Coming-out: Ein Gespräch über die Sinnfrage

Die politikorange-Redakteurinnen Lea Schneider und Lisa-Marie Fritsche gehören beide zur LGBTIQ*-Community. Sie sprechen über ihre Erfahrungen mit Coming-out, darüber, welchen Mehrwert es haben kann, aber auch über Gründe, die gegen ein Coming-out sprechen.

Farbe bekennen? Quelle: Valeria Boltneva, Pexels

Inwiefern habt ihr euch überhaupt geoutet?

Lisa-Marie: Ich habe mich für ein Coming-out entschieden, als ich gemerkt habe, dass ich auf Frauen stehe. Mir kam es damals selbstverständlich vor, mich zu outen, weil ich persönlich mich damit in meinem Umfeld schon irgendwie “anders” gefühlt habe. Da es für mich super wichtig ist, zu mir selbst zu stehen, habe ich es zuerst engen Freund*innen erzählt und danach auch das Gespräch mit meiner Familie gesucht.

Lea: Ich habe ja ehrlich gesagt meine Probleme mit dem Begriff “Coming-out”. Einfach, weil er sehr dehnbar ist: Ist es ein Coming-out, wenn man seine Sexualität nicht verheimlicht oder erst, wenn man sie aktiv thematisiert und somit vielleicht einiges richtigstellt? Wenn wir uns auf Letzteres einigen, dann gar nicht und dann habe ich es auch – Stand jetzt – nicht vor.

Hast du dein Coming-out denn als positive Erfahrung wahrgenommen, Lisa-Marie?

Das erste Mal laut auszusprechen, dass ich nicht heterosexuell bin, war für mich – um ehrlich zu sein – schon eine Überwindung. Das hängt damit zusammen, dass es in meinem direkten Umfeld niemanden gab, der*die sich offen zur LGBTIQ*-Community zählte. Ich glaube aber, dass es für mich persönlich sehr wichtig war, anderen davon zu erzählen. Wenn man in einem Umfeld aufgewachsen ist, das ziemlich heteronormativ ist, kann es anfangs schwer sein, sich selbst zu akzeptieren, wenn man eben nicht heterosexuell ist. Manchmal habe ich mich sogar gefragt, ob ich mir nicht eigentlich etwas vormache. Mich zu outen hat mir insofern geholfen, dass ich für mich selbst gemerkt habe, dass es wirklich okay ist, nicht heterosexuell zu sein. Außerdem wurde es mit der Zeit immer leichter, meine Sexualität einfach so im Nebensatz zu erwähnen. Mittlerweile ist es wirklich gar kein Geheimnis mehr und das ist ein total befreiendes Gefühl. Außerdem habe ich nach meinem Coming-out logischerweise auch immer mehr Menschen aus der LGBTIQ*-Community kennengelernt und fühle mich mittlerweile gar nicht mehr “anders”, weil ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin.

Ein Coming-out kann einen Mehrwert für einen selbst haben. Warum hast du dich dagegen entschieden, dich zu outen, Lea?

Ich verstehe das total, dass es einem selbst damit besser gehen kann. Wenn ich nach der ein oder anderen Sinnkrise das Thema nicht völlig von mir weggeschoben hätte, hätte ich diesen Mehrwert vielleicht auch für mich erkannt und hätte mich in manchen Situationen anders verhalten. Natürlich ist es gut, zu sich selbst zu stehen, sich selbst und anderen gegenüber. Die Frage ist doch auch, wie weit man den Begriff “Coming-out” dehnt: Ist es schon ein Coming-out, wenn man einfach kein Geheimnis aus seiner Sexualität macht, oder erst, wenn man das Gespräch sucht, um sich mitzuteilen. Für Letzteres fehlte mir zum einen als Teenagerin der Mut, jetzt ist es wichtiger, dass ich es einfach nicht einsehe, dass nicht-heterosexuelle Menschen sagen “müssen”, dass sie nicht hetero sind, um entweder akzeptiert zu werden oder um sich einfach von diesem Druck “wann hat er seine erste Freundin / wann hat sie ihren ersten Freund” zu befreien. Mich stört genau diese Heteronormativität, die dahinter steht: Irgendwie ist es immer noch nicht “normal”, dass jeder*jede jeden*jede lieben kann, auch wenn das gerne so dargestellt wird. Wir leben im 21. Jahrhundert, in einer offenen Gesellschaft – warum spielt die sexuelle Orientierung immer noch eine so große Rolle? Warum ist es nicht einfach egal, wen man liebt? Natürlich ist das sehr idealistisch gedacht, mir ist bewusst, dass wir von einer gerechten, bzw. diskriminierungsfreien Gesellschaft noch ziemlich weit entfernt sind. Trotzdem finde ich dieses Denken wichtig, denn für mich ist eine ideale Gesellschaft unter anderem diskriminierungsfrei.

Liebe ist Liebe, liebe Gesellschaft! Quelle: 42 North, Pexels

Nehmen wir an, dass man sich für ein Coming-out entscheidet. Was spielt eurer Meinung nach noch eine Rolle bei der Entscheidung?

Lisa-Marie: Auf jeden Fall das Umfeld. In einem konservativen Umfeld hat man beispielsweise einerseits eher das Gefühl, sich outen zu müssen, weil man sich “anders” fühlt, es ist aber andererseits auch viel schwieriger, weil man Angst hat, nicht akzeptiert zu werden. Ich finde es auch absolut nachvollziehbar, wenn man sich aufgrund des Umfelds gegen ein Coming-out entscheidet, wenn man sich danach zum Beispiel nicht sicher fühlen würde oder niemanden hat, der einem im Notfall zur Seite stehen könnte.

