Winterschlussverkauf in der Migrationspolitik

„Dein Land, Deine Zukunft, Jetzt!“ so heißt die Werbekampagne des Bundesinnenministeriums (BMI). Insgesamt sind 2.400 Plakate in achtzig verschiedenen deutschen Städten zu finden und stoßen oftmals auf Kritik. Luis Schneiderhan hat nachgehakt.

 

An Bushaltestellen oder an Bahngleisen sind sie häufig zu sehen. Blau-weiße Plakate mit der oben genannten Aufschrift in sieben verschiedenen Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch, Arabisch, Russisch, Paschtu und Farsi. Die Sprachauswahl orientiert sich laut Bundesministerium für Inneres, Bau und Heimat (BMI) an den Sprachen, die von den Migranten und Migrantinnen in den meisten Herkunftsländern und -regionen verstanden werden. Ein gezacktes Band mit verschiedenen Landesflaggen zieht sich durch die linke Bildhälfte. Vorne mit dabei: die Flaggen von Afghanistan, Russland, Irak, Libanon, Indien und der Türkei. Links das Logo des BMI, rechts das Logo der Kampagne „Rückkehr“.

„Deine Zukunft – ja was für eine Zukunft ist das genau?“, fragt sich die Politologin Hannah Hübner. Zusammen mit ihrem Team hat sie die Petition „Weg mit den Rückkehrplakaten des Bundesinnenministeriums“ ins Leben gerufen, die bis Anfang Dezember 2018 27.000 Menschen unterschrieben hatten. „Eine Zukunft, geprägt von Menschenrechtsverletzungen und Terrorismus“ stehe hinter den positiv gezeichneten Plakaten, wenn diese Menschen in ihr Heimatland zurückkehrten, sagt sie. Die Werbung gab es erst seit dem 1. September 2018, die Initiative schon länger.

Wie alles begann

Das Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterstützt Migrantinnen und Migranten seit 2013 finanziell und organisatorisch – und zwar mit der Initiative „Freiwillige Rückkehrer“ bei der Rückführung ins Heimatland. Die Vorteile laut BMI: Zugehörige Reintegrationsprogramme helfen bei der nachhaltigen sozialen und wirtschaftlichen Wiedereingliederung – beispielsweise durch psychologische und soziale Beratung, Wohnungsmiete und -ausstattung oder finanzielle Zuschüsse für Medikamente.

Im letzten Jahr warb das BMI zusätzlich mit einem Sonderprogramm: Bis zum 31. Dezember 2018 konnten Sonderleistungen im Bereich Wohnen finanziert werden. Einzelpersonen erhielten einen Wohnzuschlag von 1000 Euro, Familien bis zu 3000 Euro, wenn sie bis dahin freiwillig ausreisten. Die Plakate erinnern Hübner an Werbung: „Rückkehr ist aber kein Produkt, das man zu Weihnachten kauft.“ Das Thema sei zu komplex und sensibel, um es in einem Plakat zusammenzufassen.

„Das kann weg.“

Wird für weniger Vielfalt in Deutschland geworben? Der Abgeordnete Uli Grötsch (SPD) bejaht dies. Zusätzlich setze das BMI ein Zeichen gegen deutsche Willkommenskultur. Auch weitere Bundestagsabgeordnete, darunter André Hahn (Linke) und Saskia Esken (SPD), bezeichnen die Werbekampagne als „unterirdisch“. Das Parlament habe keinen Einfluss auf die Werbekampagne gehabt. Dafür habe Horst Seehofer (CSU) umso mehr zu sagen, meint Hübner. Als Innenminister habe er die Oberhand über das BMI und er sei sehr „monothematisch unterwegs“. Hahn warnt, wer versuche die AfD zu überholen, solle aufpassen, dass er dieser Partei nicht noch mehr Stimmen zuspricht.

