Der Weg zur rechtlichen Anerkennung ihres tatsächlichen Geschlechts ist für trans* Personen häufig entwürdigend. Tilmann Koch im Gespräch mit Kalle Hümpfner, Referent*in für gesellschaftspolitische Arbeit beim Bundesverband Trans*, über die rechtliche Lage von trans* Personen in Deutschland und dringend nötige Reformen.

Foto: Sharon McCutcheon; Quelle: Unsplash
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Was muss eine trans* Person in Deutschland tun, um rechtlich anerkannt zu werden?

Kalle Hümpfner: Da muss erstmal eine Namens- und Personenstandsänderung durchgeführt werden – das ist die Voraussetzung für eine neue Geburtsurkunde, mit der dann ein neuer Personalausweis oder Reisepass beantragt werden kann. Die Gesetzeslage dazu in Deutschland ist veraltet: Das sogenannte Transsexuellengesetz – eingeführt in den 80er Jahren – sieht vor, dass es ein Gerichtsverfahren gibt. Bei dem werden zwei recht teure Gutachten eingefordert, durch die das Gericht dann entscheiden soll: Liegt wirklich eine Transidentität vor? Bei der Begutachtung werden häufig sehr entwürdigende Fragen gestellt. Etwa nach sexuellen Vorlieben oder nach der Wahl der Unterwäsche.

Das Verfahren in Deutschland wurde schon häufig als nicht menschenrechtskonform kritisiert. Bis 2011 mussten trans* Personen eine Sterilisation machen, sich also Eierstöcke oder Hoden entfernen lassen, bevor sie ihren Personenstand ändern durften. Zum Glück haben Aktivist*innen vor Gericht erstritten, dass das gekippt wurde. Aber ganz allgemein: Aus der Politik kam in den letzten 40 Jahren wenig Engagement, meistens wurden Gerichte aktiv, weil sich trans* Personen gegen Benachteiligung eingesetzt haben.

Wo liegt denn das Problem bei der derzeitigen Regel?

Durch meine Arbeit in der Trans*beratung weiß ich, dass die rechtlichen Hürden eine große Belastung für die Betroffenen sind. trans* Personen sind teilweise jahrelang mit Bürokratie und dem Stellen von Anträgen beschäftigt. Und auch im Alltag stört es, wenn nicht der richtige Name oder das richtige Geschlecht auf den Unterlagen steht – etwa, wenn bei Bewerbungen jedes Mal aufs Neue erklärt werden muss, wieso zum Beispiel unterschiedliche Namen in Anschreiben und Zeugnissen auftauchen. Auch so etwas wie eine Polizeikontrolle wird noch einmal zusätzlich belastend erlebt, wenn die Beamt*innen kritische und übergriffige Fragen wegen der Dokumente stellen, weil Name und Aussehen vermeintlich nicht zusammenpassen.

In den Medien war im vergangenen Jahr häufig von der „dritten Option“ zu hören. Betrifft die auch trans* Personen?

Viele Leute haben das mitbekommen: Vor dem Standesamt können mittlerweile Menschen mit einem Attest, das das Vorliegen einer „Variante der Geschlechtsentwicklung“ bestätigt, eine Namens- und Personenstandsänderung beantragen. „Variante der Geschlechtsentwicklung“ ist ein Begriff aus der Medizin, der die natürliche Vielfalt bei Geschlechtsmerkmalen umfasst, jedoch als eine Krankheit fasst. Gemeint sind hier also intergeschlechtliche Personen, die unterschiedlichste biologische Geschlechtsmerkmale haben und deren Körper nicht den gängigen Vorstellungen eines „männlichen“ oder „weiblichen“ Körpers entsprechen. Ob das Gesetz auch für trans* Personen gilt, denen meistens bei der Geburt ein Geschlecht zugeschrieben wird, mit dem sie sich im späteren Leben allerdings nicht identifizieren, ist umstritten. Wichtig festzuhalten ist: inter* wie trans* Personen sind fremdbestimmt. Intergeschlechtliche Personen sind auf eine*n Ärzt*in angewiesen, der ihnen ein Attest ausstellt, trans* Personen auf Gutachter*innen.

Es ist gerade vieles in Verhandlung. Aktuell gibt es eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht – da geht es um die Frage: Steht die „dritte Option“ auch für nicht-binäre, nicht-intergeschlechtliche Personen offen? Also können Personen, die sich als weder männlich noch weiblich verstehen, deren Körper aber von der Medizin als männlich oder weiblich eingeordnet werden, diese Regelung nutzen? Das wird hoffentlich demnächst vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt.

