Es schmeckt mit Improvisation

Junge Medienmachende haben sich auf eine kulinarische Stadttour durch Bremen begeben. Katharina Petry hat sie begleitet und interessante Eindrücke gesammelt.

Junge Medienmachende bekommen gezeigt, wie Bremen schmeckt. Foto: Jugendpresse Deutschland/Kurt Sauer

 

Wenn es in Bremen um die Wurst geht, dann teilen sich die Meinungen der Einheimischen. Die einen mögen lieber Kiefert, die anderen Stockhinger, das war schon immer so. Davon ist zumindest der Stadtführer Pierre Demirel überzeugt. Die beiden Bratwurststände, die es in Bremen über Generationen hinweg gibt, stehen sich in der Bremer Altstadt gegenüber. Es liegen vielleicht 15 Meter zwischen ihnen. „Ein echter Bremer entscheidet sich für eine Seite“ sagt Demirel. „Auch die Bratwurstbetreiber wissen, wer zu ihnen gehört und wer nicht. Kunden von der Konkurrenz wurden früher sofort verjagt.“ Das Amüsante daran, das auch nicht jeder Bremer weiß: „In Wahrheit beziehen beide Wurststände ihr Brät vom gleichen Metzger“, weiß Demirel. Zu 95 Prozent seien die Würste gleich.

Improvisation ist Trumpf

Demirel, der ursprünglich aus Niedersachsen kommt, kennt viele solche Geschichten über Bremen. Regelmäßig bringt er Interessierten die kleine Hansestadt mit kulinarischen Stadttouren durch ihre Gassen näher. Dass Bremen ein „Nehmerland“ sei, daraus macht Demirel bei seinen Stadttouren kein Geheimnis. „Wir beziehen durch den Finanzausgleich Gelder aus den reichen Bundesländern. Hessen, Bayern, Baden-Württemberg.“ Was der Bremer gut könne, sei improvisieren – aus Nichts etwas Gutes machen. Das beste Beispiel ist für Demirel das Bremer Kaffeebrot: Zwieback, getunkt in kalten Kaffee, gezuckert, getrocknet, fertig. In seinen kulinarischen Stadttouren steuert Demirel deswegen immer auf das Café Knigge zu, um das Gebäck zu probieren. Denn es ist ein traditionsreicher Ort. So wurde das Café nach Adolf Knigge benannt, der den Umgang am Tisch maßgeblich prägte. Wer bei Kaffee und Kuchen plauschen möchte, der ist im Café Knigge genau richtig. Die Mitarbeitenden lächeln jedem freundlich zu. Die Wände sind mit viel Gold verziert. Beinahe banal wirkt der Kaffeezwieback, unscheinbar, zu einfach. Genau diese Einfachheit punktet aber, wie Demirel verrät, denn der Kaffezwieback wird heute sogar abgepackt verkauft.

Wer in Bremen ist, kommt bei keiner Stadttour an den Bremer Stadtmusikanten vorbei, die das Grimmsche Märchen vom Esel erzählen, der von seinem Hof vertrieben wird und sich mit Hund, Katze und Hahn zusammenrottet, um in Bremen durch die Musik der Nutzlosigkeit zu entgehen. Heute stehen die vier Tiere als Statue am Rande des Marktplatzes, Hund auf Esel, Katze auf Hund, der Hahn oben daruf, den Schnabel weit aufgerissen, als ob er laut krakeelen möchte. „Touristen erwarten die Statue meist größer und spektakulärer“, sagt Pierre. Die wahre Größe stecke aber hinter der Aussage der Statue: Pierre holt tief Luft und schreit es aus sich heraus: Gemeinsam sind wir stark, auch in schlechten Zeiten. Der Bremer kenne sich eben aus beim Improvisieren. Eine Schlange hat sich bereits vor den vier Tieren gebildet, alle möchten mit dem Wahrzeichen der Stadt fotografiert werden. „Schaut her, so macht man es richtig: beide Hände fest um die Beine des Esels. Und sich dann etwas wünschen“, sagt Pierre. Die Stelle um die Beine des Esels ist bereits ganz hell, weil so viele Hände bereits dieses Ritual vollzogen haben.

