In zwei Tagen vom Kabinetts- zum Katzentisch

Innerhalb von 48 Stunden wird die Aussicht der Linken auf eine Regierungsbeteiligung im Keim erstickt. Lucie Keller über Euphorie und Enttäuschung, Hoffen und Hadern am Wahlwochenende. 

Es geht um Alles oder Nichts. Linken-Parteivorsitzende Janine Wissler vergangenen Freitag beim Wahlkampfabschluss in Berlin. Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Kurz vor 18 Uhr auf der Wahlparty der Linken im Festsaal in Berlin-Kreuzberg. Die Location ist ausgeleuchtet in rotem Licht, zwischen Industriecharme und Grün-Oase, riecht nach Pommes, Popcorn und Zigaretten. Auf den Bildschirmen, die gleich die ersten Hochrechnungen zeigen sollen, läuft eine Diashow der Linken-Spitzenköpfe aus dem Wahlkampf. Noch ist es ein bisschen wie auf einer Hochzeit. Die Stimmung jedoch ist „nur trügerisch gut“, sagt Lucas Fiola, der das letzte halbe Jahr als Praktikant in der Linken Geschäftsstelle verbracht hat. „Alle wissen, wie knapp es ist“.

Als der pinke Fünf-Prozent Balken der Linkspartei in der 18-Uhr-Prognose auftaucht, bleibt es ruhig. Kein Applaus wie etwa bei SPD und Grünen. Den gibt es auch nicht als Dietmar Bartsch anschließend den „engagiertesten Wahlkampf aller Zeiten“ oder die „leidenschaftlichen Parteivorsitzenden“ lobt – an beidem habe das schlechte Ergebnis natürlich nicht gelegen, ganz sicher nicht, das wird man in den nächsten Stunden noch oft beteuern. 

Was die Hoffnung war

Es ist ein tiefer Fall, verglichen mit der Lage der Partei zwei Tage zuvor. Freitagabend am Alexanderplatz in Berlin. Auf dem Wahlkampfabschluss geht es leidenschaftlich zu. Das Auftreten ist geschlossen, kämpferisch, regierungswillig. Als möglicher Koalitionspartner im Gespräch hatte sich die Partei so weit vorgewagt wie möglich, ohne eigene Grundpositionen zu verraten. Das am 6. September veröffentliche 10-Punkte-Sofortprogramm lag für mögliche Sondierungsgespräche als Angebot auf dem Tisch, die zuvor kontrovers diskutierte Außen- und Sicherheitspolitik der Partei kam hier absichtlich nicht vor. Die Direktkandidatin im Wahlkreis Berlin Mahrzahn-Hellersdorf Petra Pau ruft von der Bühne Richtung Fernsehturm, dass die Linken „die Kräfteverhältnisse in diesem Land zum Tanzen bringen“. Ein Bild wie David gegen Goliath und die etwa 500 Gäste sind sich einig: Wenn wir alle nur fest genug daran glauben, dann reicht es für R2G und die Linke kann das erste Mal Regierungsverantwortung übernehmen. 

Die Kräfteverhältnisse tanzen nicht nach links

Zurück zu Sonntagabend. Himmel und Stimmung werden duster. Laut Hochrechnungen gibt es keine Mehrheiten für rot-grün-rot. Die Linke hat weder eine gesicherte Fraktionsstärke, noch sicher ausgezählte Direktmandate. Nun heißt es wahlweise Zittern, Bangen oder Hoffen – es kann ein langer Abend werden. 

In dieser Lage erklärt Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow um 18:35 Uhr vor den Kameras der ARD im Festsaal-Kreuzberg, dass die Linken, sollte es reichen, auch angesichts ihrer Verluste für mögliche Koalitionsgespräche bereit stünden. Der Spitzenkandidat Dietmar Bartsch sagt nur 20 Minuten später genau das Gegenteil: „Unser Platz im Deutschen Bundestag wird jetzt die Opposition sein.“ Die Zahlen jedenfalls haben sich in der Zwischenzeit nicht verändert, aber vielleicht hat es intern neue Absprachen gegeben. Nach außen ergibt sich ein für die Linken symptomatisches Bild. Die im Wahlkampf-Endspurt präsentierte Einigkeit hält keine Stunde bis nach Schließen der Wahllokale.

