Der Zwang zum Engagement?

Ein verpflichtendes Jahr nach der Schulzeit, um sich solidarisch für die Gesellschaft einzubringen. Diese Idee rückte vor Kurzem erneut in den politischen Diskurs und Christopher Folz fragte sich bei dem 4. deutschen EngagementTag in Berlin: Ist ein solches Pflichtjahr eigentlich sinnvoll oder nicht? Hat ein solcher zwang noch etwas mit Solidarität zu tun?

Verpflichtende Solidarität? Foto: Jugendpresse Deutschland/Christopher Folz

Deutschland ist Engagement-Land. 30 Millionen Menschen in der Republik arbeiten ehrenamtlich. Sie bringen ihre Ideen und Vorstellungen für eine bessere Gesellschaft in ihrer Freizeit ein. Beispiele dafür sind Sport- und Musikvereine, Vereine zur Demokratieförderung oder auch Freiwilligendienste, etwa zwischen Abitur und Studium. An Fachkräften in der Altenpflege oder der Kindertagesstätten mangelt es dennoch. Warum sollten junge Menschen dann nicht einfach gleich zum sozialen Dienst verpflichtet werden?

„Wir haben den Eindruck, dass sich in unserem Land die Dinge auseinander entwickeln, dass wir etwas brauchen, was uns zusammen hält.“ Mit diesen Worten hat Bundesverteidigungsministerin und CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer jüngst die Debatte eines verpflichtenden solidarischen Jahres wieder angestoßen und damit ein Thema aufgeworfen, das nicht nur außerhalb ihrer Partei auf Gegenwind stößt.

Die Idee jedoch ist gar nicht so neu. Seit der Abschaffung der Wehrpflicht in 2011 debattieren Politikerinnen und Politiker immer wieder über Möglichkeiten, FSJ, FÖJ, BFD und ähnliche Formen des freiwilligen solidarischen Jahres attraktiver zu machen und mehr junge Menschen zu einem Gap Year nach der Schule zu bewegen. Auch die Verteidigungsministerin hat sich dieses Thema zu eigen gemacht, auch eventuell vor dem Hintergrund einer potentiell zusätzlichen Wiedereinführung der Wehrpflicht. Trotz Werbeaktionen der Bundeswehr sucht auch diese händeringend Nachwuchs. Ein „Deutschlandjahr“, wie es von der CDU genannt wird, könnte da in beiden Bereichen Abhilfe verschaffen.

Dem allerdings setzte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) auf dem 4. EngagementTag in Berlin entgegen: „Menschen, ob jung oder alt, sollten etwas freiwillig tun und nicht, weil sie zwangsverpflichtet werden!“. Zudem lägen laut Giffey die Kosten einer (Wieder-)Einführung eines solidarischen Jahres bei zwölf Milliarden Euro, die Förderung des Freiwilligen Jahres nach ihren Maßstäben koste derzeit nur eine Milliarde Euro.

Mit Engagement hätte ein verpflichtendes Jahr wohl auch wenig zu tun, ist ein zentraler Punkt dessen ja, dass es aus dem Drang heraus, andere unterstützen zu wollen, wächst. Dennoch könnte aus den Erfahrungen eines sozialen Dienstes heraus ein Interesse an und das Bewusstsein zur Notwendigkeit eben dieser gesellschaftlichen Beteiligung geschärft werden.

Sinkende Anerkennung für Freiwilligkeit und Engagement sieht Jens Mölich, Sprecher der Dienstleistenden des Freiwilligen Ökologischen Jahres in Berlin, als eine mögliche negative Auswirkung, sollte die solidarische Verpflichtung zurückkehren.  Viele FSJ-, FÖJ- und Bundesfreiwilligendienstleistenden machen jedoch ohnehin die Erfahrung, dass ein im eigenen Land verbrachtes Gap Year von Außenstehenden häufig kritisch beäugt wird.

Eine mögliche Lösung für den Diskurs äußert Dr. Thomas Röbke, Vorsitzender des Sprecher- und Sprecherinnenrates des BBE: „Was ich mir wünsche ist, dass bürgerliches Engagement in der Bildung in der Schule einen größeren Stellenwert bekommt, also dass es […] auch einen Engagementunterricht gibt“, und spricht damit den Begriff des „Service-Learnings“ an, dass also die Zivilgesellschaft zu einem Ort des Lernens wird – zum Beispiel durch verschiedene Sozialpraktika in der Schulzeit. Der derzeit akute Pflegenotstand wäre damit allerdings nicht gelöst.

Ob man junge Menschen zu einem Jahr sozialer oder auch militärischer Arbeit zwingen kann, ist demnach nicht entschieden. Einblicke in sonst ferne gesellschaftliche Bereiche, wie beispielsweise die Altenpflege, sorgen für eine Erweiterung des Horizonts und die Auseinandersetzung mit Menschen unterschiedlicher sozialer Hintergründe begünstigt einen Ausbruch aus der ganz eigenen Filterblase. Kramp-Karrenbauer wird es mit ihrer Idee des „Deutschlandjahres“ trotzdem ziemlich schwer haben, im Bundestag eine Zweidrittelmehrheit zu erlangen.

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