Ein Anzeigenblatt macht AfD-Werbung

Hohe Auflage, viele AfD-Anzeigen und in den Texten eine Nähe zu Positionen der Rechtspopulist*innen – Lucie Keller beschreibt das Geschäftsmodell des Anzeigenblatts „Neues Gera“.

Für seine Berichterstattung erhält das Anzeigenblatt Gegenwind. Foto: Jugendpresse Deutschland / Christopher Folz

Die 31-jährige Katja Schmidt (Name geändert) biegt mit ihrem roten Honda auf die schmale Auffahrt vor ihrer Haushälfte. Nur noch schnell die Post aus dem Briefkasten nehmen, endlich ist Wochenende. Es ist Freitagnachmittag in Gera, der mit knapp 100.000 Einwohner*innen drittgrößten Stadt Thüringens. Aus der Zeitungsrolle lugt sie schon: „Neues Gera“, das kostenlose Anzeigenblatt in der Stadt. Auf den ersten Blick sieht es aus, wie jedes andere: „Wochenzeitung für das Geraer Land. Mit wichtigen Bekanntmachungen aus der Stadt“, so heißt es auf dem Titel. Doch diese Zeitung ist nicht wie andere: „Das ist nur rechte Hetze“, sagt Katja, „Kein Wunder, dass hier alle die AfD wählen“ – und entsorgt das Blatt ungelesen im Papiermüll.

Es stimmt, in Thüringen wird die AfD gewählt, bei der letzten Landtagswahl erzielte die Partei 22 Prozent. Aktuelle Umfragen prognostizieren für die Bundestagswahl ein ähnliches Ergebnis – damit wäre sie die stärkste Partei. Und sie hat die Chance, erstmals in Thüringen Direktmandate zu gewinnen. So auch hier, im Wahlkreis Gera. Der AfD-Kandidat, Stephan Brander, wird dem sogenannten „Flügel“ zugeordnet, der formal aufgelöst wurde, weil er als rechtsextremistisch gilt – ebenso der gesamte Thüringer AfD Landesverband. Laut Verfassungsschutz liegen „Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor“. Und trotzdem: „Ist man vor Ort, sind die hohen Zustimmungswerte der AfD wenig überraschend“, findet ein Vertreter vom Aktionsbündnis Gera gegen Rechts. „Hier ist die AfD in der Mitte der Gesellschaft angekommen und salonfähig geworden“. Beschreibungen, die oft verwendet werden und ohne Kontext doch abstrakt daher kommen. Das Beispiel der Neuen Gera kann aufzeigen, wie rechte Strukturen verlaufen und sich der Kampf dagegen gestalten lässt.

Auflagenstarkes Anzeigenblatt für fast alle Haushalte

Wie Katja finden 56.700 weitere Haushalte jeden Freitag das Anzeigenblatt „Neues Gera“ in ihren Briefkästen. Was sie dort zu lesen bekommen? Zwischen lokaltypischen Berichten vom Feuerwehrverein und Unternehmensjubiläum gibt es Inhalte, die klar der Neuen Rechten zu zuordnen sind und eine „unübersehbare Nähe“ zur AfD haben, wie ein Gutachten des „KomRex“, dem Zentrum für Rechtsextremismus, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration der Friedrich-Schiller-Universität Jena feststellt.

In „Neues Gera“ kommen unter der Rubrik „Aus fremden Federn“ Publizisten der extremen Rechten wie Vera Lengsfeld und Hans-Georg Maaßen zu Wort. Auch Artikel, die zuvor in der Jungen Freiheit, dem tumult-Magazin oder „die Kehre“ erschienen sind, werden hier abgedruckt.“ Allesamt Zeitschriften, die in das Spektrum der Neuen Rechten fallen oder in denen häufig Autor*innen publizieren, die der Neuen Rechten zugerechnet werden“, sagt Kom-Rex-Geschäftsführer Dr. Michelsen.

Verantwortlich für die Zeitung ist Dr. Harald Frank, Inhaber der Dr. Frank Verlag GmbH und Stadtratsvorsitzender der stärksten AfD-Fraktion in Gera. Seine Doppelrolle als Parteifunktionär und Inhaber des Blattes wird nicht kenntlich gemacht. Zudem verfasst er als Redakteur eigene Beiträge. In Zeiten des Wahlkampfs wird dies besonders deutlich: In der Ausgabe vom 20.08.2021 finden sich auf vierzehn Seiten, sechs AfD-Werbeanzeigen, drei davon direkt für den derzeitigen Stadtratskollegen von Dr. Frank – AfD-Direktkandidat Stephan Brandner. Auch ein Auszug aus dem AfD-Bundestagswahlprogramm gibt es dort. Das Anzeigenblatt äußert sich auf Anfrage nicht zu den Inhalten des Gutachtens.

