„Es fehlt das persönliche Beschnuppern“

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf Ehrenämter aus? Werden wir von unserem Engagement entwöhnt? Redakteurin Laura hat mit Jan Holze, dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Stiftung für Ehrenamt und Engagement, gesprochen.

Ein Jugendlicher telefoniert mit seinem Smartphone auf einem Feld.
Vernetzung ist alles: Die junge Generation nutzt die Krise auch als Chance, um sich innerhalb der Vereins- und Verbandsstrukturen mit ihrem digitalen Know-How zu beweisen. Foto: Jugendpresse Deutschland/ Finja Pollen
politikorange: Herr Holze, als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung für Ehrenamt und Engagement setzen Sie sich für Ehrenamtliche und Engagierte in Deutschland ein. Vor welchen Herausforderungen stehen Vereine und Verbände seit Beginn der Corona-Pandemie?

Jan Holze: Viele sind ihren Vereinen treu geblieben. Es gibt eine starke Solidarität in der Zivilgesellschaft. Jedoch kommen derzeit weniger neue Engagierte und Mitglieder*innen hinzu.

Woran liegt das?

Zwei wesentliche Methoden für die Nachwuchsgewinnung sind die direkte Ansprache und das persönliche Zusammenkommen auf Veranstaltungen, wie Ehrenamt-Messen. Beides findet aktuell nicht statt. Das hat gravierende Auswirkungen auf die Vereine und Verbände.

Zu Beginn der Pandemie wollten viele Menschen helfen und sich engagieren. Zeigte sich das auch in den Vereinen?

Viele wollten in kurzfristigen Engagements unterstützend tätig sein, um die Herausforderungen, die sich mit Corona ergeben, zu meistern: Ich denke da zum Beispiel an Einkaufshilfen und Nachbarschaftsinitiativen. Dort war das Angebot tatsächlich größer als die Nachfrage.

Was aber langfristig unsere Vereinslandschaft prägt, sind Menschen, die kontinuierlich unterstützen: Vorstandsmitglieder, Schiedsrichter*innen, Trainer*innen und Chorleiter*innen. Da sie ihr Engagement nicht mehr dauerhaft ausüben können – quasi „entwöhnt“ werden – und auch keine neuen Engagierten hinzugewinnen können, verändern sich die Strukturen langfristig. Man merkt, dass das Aufeinandertreffen fehlt: Gespräche und das persönliche Beschnuppern. Die Folgen sind noch nicht absehbar. Wir müssen sicherstellen, dass die Vereinslandschaft so bunt und vielfältig bleibt, wie wir sie vor Corona kannten.

Die Stiftungsgelder unterstützen die Vielfältigkeit der ehrenamtlichen Strukturen im ländlichen Raum. Foto: Jugendpresse Deutschland/ Finja Pollen
Wie unterstützen Sie die Menschen in den Vereinen und Verbänden?

Zum einen durch ganz konkrete Hilfestellungen, damit sie den Vereinsbetrieb unter den aktuellen Gegebenheiten am Laufen halten können. Wir halten sie in ihren Themen fit, denn eine Steuererklärung für einen Verein muss weiterhin abgegeben und eine Mitgliederversammlung durchgeführt werden.

Darüber hinaus helfen wir finanziell, damit nach Corona die Strukturen wieder in Gang kommen. Damit die Menschen – insbesondere Kinder und Jugendliche – sich wieder treffen können. Letztes Jahr haben wir zum Beispiel zusammen mit dem Haus des Stiftens das Digital-Camp aufgelegt, das 11.500 Teilnehmer*innen hatte. Wir wollen mit konkreten Veranstaltungen die Menschen zueinander bringen und vor allem auch Anerkennung für das Mittragen der Herausforderungen der letzten Monate vermitteln.

Welche Rolle spielen Jugendliche und junge Erwachsene im Ehrenamt?

Wir erleben zurzeit eine Umkehr: Früher waren es eher die älteren Menschen, die wussten, wie Dinge funktionieren und dieses Wissen weitergaben. Jetzt sind jüngere Menschen aufgrund ihrer digitalen Affinität gefragter. Für sie ist das Einrichten einer digitalen Konferenz weniger eine Herausforderung, als für Menschen, die sich im Bereich der Digitalisierung noch nicht so gut auskennen. Insofern erfahren junge Menschen für das Einbringen ihrer Ideen mehr Wertschätzung. Die Vereine und Verbände müssen langfristig Wege finden, damit sie bleiben und dieses Potential nach der Pandemie nicht verloren geht.

Wie erfahren junge Ehrenamtliche und Interessierte von den Angeboten der Stiftung?

Wir wollen nicht in Neustrelitz warten, bis Engagierte mit ihren Fragen anrufen, sondern uns ganz konkret in den Lebenswelten der jungen Menschen bewegen. Wir sind zum Beispiel gerade dabei, uns eine Strategie für TikTok zu überlegen. Auf den Plattformen Facebook, Instagram, Twitter und LinkedIn sind wir schon präsent und informieren digital über die Vorhaben der Stiftung. Aber natürlich kann man mich auch anrufen, um Hinweise und Anregungen zu unserer Arbeit zu geben.

Ihre Stiftung hat im letzten Jahr mehr als 20 Millionen Euro an über 1.800 Organisationen und Vereine in der Bundesrepublik ausgezahlt. Wie viel ging in den ländlichen Raum?

Zwei Drittel der Mittel gingen in den ländlichen Raum. Das freut uns natürlich! Einerseits, weil dort neben der Digitalisierung und der Nachwuchsgewinnung ein besonderer Stiftungsauftrag liegt. Andererseits zeigt es den Bedarf, den der ländliche Raum aufweist. An diesem Schwerpunkt wollen wir in unserer Arbeit festhalten.

Was hat sich denn im ländlichen Raum gerade in Pandemiezeiten getan?

Wir haben in der Gesellschaft die Erkenntnis gewonnen, dass der ländliche Raum seine Vorzüge hat, was Bewegungsfreiheiten, Raum und Luft angeht. Gerade dort braucht es gute Strategien, um das konkrete Leben der dort lebenden Menschen vielfältig und attraktiv zu gestalten. Letztlich trägt es dazu bei, dass sie sich im ländlichen Raum wohlfühlen – vor allem junge Menschen. Die wollen natürlich, dass dort eine lebendige Vereinslandschaft ist und nicht nur ihr Wohnort oder Arbeitsplatz.

Vielen Dank für das Gespräch!

Ehrenamt auf einen Blick:

  • in Deutschland engagieren sich rund 31 Millionen Menschen in ihrer Freizeit für das Gemeinwohl
  • knapp die Hälfte aller 30-49-Jährigen engagiert sich, bei den 14- bis 29-Jährigen sind es 42 Prozent
  • in allen Altersgruppen hat der Anteil der freiwillig Engagierten seit dem Jahr 1999 zugenommen
  • die meisten Menschen engagieren sich in Sport, Kultur und im sozialen Bereich
  • mehr als jeder zweite Ehrenamtliche verwendet das Internet für seine Arbeit

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