FDP und Grüne küren den Kanzler: Was bedeutet die Wahl für den Klimaschutz?

FDP und Grüne wollen vorsondieren – und können faktisch entscheiden, wen sie zum Kanzler machen. Zentrales Thema der Gespräche wird der Klimaschutz. Santino Anderer schätzt die klimapolitischen Herausforderungen ein, vor denen die Königsmacher*innen stehen.

Kommt eine Ampel- oder Jamaika-Koalition zustande? Vor welchen Herausforderungen stehen die Vorsondierungen von Grünen und der FDP? Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz | Grafik: Saad Yaghi

FDP und die Grünen krönen den Kanzler: Seit sich die SPD im Wahlkampf mehrfach gegen eine erneute Große Koalition mit der Union CDU/CSU ausgesprochen hat, gelten die Ampel oder Jamaika als realistische Koalitionsoptionen. Bündnis 90/Die Grünen und FDP werden in beiden Koalitionen benötigt, um entweder die von Olaf Scholz angeführte SPD oder Armin Laschets CDU ins Kanzleramt zu wählen. Insbesondere in der Klimapolitik weisen beide Parteien allerdings programmatisch fundamentale Unterschiede auf. In den geplanten Vorsondierungen werden die unterschiedlichen klimapolitischen Gestaltungsansprüche von Bündnis 90/Die Grünen und FDP von zentraler Bedeutung sein.

Bundestagswahl ist gleich Klimawahl

Aus klimaökonomischer Perspektive gilt die Wahl als richtungsweisend, um die Weichen für die zukünftige Klimapolitik in Deutschland zu stellen. Auch auf den Druck von Fridays4Future ist die Dringlichkeit von konsequenten Klimaschutzmaßnahmen zu einem der zentralen Wahlkampfthemen geworden. Aber: Die Instrumente, die die Parteien – und insbesondere Bündnis 90/Die Grünen und die FDP – zur Erreichung der Pariser Klimaziele einsetzen wollen, unterscheiden sich stark voneinander.

Klimaschutzmaßnahmen als Indikator für Sondierungsgespräche

Außer der AfD, die den menschengemachten Klimawandel leugnet, formulieren Union, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und die Linke ähnliche Ambitionen: Die Begrenzung der globalen Erwärmung auf unter 1,5 Grad über dem vorindustriellen Zeitalter. „Wir haben die Klimaziele, die klar auf europäischer und nationaler Ebene definiert sind. Das große Ziel ist die Klimaneutralität bis ins Jahr 2045“, sagt Dr. Jens Südekum. Bei der Großen Wahlnacht des Progressiven Zentrums in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz spricht sich der Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre am Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie (DICE) für eine progressive Klimapolitik aus.

Auf die CO2-Bepreisung als klimapolitisches Leitinstrument haben sich alle Parteien außer der Linken und der AfD geeinigt. Streitpunkte für die Sondierungsgespräche sieht Südekum deshalb vor allem bei der Frage nach zusätzlichen klimapolitischen Instrumenten. Dabei geht es um die Finanzierung, staatliche Investitionen und Verbote.

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat die Parteiprogramme nach klimaökonomischen Kriterien analysiert. Die Instrumente der Parteien berücksichtigen die CO2-Budgets, die Deutschland zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels zustehen, nicht ausreichend genug. Grafik: Santino Anderer