„Berühmter Kaffee-Mix“ aus Bremen

Vom Märchen in eine andere zauberhafte Welt sind es nur wenige Schritte über den Marktplatz bis zur Böttcherstraße. „Verwechselt niemals die Böttcherstraße mit der Böttchergasse, sonst landet ihr in Niedersachsen“, ermahnt Demirel. Mit Kopfstein gepflastert und Backstein bebaut, schlängelt sich die kleine Straße dahin. Hier eine Kneipe, da ein Laden voller Süßigkeiten. Und weil man sich in Bremen kennt, geht Demirel bei seinen Stadttouren auch schnell mal rein und kommt mit einer Handvoll Bonbons heraus, die wie er den Teilnehmenden seiner Touren beibringt, auf Bremisch Bonsch genannt werden. Und wenn wir schon einmal hier sind, so denkt Pierre vielleicht, zeige ich ihnen gleich noch das Glockenspiel mit 30 Meißener Porzellanglocken. Sie sind der Grund, weshalb sich in der Böttcherstraße zur vollen Stunde auffällig viele Menschen tummeln. Auf einmal geht Pierre in die Knie, verrenkt sich und zückt sein Smartphone. „Wundert euch nicht, wenn ihr hier Leute seht, die so dastehen“. Er nennt es Touristenpose für Menschen, die das Glockenspiel durch ihre Displays heranzoomen. Darauf erst einmal einen Kaffee. Laut Demirel ist die Hansestadt auch dafür berühmt. Es gibt die bekannte „Bremer Mischung“, die beispielsweise in „Büchlers beste Bohne“ angeboten wird. Auch hier gilt das Motto „sparen“. Der Kaffee komme aus Vietnam und Brasilien, den Hauptexportländern des Kaffees. „Wenn wir die Sorten mischen passiert das weniger aus Geschmacksgründen, sondern aus Kostengründen“, sagt der Inhaber von „Büchlers bester Bohne“. Geschmack entstehe so oder so erst beim Mahlen. Den Touristen ruft er daher zu: „Kauft euren Kaffee bei regionalen Händlern, die gibt es überall!“

Es geht die Böttcherstraße hinauf, eine massive Steigung für Bremen: Ganze 16 Höhenmeter hat die Stadt laut Demirel zu bieten. Am höchsten Punkt steht die Unser Lieben Frauen-Kirche. Man müsse das Heilige schließlich vor den Fluten schützen und sich auf die Gipfel retten sagt er, mit einem eindeutigen Augenzwinkern. An der Ecke zur Böttcherstraße steht ein Akkordeonspieler, der stimmt auf alte Traditionen ein, die man auch im Ratskeller findet. Es Zeit für das Finale der kulinarischen Tour: Zeit für etwas Deftiges: Der Ratskeller liegt unter der Erde. Eine breite Treppe führt hinab in die traditionsreichen Räumlichkeiten. Auf den Tischen steht je eine rote Rose, das Licht ist gedimmt. An den Tischen des Restaurant sitzen Gäste aus aller Welt, die sich an der originalen Küche Bremens versuchen möchten. Sehr beliebt ist das Labskaus, ein Mix aus Kartoffelpürree und Rindfleisch, daneben getreu der Hansestadt ein Stück Rollmops. Das Feedback der schwierig auszusprechenden Speise: Schmeckt besser als es aussieht. Ein Resteessen sei der Labskaus, „aus Zeiten, in denen es nichts anderes gab.“ Improvisieren, wenn die Situation nichts hergibt, eben typisch Bremen.

 

Dieser Beitrag entstand im Rahmen der Yalla Media Akademie, eine Kooperation zwischen der Jugendpresse Deutschland und dem Verein Eed be Eed (“Hand in Hand”) aus Berlin. Der Text erschien zuerst in der Printausgabe des Weser-Kuriers.

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