Wenn’s nicht so traurig wäre… 

Die Location der Linken-Wahlparty. Während drinnen dicke Luft herrscht, findet man hier Zuflucht und Insta-Kulisse. Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Je später der Abend wird, desto enttäuschter werden die Gesichter. Petra Pau, die am Freitag noch kraftvoll von der Bühne sprach, verliert ihr Direktmandat an die CDU. Auch die Hoffnung, dass mit mehr ausgezählten Stimmen der Briefwähler*innen die Stimmanteile der Partei wachsen, zerschlägt sich. Die Moderator*innen der Wahlparty Björn Harras und Anika Tasch kündigen an: „Wir machen jetzt eine Wein-Pause.“ Und liefern den naheliegenden Witz direkt selbst nach: „Also zum Trinken nicht zum Weinen, na gut beides hilft.“ Tatsächlich sind immer wieder Menschen zu sehen, die glasige Augen haben – die einen voller Tränen, andere vom Ins-Leere-Starren. Selbst Gregor Gysi kommt gegen die eigene Enttäuschung nicht an: „Ich bin genauso traurig wir ihr.“

Gysi rettet (nichts)

Am Freitag wollte Gregor Gysi der GroKo noch helfen, ihre „sexuell-erotische Beziehung zur Schwarzen Null“ zu überwinden. Er könne da aus eigener Erfahrung sprechen, dass das die Momente seien, in denen Verstand und Logik aussetzten. Jetzt bleiben nur Phrasen – etwa „selbstkritisch über die Zukunft nachdenken“. Im Gegensatz zu Pau konnte Gysi wenigstens seinen Wahlkreis verteidigen und ist damit einer der drei Direktmandate, dank derer die Linke Mandate entsprechend ihres Ergebnisses von 4,9 Prozent erhält.

Spekulationsspiralen 

Spitzenkandidat Dietmar Bartsch landet in seinem Wahlkreis nur auf dem zweiten Platz und verpasst damit sein Direktmandat. Auf der Wahlparty bedient er sich ausgerechnet an der wohl inzwischen leersten aller Politik-Floskeln der letzten Jahre: „Es kann kein Weiter-So geben.“ 

Aber was genau ist dieses „Weiter-So“ und wo liegt das Problem? Dazu finden sich am Abend verschiedene Sichtweisen. Die Rote-Socken-Kampagne hat wahlweise geschadet oder als Gegenwind geholfen. Geschadet, sagen die einen. Die anderen sagen: Der Gegenwind habe geholfen. Sympathieträger*innen und Urgesteine wie Gesine Lötsch oder Gregor Gysi sind je nach Gesprächspartner*in unverzichtbar – oder die Partei braucht dringend neue Gesichter. Genauso beim Thema Osten, der für manche überbetont, für andere unterbesetzt wurde. 

Einig sind sich alle darin, dass der Richtungsstreit innerhalb der Partei geklärt werden müsse. „Die Diskussionen der Partei im Vorfeld seien besser nicht geführt worden“, so Partei-Geschäftsführer Jörg Schindler. Ein Wink mit dem ganzen Zaun in Richtung Sahra Wagenknecht. Ob die von ihr verschmähten „Lifestyle-Linken“ verloren gegangen sind? Ja, meinen die einen. Nein, viele Linken-Wähler*innen hätten dieses Mal taktisch die SPD gewählt, um Armin Laschet und die CDU zu verhindern, sagen andere. 

Die Einigung der Partei beginnt jedenfalls nicht mehr im Festsaal. Die Veranstaltung leert sich schnell – aus den Boxen schallt „Hurra, diese Welt geht unter“. Inzwischen zeichnet sich ab, dass die Linke drei Direktmandate holt und ihr damit entsprechende Zweitstimmen-Mandate zugesprochen werden. Dennoch versucht niemand mehr, das Ergebnis schön zu reden. Wozu auch? Manchmal muss es erst schlechter werden, bevor es wieder besser wird. In der Linken hoffen Sie, den Tiefpunkt bald erreicht zu haben.

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