Ist die Zeit der Jugendkultur vorbei?

Was ist los mit der heutigen Jugendkultur? Weder 68er-ähnliche Bewegungen, noch gesellschaftliche Revolution scheinen diese Jugend zu prägen: Die Jugendkultur verschwindet mehr und mehr. Aber ist das wirklich so? Jan Hendrik Blanke versucht, ein Bild seiner Generation zu zeichnen.

 

Vom Hipster, über den Wanderer bis hin zum Pinguin. Hier kämpfen Jugendliche vereint auf einer Fahrraddemonstration gegen die Braunkohle-Verstromung. I Foto: Jan Hendrik Blanke

1968 gab es Straßen voller Studierenden, die sich gegen eine konservative Gesellschaft erhebten. Mittlerweile gibt es sie wieder, zum Beispiel bei Fridays for Future. Allerdings nicht ganz in dem Maße wie 1968. Was hat sich in der Jugendkultur eigentlich verändert, dass nicht mehr alle jungen Menschen auf der Welt für das Klima demonstrieren? Ist die Zeit der Jugendkultur vorbei oder…

…braucht es nur neue Begriffe?

Der Begriff „Jugendkultur“ stammt von dem Pädagogen Gustav Wyneken und beschreibt „das Entstehen einer eigenen jugendlichen Subkultur“, eine, die abweicht und ihr Zusammenleben nach anderen Regeln strukturiert als die „Leitgesellschaft“. Eine Subkultur definiert sich dadurch, dass sie nach eigenen sozialen Regeln funktioniert und sich ihre Anhängerinnen und Anhängern durch Erscheinungsbild, Kleidung und Accessoires von anderen abgrenzt.

Die Suche nach dem Selbst

Der Wunsch für die Bildung einer Sub-, beziehungsweise einer Jugendkultur, entsteht aus dem menschlichen Wunsch nach Zugehörigkeit und Verortung des Selbst. Besonders Jugendliche haben sich in der Vergangenheit untereinander solidarisiert und eine eigene Subkultur gebildet: Die Jugendkultur. Es sind junge Menschen auf der Suche nach eigenen Lebenskonzepten. Sie versuchen offen traditionelle Weltbilder der vorherrschenden Gesellschaft zu prüfen, Aspekte in ihr eigenes Lebenskonzept zu integrieren und neue Wege zu finden. Dieser Prozess beginnt meistens während der Pubertät, in der junge Menschen beginnen, ihren eigenen Weg außerhalb der Familie zu gehen und das eigene Weltbild zu finden.

Die Offenheit, die junge Menschen auf der Suche nach Weltbildern zeigen, wird durch das aktuelle ökonomische Umfeld sogar noch größer. Durch Industrialisierung und Globalisierung wurden Prozesse in der Wirtschaft stark beschleunigt. Dass bestimmte Berufsgruppen und damit verbunden gesamte soziale Milieus in 20 Jahren nicht mehr, oder nur noch in Fernost existieren werden, gehört heute zum Alltag. Der Mensch muss sich an diese neuen flexibleren Lebensbedingungen anpassen und mit kognitiver Offenheit reagieren. Faktoren, die vor 50 Jahren das Leben bestimmt haben, wie Wohnort, Beruf oder die Fanzugehörigkeit zu einem Fußball-Club werden in diesem Zuge hinterfragt und die Lebensrealität entsprechend neu geordnet. Somit ist Offenheit eine Tugend der modernen Gesellschaft. Flexiblere Lebensumstände sind auch mit flexibleren Weltbildern verbunden, da diese oft mit der durch den Beruf erlange Erfahrung korrelieren. Die so neu zusammengesetzten Weltbilder stammen aus unterschiedlichen, pluralen Erfahrungen.

Digitale Geschmacksallianz

Die zunehmende Offenheit junger Menschen gegenüber pluralistischen Lebenskonzepten wurde durch die Digitalisierung ergänzt. Sie ermöglichte Jugendlichen, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit virtuell und jederzeit zu befriedigen. Wer früher noch Punk war, um gegen gesellschaftliche Strukturen zu rebellieren, musste einen großen Aufwand auf sich nehmen und alle Regeln, das Auftreten wie auch die Kleidung des Milieus übernehmen, um dazu zu gehören. Ein großer Aufwand.

In digitalen Medien kann sich jeder Mensch unterschiedlich darstellen. Ohne das Leben massiv zu verändern, könnte jeder Punk sein, wenn er oder sie es will. Ein paar Instagram-Fotos sind schon genug. Das ermöglicht Menschen die Übernahme verschiedener Rollen in verschiedenen Subgesellschaften. So kann man etwa Öko- und SUV-Fahrer sein. Das schafft eine noch nie dagewesene Form der Pluralität. Durch die Kombinationsmöglichkeiten von Rollen und dem Zusammenschluss in einer Person, bewegt sich das Individuum nicht mehr in einer Subkultur, sondern in digitalen Geschmacksallianzen, findet Prof. Dr. Franz Josef Röll von der Hochschule Darmstadt. Die Allianzen sind nur noch aufgrund des gemeinsamen Interesses miteinander verbunden und bilden keine einheitliche Sub- oder Jugendkultur mehr. Die gleichzeitig gestiegene gesamtgesellschaftliche Offenheit akzeptiert diese Pluralität und die aus ihr resultierenden Widersprüche.

Betrachtet man Kriterien wie gemeinsame Regeln, Habitus oder Kleidungstil, so ist die Jugendkultur verschwunden. Jedoch hat dadurch nicht das altersspezifische Zusammenleben junger Menschen aufgehört. Die Jugendkultur hat sich zur Bildung von Jugendgeschmacks-Allianzen verschoben. Vielleicht ist das ein passender Begriff um zu beschreiben, wie junge Menschen heute zusammen leben.

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