Generation Null Commitment kommt – gut so!

Generation Z kennt kaum noch Bindungen. Ob Netflix und Spotify, Amazon, Lieferando und Bumble – alles ist zu nahezu jederzeit von überall aus möglich. Das wirkt sich auf das Wahlverhalten aus. Ein Kommentar von Christian Lütgens.

Eine Wahlentscheidung erfordert Bekenntnis – zu einer Partei und ihren Inhalten. Zu viel für die heutige Generation? Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Wer heute zu den Digital Natives zählt, wird umgeben von On-Demand-Services. Ob Film oder Pizza, Dating, Musik oder Kleidung – die Digitalisierung erlaubt der Mehrheitsgesellschaft Freiheiten, die zwar zum Teil auf dem Rücken von anderen ausgetragen werden, man denke nur mal an diejenigen, die die ganzen Pakete liefern, die händisch Fakes, Hate und Schlimmeres auf Social Media und Rating-Plattformen „moderieren“. Doch entscheidender für die Konsumierenden ist das Gefühl, alles zu jeder Zeit haben können, alles zu jeder Zeit kündigen können. Kaum noch „Commitment“.

Wahl nach Gewohnheit – nicht mit der Generation Z

Und die Politik? Die diesjährige Präsentation der Parteien war vor allem geprägt von inhaltlich-irrelevanten Kleinigkeiten. Langsam finden sich zwar erste programmatische Auseinandersetzungen mit gewisser Substanz, doch zur Lebensrealität der Generation Z passen diese nicht. Da reicht schon ein Blick in die Diskussionen der Akteur*innen in Talkshows, Twitter oder auch analog am Wahlkampfstand. Von Ideologien und Erbschleicherei wird geredet, erst jüngst bei der Union.

Solche Warnungen entspringen einem Denkmuster aus dem letzten Jahrhundert: Ich wähle Partei ABC, weil „Das habe ich schon immer so gemacht. Und meine Eltern auch.“ Das mag wahr sein. Wohl nicht ohne Grund konnte sich die Amtsinhaberin 16 Jahre im Amt halten. Gut möglich aber, dass dies die letzte große Polit-Ära einer einzelnen Person war. 16 Jahre Baerbock oder Scholz als Kanzler*in? Heute schwer vorstellbar – denn die Jungen wollen und können sich kaum noch festlegen.

Umso mehr sind die Parteien gezwungen, überzeugende Wahlprogramme zu entwerfen. Heutzutage wird viel mehr diskutiert, hinterfragt, gelacht. Das ist gut so, denn der Zeitgeist wandelt sich. Dieser frische Wind bläst die Stammwähler*innen langsam aber sicher weg und bringt zunehmend Wechselwähler*innen mit sich. Faktoren wie die Briefwahl sowie eine Liberalisierung in der Gesellschaft verstärken diesen Effekt.

Haltung zeigen, Profile schärfen

Die politische Landschaft muss also erstens mit der neuen Normalität leben, dass Stabilität bei künftigen Koalitionsbildungen ein Luxusgut wird. Volksparteien mit mehr als 20 Prozent gibt es kaum noch. Auf den Arbeiter, die Mittelstandsfamilie oder die Atomkraftgegnerin ist kein Verlass mehr. Nie war der Ausgang einer Bundestagswahl so offen wie dieses Mal, nie gab es in der Theorie mehr Farbspiele.

Zweitens müssen sich die Parteien die Frage stellen, wie ihre Zielgruppen aussehen. Denn es werden immer mehr Menschen, die alles zu jeder Zeit kriegen können, experimentierfreudig wie politisiert sind und keine Kreuzchen-Traditionen mehr hegen. Die Konsequenz darf nicht darin liegen, das eigene Wahlprogramm so schwammig wie nur irgendwie möglich zu formulieren, um möglichst viele anzusprechen. So etwas überzeugt nicht. Viel mehr sollten überzeugende Vorschläge mit erkennbarer Haltung gemacht werden, wie das Land künftig gestaltet werden soll. Die Themen und Anliegen mögen vielleicht dieselben bleiben, aber heute ist man aufgeklärter und offener denn je. Generation Null Commitment kommt. Die Parteien täten gut daran, in ihren Programmen überholte Denkmuster zu überwinden und stattdessen den Wechselwähler*Innen klare und überzeugende Profile zu präsentieren.

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