Lea: Ich teile deine Meinung zum Umfeld total. Ich komme aus einem sehr linken und ohnehin ziemlich queeren Umfeld, wo es halt wirklich egal ist, auf wen man steht. Wegen meines Umfeldes musste ich mir eigentlich nie Sorgen machen. Dass das ein Privileg ist, ist mir erst nach und nach bewusst geworden. Unabhängig vom Umfeld sollte man sich nicht outen, weil man sich von irgendwem unter Druck gesetzt fühlt, sondern wenn man das Bedürfnis hat, sich mitzuteilen und wenn man bereit dazu ist.

Welche Rolle können berühmte Personen, die sich öffentlich outen, spielen?

Lisa-Marie: Ich denke, dass es gerade Menschen, die vielleicht in ihrem Umfeld keine Ansprechpartner*innen haben oder sich noch nicht trauen, mit anderen über ihre Sexualität zu sprechen, helfen kann, online von Leuten zu hören, die zur LGBTIQ*-Community gehören und dazu stehen. Das kann Leuten sicher dabei helfen, zu merken, dass man nicht der*die Einzige ist. Außerdem müssen manche Menschen öffentlich zu ihrer Sexualität stehen, damit es irgendwann wirklich als “normal” angesehen wird. Stichwort Sichtbarkeit. Natürlich denke auch ich mir, dass es doch eigentlich “normal” ist, aber für einen Teil der Gesellschaft ist das leider noch realitätsfern. Vielleicht, weil sie selbst nie mit LGBTIQ* in Kontakt gekommen sind. Personen des öffentlichen Lebens, die sich outen, können meiner Meinung nach eine große Hilfe sein.

Lea: Wenn sich Personen des öffentlichen Lebens outen, ist das zum einen auf jeden Fall ein wichtiger Schritt, um LGBTIQ*-Menschen sichtbarer und repräsentativer zu machen und zum anderen, um Menschen, die sich unsicher fühlen, zu stärken, da kann ich Lisa-Marie nur zustimmen. Momentan “braucht” es leider immer noch Menschen, die sich outen, damit auch diejenigen, die mit dem Thema sonst keine Berührungspunkte und vielleicht deshalb Vorurteile haben, erkennen, dass LGBTIQ* eben keine Sache ist, die nur eine schrille, bunte Randgruppe betrifft, sondern dass es in allen Gesellschaftsschichten und allen Berufsgruppen Menschen gibt, die nicht heterosexuell sind und das es eben doch normal ist. Klar widerspricht sich das auch mit meinem Idealismus – aber das ein Idealzustand nicht realistisch ist, erklärt sich ja schon in der Bedeutung der beiden Worte.

Würdet ihr denn sagen, dass unsere Gesellschaft offen ist?

Lisa-Marie: Ich finde, dass das schwer zu beantworten ist. Wie wir gerade gemerkt haben, kommt das wirklich sehr auf das direkte Umfeld an. Da gibt es Riesen-Unterschiede. Natürlich sollte man sich aber bewusst machen, dass wir es in Deutschland noch vergleichsweise gut haben. In anderen Ländern ist Homosexualität strafbar und teilweise droht Menschen, die zur LGBTIQ*-Community gehören, sogar die Todesstrafe. Im Gegensatz dazu gibt es Deutschland schon die “Ehe für alle”. Das bedeutet zwar nicht, dass es hier keine Diskriminierung mehr gibt, ist aber definitiv ein großer Schritt in die richtige Richtung. Darüber hinaus habe ich den Eindruck, dass die junge Generation tendenziell offener für LGBTIQ* ist, was natürlich daran liegt, dass wir ganz anders aufgewachsen sind. Das trifft sicher nicht auf jede Person zu, gibt aber Hoffnung.

Lea: Unabhängig von meiner Bubble würde ich zumindest sagen, dass wir auf keinem schlechten Weg sind: Trotz Anfeindungen ist der Raum zum Diskurs grundsätzlich da und wird genutzt – ich denke, es findet gerade eine Art Umdenken statt, gerade was das Thema Sichtbarkeit betrifft.

In der LGBTIQ*-Community ist man nicht allein. Quelle: cubicroot XYZ/ unsplash

Was würdet ihr Menschen, die noch überlegen, ob sie sich outen sollen, als Tipp an die Hand geben?

Lea: Tut es, wenn ihr euch sicher damit fühlt und wenn es euch richtig vorkommt. Lasst euch nicht unter Druck setzen. Am Ende ist Sexualität etwas sehr Privates und niemand sollte sich dazu gezwungen fühlen, über so private Themen zu sprechen, nur weil er vermeintlich von der Norm abweicht.

Lisa-Marie: Für mich war es auf jeden Fall die richtige Entscheidung, mich zu outen. Es gibt aber kein “richtig” oder “falsch”. Sich für oder gegen ein Coming-out zu entscheiden, ist eine individuelle Entscheidung. Macht das, womit ihr euch wohl fühlt. Wenn ihr euch für ein Coming-out in einem Umfeld entscheidet, in dem euch nicht jede*r akzeptieren könnte, sucht euch vorher eine Vertrauensperson*, die auf jeden Fall für euch da ist. Außerdem kann es helfen, sich erst vor Leuten zu outen, bei denen man sich relativ sicher ist, dass sie gut reagieren werden. Das kann einem die Angst etwas nehmen. Ansonsten findet man online weitere Anlaufstellen. Viele Leute* aus der LGBTIQ*-Community sind super unterstützend. Man muss sich nur einmal klar machen, dass man wirklich nicht allein ist.

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