„Das Scheitern Afrikas ist auch das Scheitern Europas!“

Dr. Claude Kabemba hat an der südafrikanischen Wits-University promoviert und leitet eine Entwicklungsorganisation. Unserem Reporter Henri Maiworm erklärt er, dass die Kolonialmächte Afrika nie verlassen haben, was China anders macht und warum Afrika sich ausbeuten lässt.

Dr. Claude Kabemba im Interview mit Henri Maiworm. / Foto: Konstantin Baur

Dr. Kabemba, Sie sind Direktor der Organisation Southern Africa Resource Watch und damit Experte für die natürlichen Ressourcen Afrikas. Welche Rolle können die Bodenschätze bei der Entwicklung und Wohlstandsgewinnung des Kontinents spielen?

Wenn man sich europäische Länder anschaut, erkennt man, dass sie durch den Abbau ihrer Mineralien eine Stärkung ihrer Wirtschaft und Wohlstand herbeiführen konnten. Das ist etwas, womit Afrika sich schwer tut. Afrika ist in einer schwierigen Situation gefangen: Wir haben einen Mangel an Regierungen, die nur dem Volk und nicht sich selbst dienen wollen. Es ist aber auch wichtig, dass wir die Entwicklung Afrikas abseits von Bodenschätzen betrachten. Wir haben sehr viele andere Wirtschaftssektoren, die mehr zur Entwicklung beitragen können – über die wir aber nicht sprechen.

Welche Sektoren sind das?

Ich meine Sektoren wie die Landwirtschaft. Afrika hat viel kultivierbares Ackerland und ausreichend Wasser in viele Regionen des Kontinents. Ein anderer wichtiger Sektor ist Tourismus. Er ist wichtig, wenn es darum geht an ausländisches Geld zu kommen. Wir müssen aber auch über Fischereien reden. Im Moment werden die meisten afrikanischen Gewässern nicht von Afrikaner und Afrikanerinnen genutzt. Die Europäer und Europäerinnen, die Japaner und Japanerinnen, die Chinesen und Chinesinnen – all die ausländischen Fischerbetriebe kommen nach Afrika. Das hat viel mit der internen Schwäche Afrikas zutun, wenn es um Regierungsführung geht. Wenn Afrika das wirklich alles in die Hand nehmen will, braucht es eine starke Position, darum ist der Zusammenhalt in Afrika so wichtig.

Sie kritisieren die EU für ihre Zurückhaltung im Umgang mit afrikanischen Staaten, insbesondere wenn es um Demokratisierungsprozesse geht. Die EU wird aber auch oft kritisiert, weil sie sich als zu sehr in innerafrikanische Angelegenheiten einmischt. Welches Verhalten sollte die EU denn Ihrer Meinung nach an den Tag legen?

Aus historischen Gründen hat die EU die Verantwortung, mit uns zu sprechen. Die Ironie ist doch, dass Einmischungen der EU nicht deshalb zurückgewiesen wird, weil sie sich zu sehr in afrikanische Angelegenheiten einmischt, sondern weil sie sich mit zu vielen Widersprüchen einklinkt. Warum erwartet die EU gewisse Werte von dem einen Staat, aber von dem anderen nicht? Ich fordere die EU auf nach ihren Werten zu handeln – egal in welchen Außenbeziehungen, ob mit Afrika oder oder den USA. Das jetzige Engagement der EU trägt zur Schwächung und Spaltung Afrikas bei. Von der Unabhängigkeit bis jetzt gab es viele europäische Investitionen in Afrika, aber es hat alles nicht funktioniert. Das Scheitern Afrikas ist auch das Scheitern Europas. Oft lag das am afrikanischen Führungsproblem. Die EU muss den Aufbau einer starken Zivilgesellschaft in Afrika fördern. Man kann Regierungen nicht nur mit Druck von außen zur Verantwortung ziehen. Es braucht Menschen, die sich ihren Regierungen auch mal in den Weg stellen.

In der europäischen Wahrnehmung leidet Afrika noch sehr unter Armut und Hunger. Das sind starke Stereotype. Können Sie mir afrikanische Länder nennen, die als Vorbilder für andere afrikanische Staaten fungieren?

Klar, zum Beispiel Äthiopien, ein Staat der einen außerordentlichen Fortschritt über die letzten paar Jahre erreicht hat. Die äthiopische Regierung ist sehr stark im Kampf gegen Korruption. Man könnte aber auch Ghana nennen. Bis vor kurzem haben wir zwar kleine Rückschritte in der Entwicklung Ghanas gesehen, aber das Land war immer ein gutes Beispiel für seinen demokratischen Prozess. Wir haben aber auch den Senegal – ein Land mit sehr wenigen natürlichen Ressourcen, aber mit aktiven Bürgern und Bürgerinnen und einem starken Demokratisierungsprozess. Ruanda ist auch ein schillerndes Beispiel. Mit Paul Kagame hat Ruanda einen sehr starken Führer – einige würden sogar Diktator sagen. Darüber muss man sprechen. Was ist besser: Ein starken Führer, politische Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung oder Demokratie, transparente freie Wahlen, aber eine Wirtschaft im Kollaps?

Was meinen Sie?