Doch es geht um mehr als die abgedruckten Anzeigen, erklärt Dr. Michelsen. „Auch in den meisten politischen Kommentaren, unter denen das Parteilogo nicht auftaucht, fällt eine ideologische Nähe zur AfD auf.“ Wie diese Ideologie genau aussieht, zeigt das Gutachten: Inhalte seien teilweise geschichtsrevisonistisch, verschwörungstheoretisch, islamophob und fremdenfeindlich, Kommentare bewegten sich „zwischen Nationalkonservatismus und Rechtspopulismus“.

Die unterschwellige Beeinflussung ist für den Vertreter des Aktionsbündnis Gera gegen Rechts die größte Gefahr: „Wir reden nicht über den Adressat Parteimitglied der AfD, sondern über Lieschen Müller, die möglichst nicht merken soll, dass die AfD hinter dem Blatt steht.“ Dazu trage auch der seriöse Anstrich, „als Deckmäntelchen“, des Blattes bei. Noch bis 2019 wurde das offizielle Amtsblatt der Stadt der Neuen Gera beigelegt. Anfang des Jahres gab es auf Antrag der AfD-Fraktion unter Dr. Harald Frank eine neue Ausschreibung, für die – wenig überraschend – Neues Gera den Zuschlag erhalten sollte. Das Aktionsbündnis Gera gegen Rechts konnte dies vorerst verhindern. Doch ihr Engagement blieb nicht ohne Gegenwind. Nachdem das Bündnis großflächig Anzeigensteller kontaktierte und sie über das Blatt aufklärte, veröffentlichte Harald Frank ein Statement in der Neuen Gera und konnte 87 Unternehmer*innen hinter sich versammeln, die sich namentlich für ihn positionierten (Quelle: Ausgabe vom 16.04.2021). Der Politikwissenschaftler Dr. Michelsen zeigt sich hiervon überrascht und sieht die Rückendeckung der Unternehmer*innen als Indiz dafür, wie stark der Rückhalt für die AfD auch innerhalb der lokalen Unternehmerschaft zu sein scheint. „Unternehmer*innen gehen mit einer solchen klaren politischen Unterstützungserklärung ja immer auch ein gewisses wirtschaftliches Risiko ein. Angesichts der sehr guten Wahlergebnisse für die AfD in Gera wird dieses Risiko aber offenbar als sehr gering eingeschätzt.“

Eine mögliche Blaupause auch für andere Gemeinden

Alternative bietet die kostenpflichtige Ostthüringer Zeitung, die in der gesamten Region nur auf eine Auflage von 70.000 kommt. Anzeigen zu schalten, ist dort jedoch deutlich teurer, womit der Neuen Gera eine Monopolstellung in der Region zukommt. Damit wird auch die Tragweite der Situation deutlich: „Das Problem „Neues Gera“, ist deshalb kein Gera-Problem, weil es, wenn es erfolgreich ist, die Blaupause sein kann für ganz viele Gemeinden. Das ist unsere größte Sorge“, erklärt der Vertreter vom Aktionsbündnis.

Wie genau sich die Neue Gera auf die Bevölkerung oder gar ihr Wahlverhalten auswirkt, lässt sich nicht genau sagen. Allerdings: „Die Inhalte der Neuen Gera werden mir irgendwann logischer vorkommen“, meint der Vertreter des Aktionsbündnis. Ob Neues Gera demnach ein AfD-Instrument ist? „Zumindest wird es als AfD-Instrument genutzt und wir konnten beobachten, wie das in den vergangenen Jahren immer stärker zugenommen hat”, sagt ein Vertreter vom Aktionsbündis. Der Jenaer Wissenschaftler Dr. Michelsen differenziert, dass es sich um ein Instrument von Herrn Frank und dessen politische Absichten handelt.

Will man die Zustimmung zur AfD und ihr Wirken vor Ort verstehen, lohnt es sich allemal genauer hinzuschauen – nicht nur kurzfristig zu Wahlen und Umfragen. Auf Katjas Briefkasten klebt nun jedenfalls langfristig ein Aufkleber vom Aktionsbündnis: „Neues Gera – Nein Danke“. Dr. Harald Frank hat vergeblich versucht mit Unterlassungsklagen gegen die Sticker vorzugehen. Katja wirft noch einen Sticker bei ihren Nachbarn ein.

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