Laut einem Sprecher des BMI richte sich die Plakatierung insbesondere an ausreisepflichtige Menschen, bei denen behördlich festgestellt wurde, dass kein Aufenthaltsrecht in Deutschland besteht. Wenn diese Ausreisepflichtigen Deutschland verließen, gebe es mehr Aufnahmemöglichkeiten für „tatsächlich Schutzbedürftige“, gab das BMI auf Anfrage von politikorange an. In Deutschland befinden sich derzeit 235.000 ausreisepflichtige Menschen, darunter sind 57.000 nicht geduldet. „Rechtmäßig in Deutschland lebende Personen sind überhaupt nicht Ziel dieser Kampagne“, sagt der Bundestagsabgeordnete (CDU) und Mitglied im Innenausschuss Alexander Throm. Selbstverständlich sei deren Aufenthalt nicht in Frage gestellt.

Das BMI sieht seine Aufgabe darin, die Menschen über ihre Möglichkeiten zu informieren, was mithilfe der Plakate flächendeckend möglich sei. Für Throms ist dies im Gegensatz zur zwangsweisen Rückführung das „mildere Mittel“. Die CDU-/CSU-Fraktion, versichert Throm, sehe es als selbstverständlich, denjenigen zu helfen, die durch Krieg gefährdet seien. Jedoch gelte das nicht für Menschen, die „nur für ein wirtschaftlich besseres Leben nach Europa kommen wollen.“

Die SPD-Abgeordnete Esken räumt in einem Tweet ein, dass mit der Plakatkampagne sogar im digitalen Zeitalter Aufmerksamkeit erzeugt werden konnte, auch wenn „das weg kann“.

Weiteres Vorgehen der Kritikerinnen und Kritiker

Trotz ihrer reichlichen Kritik ist Hübner nicht vollends gegen das Programm der Freiwilligen Rückkehr: „Ich halte es nach wie vor für total wichtig, dass es transparente Informationen zum Thema gibt. Das ist für viele Menschen relevant.“ Die Plakate allerdings seien irreführend und bestärkten vielmehr rechte Denkmuster. Auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) sieht das ähnlich. „Anstelle des Versuchs, schnell und kurzfristig gesteigerte Ausreisezahlen zu erzeugen sollte der Schwerpunkt auf Reintegration in den Heimatländern liegen“, sagt der Teamleiter der Migrationsberatung des DRK, Sebastian Koch. Das DRK berät in ihren sogenannten Perspektivberatungen nicht nur über Rückkehr-, sondern auch über Bleibemöglichkeiten.

Hübner und ihrem Team reicht das jedoch nicht. Sie fordern mit #DeineZukunftohneHorst einen Personalwechsel an der Spitze des Innenministeriums. Sie wollen einen Innenminister, der sich für alle Menschen im Land verantwortlich fühlt – so auch Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund. Weitere Kampagnen zur freiwilligen Rückkehr schließt das BMI derweil nicht aus.

Die Petition ist am BMI nicht vorbeigegangen. Noch im Dezember luden sie Hübner und ihr Team zu einem Gespräch ein,
bei dem sie die Unterschriften übergaben, Kritik äußerten und über mögliche Alternativen für eine bessere Bearbeitung des
Themas Rückkehr redeten. Mit am Tisch saßen Christian Klos, der Leiter des Stabes Rückkehr und Steve Alter, Pressesprecher des Innenministeriums sowie Vertreterinnen und Vertreter von Migrantenverbänden. Hübner äußerte sich dazu schriftlich auf der Internetplatform change.org, auf der sie ihre Petition gestartet hatte. Das Ministerium habe die Kritik zur Kenntnis genommen, „ist dabei jedoch nicht von seinem Standpunkt abgerückt, dass ihre Rückkehr-Werbung gut und sinnvoll ist.“, so Hübner. Die Aktivistinnen und Aktivisten um Hübner appellierten, bei der weiteren Bearbeitung
des Themas Rückkehr die Meinung und Bedürfnisse von Betroffenen einzubeziehen. Laut Hübner sei allerdings nicht absehbar, ob dies in Zukunft der Fall sein wird.

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