Wahlcheck: Klimapolitik

Klima- und Umweltschutz ist das zentrale Kernthema von Bündnis 90/Die Grünen. Im Parteiprogramm sind die geplanten klimapolitischen Maßnahmen detailreich beschrieben. Ausweitung des EU-Emissionshandels, CO2-Bepreisung und die Bindung von Emissionen durch Wiederaufforstung und Renaturierung von Mooren sind zentrale Instrumente. Die Rückerstattung der CO2-Kosten an die Bürger*innen soll zudem einen sozialen Ausgleich schaffen. Für die Grünen hat die Ampel-Koalition einen Vorteil in der progressiven Grundausrichtung. Allerdings könnten die Grünen laut Südekum auch von einer schwachen CDU/CSU im Kanzleramt profitieren, um konsequente Gestaltungsansprüche in der Klimapolitik geltend zu machen. Dafür spräche auch, dass die Spitze der Grünen Jamaika weniger abgeneigt gegenüberstehe als die FDP einer Ampel-Koalition. Allerdings könne Südekum sich schwer vorstellen, wie eine Jamaika-Koalition gegenüber der Grünen-Basis kommuniziert werden soll. Insbesondere Wähler*innen unter 25 Jahren, bei denen Bündnis 90/Die Grünen stärkste Kraft geworden ist, fordern einen konsequenten Klima- und Umweltschutz. Auch wenn die Union flexibler in ihrer Kompromissbereitschaft ist, weil Klimapolitik keine ihrer Kernthemen ankratzt, ist Jamaika für die Kernwähler*innenschaft der Grünen nicht attraktiv. Armin Laschets politische Karriere hängt maßgeblich davon ab, ob die Grünen sein Programm akzeptieren.

Von der FDP unterscheiden sich Bündnis 90/Die Grünen wie auch die SPD insbesondere in ihrer Ablehnung von negativen Emissionstechnologien, die der Atmosphäre CO2 entziehen. Auch der Finanzierung von ausländischen Projekten, um deren Emissionsreduktionen auf die eigenen Ziele anzurechnen, wie es FDP und Union befürworten, stehen beide Parteien kritisch gegenüber. Einig sind sich die Grünen und FDP hingegen in ihren Positionen zur internationalen Klimapolitik: Neben dem Bekenntnis zu einer starken transatlantischen Partnerschaft, wollen die Grünen auch China als größten Emittenten von Treibhausgasen stärker in den klimapolitischen Dialog einbinden.

Auch wenn die FDP der Union programmatisch nähersteht, hätte sie in einer Ampel-Koalition mehr Profilierungschancen. Ihr klimapolitisches Wahlprogramm sieht einen marktwirtschaftlichen Instrumentenmix aus Emissionshandel, CO2-Bepreisung und eine Energiesteuerreform vor. Allerdings vernachlässigt die FDP stark gesellschaftliche und strukturelle Änderungen, die sich aus der Umsetzung ergeben. Der Umbau von etwa Mobilitäts- oder Gebäudesektor bedarf milliardenschwerer staatlicher Investitionen, die marktwirtschaftliche Instrumente nach Einschätzung von Südekum allein nicht umsetzen können. Die FDP will weder Steuern erheben noch die Schuldenbremse aufweichen. Die Finanzierung der klimapolitischen Maßnahmen soll deshalb vor allem durch wirtschaftliche Innovationen und technologische Entwicklungen marktwirtschaftlich erfolgen.

Kommt am Ende doch die Große Koalition?

In möglichen Koalitionsverhandlungen müssen Bündnis 90/Die Grünen und FDP ihre Kernthemen schützen. Trotz der klimapolitischen Nähe der Grünen zur SPD und der FDP zur CDU, zeigt die unterschiedliche klimapolitische Profilierung: In den Vorsondierungen müssen  programmatische und ideologische Kompromisse eingegangen werden, wenn Koalitionsgespräche mit den großen Parteien überhaupt gelingen sollen. Die unterschiedlichen Maßnahmen, die die Grünen und die FDP einsetzen wollen und die Gewichtung, die sie sektorenübergreifend gesellschaftlicher und struktureller Veränderung beimessen, wird Drehpunkt der Vorsondierungen sein. Die mögliche Regierungskoalition wird maßgeblich davon abhängen, ob sich Bündnis 90/Die Grünen und FDP auf eine gemeinsame Strategie einigen können – und auch die große Koalitionspartnerin diesen Weg mitgehen kann. Denn rechnerisch ist weiterhin eine große Koalition möglich. Die Gespräche für Jamaika und/oder Ampel sind also keine Selbstläufer.

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