Ich glaube, dass für afrikanische Länder Demokratie ein starkes Fundament für nachhaltige Entwicklung und Wachstum bildet. Ruanda ist ein historisch besonderer Fall. Es gibt aber die Hoffnung, dass wenn die Institutionen so stark wie in Ruanda sind, sie sich irgendwann öffnen werden und es mehr Freiheit und mehr Beteiligungsmöglichkeiten für das Volk geben wird. Wie nachhaltig das ist, wird sich zeigen.

Gibt es Länder, wo natürliche Ressourcen zur Entwicklung des Landes beigetragen haben?

Die gesamte südafrikanische Wirtschaft nährt sich aus Mineralien – größtenteils aus der südafrikanischen Goldindustrie. Die Wirtschaft von Botsuana und Namibia baut auf den Einnahmen ihrer Diamanten auf. Ich denke, dass Libyen das perfekte Beispiel dafür war, wie man Öl nutzen kann, um das Volk zu ermächtigen. Aber das wurde jetzt unterbrochen. Der Fall Libyen hat uns auch gezeigt, was für ein Problem der Westen mit der Unterstützung Afrikas hat.

Natürliche Ressourcen können auch Menschenrechtsverletzungen und sogar Konflikte und Krieg hervorrufen – wenn wir an Südsudans Ölreserven oder an Sierra Leones Diamanten denken. Wie kann so etwas verhindert werden?

Um das ganz klar zu machen: Natürliche Ressourcen verursachen keine Konflikte. Menschen verursachen Konflikte.

Viele der natürlichen Ressourcen Afrikas werden exportiert und die Wertschöpfungskette findet außerhalb Afrikas statt – gerade wenn wir an Kakao oder Kaffee denken. Wie kann man diesem Problem entgegenwirken?

Starke und engagierte Führung ist der einzige Weg dazu. Afrikanische Regierungen müssen Entscheidungen treffen und auch dazu stehen. Die Frage ist jedoch, ob wir diese starken Regierungen haben. Die Wertschöpfungsproblematik ist doch keine neues Problem. In den 1960ern, wenn viele afrikanischen Ländern unabhängig wurden, war eines der Ziele der Unabhängigkeit Kontrolle über die eigenen Ressourcen zurückzugewinnen. Das war eine der Begründungen für die Unabhängigkeit, dafür haben wir gekämpft. Aber seitdem hat sich nichts verändert! Das ist nicht die Schuld Europas oder Chinas. Es ist die Schuld Afrikas.

Eine der größten Investoren in Afrika ist China. Kann China ein guter Partner für afrikanische Ländern sein, wenn es um den Zugang und die Gewinnung von Rohstoffen geht?

China hat fruchtbaren Grund gefunden. Westliche Länder haben Afrika in einem miserablen Zustand verlassen. So konnte China leicht ihren Platz einnehmen, um sich zu bedienen. Was China anders macht als Europa ist, dass sie in große Infrastrukturentwicklungs-Projekte investieren. Europa hat Geld lieber in weichere Bereiche wie Bildung, Gesundheit oder Frieden gesteckt. Die Infrastruktur, die China baut, ist nur dazu da, um Rohstoffe zu gewinnen und nicht um der Gesellschaft zu helfen. Am Ende kommt es darauf an, ob die afrikanischen Regierungen korrekt mit ihren Partnern verhandeln. Eines der Probleme, die wir identifiziert haben, ist schwache Verhandlungsführung. Aber da kommt die Korruption ins Spiel.

Also was Sie eigentlich sagen, ist, dass die Kolonialmächte Afrika verlassen haben und China die Lücke gefüllt hat?

Nein, die Kolonialmächte haben Afrika nie verlassen. Sie sind immer sehr präsent, wenn es um Einfluss und Kontrolle geht. Jeder hat gesehen, dass Afrika ein leerer Raum ist, in dem man sich einfach bedienen kann. China, Russland, Türkei – alle kommen, um sich zu bedienen und afrikanische Führer helfen ihnen im Austausch gegen Gefälligkeiten. China tut nur das, was die anderen schon immer gemacht haben auf dem Kontinent. So erschaffen sich China und Europa ihr eigenes Monster. Wenn die Umstände schlimmer werden, es keine Entwicklung gibt, werden die Menschen nach einem besseren Leben suchen. China schickt so viele Menschen nach Afrika, aber ab einem gewissen Punkt werden die Afrikaner und Afrikanerinnen nach China gehen, so wie sie jetzt nach Europa flüchten.

Sie haben mal gesagt, dass „wir den historischen Kontext nicht vergessen sollten, wenn wir über eine EU-Afrika Partnerschaft reden.“ Sie haben aber auch gesagt, dass sich die Beziehung zwischen der EU und Afrika in Verhältnis zur Kolonialzeit nicht sehr verändert hat. Wie würde eine Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen Europa und Afrika aussehen?

Eine Partnerschaft auf Augenhöhe wird nur funktionieren, wenn Afrika bereit ist, die eigenen Interessen zu schützen und auf eigenen Positionen und Entscheidungen zu beharren. Und das nicht nur mit der EU, sondern auch mit China und allen anderen Partnern. Es scheint, dass Afrika zu schwach ist, um sich zu den eigenen Positionen zu bekennen. Darum gibt es einen großes Verlangen danach, den afrikanischen Zusammenhalt zu stärken. Afrika muss einen starken Block bilden, damit es besser mit den mächtigen Staaten und Organisationen wie der EU verhandeln kann.

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