Wie sähe eine möglichst diskriminierungsfreie Regel aus?

Trans*, inter* und nicht-binäre Personen sollten die Möglichkeit haben, mit einer einfachen Erklärung vor dem Standesamt ihren Namen und Personenstand zu ändern. Diese Änderung sollte durch die Gesetzgeber*in möglichst schnell erfolgen, am besten noch in dieser Legislaturperiode.

Einfache Erklärung heißt: Keine weiteren Gutachten oder Atteste sind nötig. Denn Geschlecht und Identität sind nicht diagnostizierbar. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen: Gutachter*innen können auch nichts anderes schreiben als das, was die Person erzählt. Es gibt keinen Erkenntniswert, nur weil das alles von einer Person mit Abschluss dokumentiert wird. Die Selbstauskunft der Person muss ausreichen.

Konservative Politiker*innen würden sicher einwenden, damit sei die Hürde ja viel zu niedrig.

Ja, diese Gegenreden hört man. Häufig wird befürchtet, dass es eine Art Beliebigkeit gibt. Dass Menschen ihren Eintrag nach zwei Wochen plötzlich wieder wechseln. Aber die Erfahrungen aus anderen Ländern wie Malta und Argentinien, die seit Jahren einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag ermöglichen, zeigen: Es kommt wirklich nur in Einzelfällen vor, dass Personen den Eintrag mehr als einmal ändern.

Stichwort andere Länder: Hinkt Deutschland im globalen Vergleich hinterher oder zählen wir zu den progressiveren Staaten?

(lacht) Also, das Transsexuellengesetz, das ich eingangs erwähnt habe, war das zweite Gesetz dieser Art weltweit. Anfang der 80er. Seitdem ist aber viel passiert. Damals war Deutschland vielleicht etwas fortschrittlicher, heute sind wir aber allerhöchstens Mittelfeld. In Island konnten wir in den letzten Monaten beobachten, wie ein selbstbestimmter Geschlechtseintrag eingeführt wurde. Da ist viel Bewegung international. Das stimmt uns hoffnungsvoll, dass es eine entsprechende Gesetzgebung in Deutschland auch in den nächsten Jahren geben wird. Es gibt aber noch einiges zu tun, was Rechte von trans* Personen angeht.

Zum Beispiel?

Im Gesundheitssystem sind geschlechtsangleichende Maßnahmen an eine Diagnose gekoppelt, die trans* Personen eine psychische Störung zuschreibt. In anderen Ländern müssen sich trans* Personen nicht mehr als psychisch krank labeln lassen, um Zugang zu Hormonen oder geschlechtsangleichenden Operationen zu haben. Deutschland ist an diesem Punkt leider noch nicht so weit. Oder das Thema trans und Elternschaft…

Was ist da das Problem?

Ganz praktisch: Wenn trans* Personen ein Kind bekommen, dann werden sie wieder mit ihrem früheren, bereits abgelegten Namen in die Geburtsurkunde eingetragen. Eine Fremdbezeichnung, die als sehr schmerzhaft wahrgenommen wird. Oder trans* Personen stellen sich gegen die Eintragung in der Geburtsurkunde unter einem falschen Namen und Geschlechtseintrag und es gibt gar keine Geburtsurkunde für das Kind. Beides führt im Alltag zu einer ständigen Not, sich erklären und outen zu müssen, um zum Beispiel das Sorgerecht nachzuweisen.

Was neben den Themen selbstbestimmter Geschlechtseintrag, Zugang zum Gesundheitssystem und Elternschaft auch nicht vergessen werden darf, ist die Gewalt, der trans* Personen im öffentlichen Raum ausgesetzt sind. Vor allem trans* feminine Personen of Color oder Schwarze Personen werden häufig beleidigt oder angegriffen.

Was müsste geschehen?

Häufig sind es Nichtregierungsorganisationen, die solche Zahlen erfassen. Um das Problem von Gewalt im öffentlichen Raum gegen trans* Personen zu lösen, braucht es eine gesamtgesellschaftliche Veränderung und mehr Bewusstsein für die Anfeindungen, denen trans* Personen ausgesetzt sind. Wichtig ist aber in jedem Fall eine gute und stabile Finanzierung von Beratungsstellen aus dem Anti-Gewalt-Bereich. Und grundsätzlich ist natürlich die Frage, wie die Gesellschaft insgesamt mit Vielfalt umgeht und wie sie sich gegen den Rechtsruck stellt.

Kalle Hümpfner, vielen Dank für das Gespräch.

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