und Essensreste an Nachbarn zu verschenken, war schon Alltag, bevor Foodsharing oder Bio-Obst- und Gemüsekisten in hippen Großstädten zum Trend wurden. Ganz zu schweigen von der effektiven Erholung durch die Nähe zur Natur, weniger Stress durch geringere Lärmbelastung und ein gut funktionierendes soziales Netzwerk zur Unterstützung von Alten oder Kranken. Der Werra-Meißner Kreis kann echt schön sein. 

Trotzdem hält uns junge Menschen wenig hier, die Einwohnerzahl sinkt immer weiter und mittlerweile sind wir sogar der Kreis mit dem höchsten Altersdurchschnitt in ganz Hessen. Für mich ist das auch kein Wunder: Die nächste Universität ist schließlich eine knappe Stunde entfernt, durch die Pandemie hat sogar der letzte Club geschlossen, Busse fahren höchstens im 2-Stunden Takt in die nächste Kleinstadt und selbst dort beschränkt sich das Freizeit- und Kulturangebot auf das Nötigste. 

Was wollen die Parteien dagegen tun?

Doch bei einem Blick in die Wahlprogramme zur Bundestagswahl stelle ich fest: Eine echte Rolle spielt diese verheerende Situation für die meisten Parteien leider nicht. Allein die Tatsache, dass die Programme nicht zwischen abgelegenem, strukturschwachem Kleindorf und finanziell schlecht gestellter Kommune differenzieren, zeigt, wie wenig die Politik die Problematik verstanden hat. Bei CDU und Grünen findet sich etwas über den lebenswerten ländlichen Raum immerhin schon direkt im Inhaltsverzeichnis. Die CDU betont dabei explizit die zu erhaltende Lebensqualität und verfolgt mit ihrem im Wahlprogramm beschriebenen Förderprogramm zur Dorfkernsanierung, dortiger Ansiedlung von Startups und Errichtung von Coworking Spaces in Kleinstädten und Dörfern einen guten Ansatz. 

Wo sich leerstehende Häuser aneinanderreihen, klingt die Forderung nach einem Mietendeckel fast skurril. Foto: Jugendpresse Deutschland / Vivienne Fey

Auch die Grünen legen viel Wert auf belebte Dorfkerne. Zusätzlich sehen sie Abhilfe in selbst zu verwaltenden Regionalbudgets, die im Rahmen einer sogar im Grundgesetz verankerten „Regionalen Daseinsvorsorge“ Kommunen unterstützen sollen. Außerdem betonen die Grünen die Notwendigkeit von flächendeckendem Internet und klaren Mindeststandards hinsichtlich Mobilität und Gesundheitsversorgung, die deutschlandweit erfüllt werden sollten. 

Sehr wenig Beachtung findet das Thema allerdings bei der SPD. Und vielmehr als die indirekte finanzielle Unterstützung der Kommunen durch ein bundesweit vorgesehenes Entschuldungsprogramm und Digitalisierungspläne kann ich auch dem Wahlprogramm der FDP nicht entnehmen. Die Linke konzentriert sich ebenfalls vor allem auf die Finanzierung und fordert eine Rekommunalisierung von Wohnungen, Krankenhäusern, Wasser- und Energieversorgung. Am meisten enttäuscht mich allerdings die AfD, die das ländliche Leben durch die Betonung und Stärkung regionaler Identität und Kultur stärken möchte und dabei einen Schritt in die völlig falsche Richtung geht. Weltoffenheit und Internationalität hat noch keiner Gesellschaft geschadet meinem abgelegenen Dorf erst recht nicht. 

Die Bundespolitik muss den ländlichen Raum mehr unterstützen

Die Lokalpolitik ist bemüht, doch das allein kann nicht ausreichen, um den besonderen Herausforderungen gerecht zu werden und das Potential vollständig und gezielt auszuschöpfen. 

Der ländliche Raum muss auf der Bundesebene stärker berücksichtigt und konkret unterstützt werden. Dazu wäre es zunächst erstmal notwendig, den ländlichen Raum zu definieren und zu typisieren. „Politik für ländliche Räume“ sollte als Querschnittsthema stärker beachtet werden, gleichzeitig aber auch als eigenständiger Aspekt behandelt werden. Die in den Wahlprogrammen genannten Punkte sind gute Ansätze, doch mir fehlen immer noch wirklich kreative und innovative Ideen, zusammenhängende Konzepte und der Mut zur zukunftsfähigen Gestaltung des ländlichen Raumes.

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