Von Stolpersteinen im Journalismus

Medienkritiker werden immer lauter: Das post-faktische Zeitalter habe begonnen und Fake News seien zur Norm geworden! Doch stimmt das wirklich und mit welchen Schwierigkeiten werden Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Arbeit konfrontiert? Während der Jugendmedientage diskutieren vier Menschen, die es wissen müssen. Annick Goergen hat zugehört und mitgeschrieben.

Auf dem Podium diskutierten (von links): Gemma Pörzgen („Reporter ohne Grenzen“), Angelique Geray (Axel Springer Akademie), Markus Bickel (Amnesty Journal) und Lutz Kinkel (Europäisches Zentrum für Presse- und Medienfreiheit). Foto: Jugendpresse Deutschland/Kurt Sauer

 

Medienkritiker werden immer lauter: Das post-faktische Zeitalter habe begonnen und Fake News seien zur Norm geworden! Doch stimmt das wirklich und mit welchen Schwierigkeiten werden Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Arbeit konfrontiert? Während der Jugendmedientage diskutieren vier Menschen, die es wissen müssen.

„Gerade Kollegen, die im Ausland und in Krisengebieten arbeiten, werden nicht mehr adäquat bezahlt“, kritisiert Gemma Pörzgen von „Reporter ohne Grenzen“ die derzeitigen Arbeitsbedingungen für Journalisten und Journalistinnen. Es mangele an Festanstellungen, sagt die Journalistin. Nur Medienschaffende, die vor Ort leben, könnten über die tagtäglichen Missstände eines Landes berichten. Wenn es jedoch nur einen Auslandskorrespondenten für beispielsweise ganz Zentralafrika gebe, werde die Berichterstattung merklich an Substanz und Qualität verlieren. Die Folge? Weiße Flecken in der Berichterstattung.

Lutz Kinkel vom Europäischen Zentrum für Presse- und Medienfreiheit geht sogar weiter: „Das größte Problem ist die Korruption. Möchte ich in einem korrupten Staat über eben diesen recherchieren, schützt mich niemand mehr. Nicht mal mehr die Polizei.” Auf diesem Weg werde eine gute Recherche und eine umfangreiche Berichterstattung verhindert. Die eigentliche Aufgabe der Presse, nämlich das Aufklären von Missständen, könne somit nicht erfüllt werden ohne, dass sich die Berichtenden selbst in Gefahr begeben. „Das war auch der Fall bei Daphne Caruana Galizia in Malta und bei Ján Kuciak in der Slowakei. Beide wurden demonstrativ exekutiert“, sagt Kinkel. So berichtete Kuciak über Verbindungen zwischen Regierungsparteien und organisierter Kriminalität, Galizia über die mögliche Korruption des Premierministers in Malta. Ziel dieser Morde war es, ein deutliche Botschaft zu senden: Lasst die Finger von unseren Geschäften.

Das Internet: Fluch und Segen?

Doch nicht nur die Berichterstattung aus dem Ausland bereitet den Medienmachenden Sorgen. Der ökonomische Druck, der auf jedem Medienmachenden lastet, ist ein großes Thema der Medienlandschaft. Immer mehr Zeitungen beklagen niedrigere Auflagen und somit auch deutlich geringere Einnahmen. Während sich Journalisten und Journalistinnen früher unter Umständen weniger Gedanken um die Interessen ihrer Lesenden machen mussten, um ihre Zeitung zu verkaufen, müssen sie heute viel schneller Nachrichten veröffentlichen. Kinkel glaubt jedoch, dass diese Schnelllebigkeit ebenfalls ihren Preis fordere. Wer in kürzester Zeit viele Artikel schreiben müsse, habe notgedrungen weniger Zeit für Recherche und Vorbereitung. Gleichzeitig gilt es immer öfter, klickbare Artikel zu publizieren, welche online auf große Resonanz stoßen. Für Gemma Pörzgen und Lutz Kinkel ist die Situation alles andere als optimal. Wie gut sich das Thema online vermarkten lässt, „sollte kein Argument sein, nicht über ein Thema zu berichten”, sagt auch Angelique Geray von der Axel Springer Akademie.

Medienprofis: Die Vermittler zwischen wissenden und wissbegierigen Menschen

Dennoch konsumieren und beziehen immer mehr Menschen ihre Nachrichten über die Sozialen Netzwerke. „Wir müssen uns wieder auf unsere ursprüngliche Rolle als Gatekeeper besinnen. Auch wenn Social Media uns diese Arbeit nicht unbedingt leichtmacht”, sagt Geray. In der Vergangenheit seien Journalistinnen und Journalisten meist die wichtigsten Vermittler zwischen den zwei Fronten gewesen: die der Wissenden und die der zu informierenden Menschen. Auch heute liege es in ihren Händen, welche Themen behandelt würden und mit welcher Gewichtung man sich dieser Themen innerhalb des eigenen Mediums widmen wolle. Doch im Zeitalter des Internets kann jeder seine Meinung äußeren und mit dieser auch auf Gehör stoßen. Geray sieht in dieser Freiheit sowohl Fluch als auch Segen, denn obwohl eine funktionierende Demokratie von der Partizipation ihrer Mitbürger lebe, wird es für den Rezipienten immer schwieriger zwischen Meinungen und Fakten zu unterscheiden. Markus Bickel von Amnesty Journal behauptet sogar: „Die Idee vom Web 2.0, die die Demokratie näher an den Bürger bringen soll, ist gescheitert.” Er berichtet von einem vermehrten Aufkommen von Hate Speech und Beschimpfungen online. „Journalisten werden als Feindbild aufgebaut”, sagt Kinkel. Dies führe dazu, dass Journalisten immer öfter mit Gewalt konfrontiert würden. „Wir müssen im Netz lernen, neu miteinander zu kommunizieren. Dafür sind Social-Media-affine Redakteure unabdinglich“, sagt Pörzgen. Bickel stimmt dem zu. Er glaubt, dass soziales Konfliktmanagement daher zum zukünftigen Berufsbild des Journalismus gehört. „Für den direkten Dialog ist es wichtig, dass die Lesenden ein Gesicht zur Geschichte haben”, sagt Geray.

 

Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Yalla Media Akademie, eine Kooperation zwischen der Jugendpresse Deutschland und dem Verein Eed be Eed („Hand in Hand“) aus Berlin. Der Text erschien zuerst in der Printausgabe des Weser-Kuriers.

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