Weizsäcker: Vor der Wahl ist es klug, sich zu informieren

Jakob von Weizsäcker ist nicht nur der Neffe von Richard von Weizsäcker, dem einstigen Bundespräsidenten, sondern sitzt auch als Abgeordneter für die SPD in der Fraktion der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament. Dort beschäftigt er sich insbesondere mit Wirtschaft und Verbraucherschutz. Unsere Autorin Lea hat ihn im Rahmen des #EPjugendforum in Thüringen getroffen und mit ihm über seinen Weg in die Politik, Jugendbeteiligung, Iranabkommen und Waffenexporte gesprochen:

politikorange-Redakteurin Lea im Gespräch mit Jakob von Weizsäcker (MdEP).                               Foto: Jonas Gebauer

Wie sind Sie nach Ihrem Studium von Physik und Volkswirtschaftslehre in die Politik gekommen? Spielte da Ihr politisch bekannter Nachname eine entscheidende Rolle?

Nein, eigentlich nicht. Ich habe ja angefangen Mathematik und Physik zu studieren und habe einen ersten Abschluss in Physik gemacht. Anschließend habe ich aber gemerkt, dass mich die wirtschaftlichen Zusammenhänge sehr interessieren. Dann habe ich einen zweiten Abschluss in der Volkswirtschaftslehre gemacht, in der man sich nicht darüber Gedanken macht, wie eine Firma profitabel werden kann – das wäre dann Betriebswirtschaftslehre – sondern, wie sich ein Land oder die Europäische Union oder sogar weltweit, man sich organisieren kann, damit es mehr Wohlstand oder weniger Ungerechtigkeit gibt. Das sind die Fragen, die die Volkswirte beschäftigen. Da war es naheliegend, nach dem Studium zu versuchen, es abzuwenden. Also habe ich als erstes eine Weile bei der Weltbank gearbeitet, da geht es vor allem darum, sehr armen Ländern zu helfen – das ist Entwicklungshilfe. Dann habe ich es eine Weile bei einer Denkfabrik in Brüssel gemacht und danach im Thüringer Wirtschaftsministerium, wo es also jetzt speziell um Thüringen ging. Dann ergab sich die Chance, zu kandidieren für das europäische Parlament – im ‚reifen‘ Alter aus Ihrer Sicht von 44 Jahren. Da habe ich gesagt: ‚Das passioniert mich, dafür brenne ich, für Europa, das europäische Projekt ist mir sehr nah.‘ Das hat tatsächlich biografisch auch seine Gründe. Ich habe in Großbritannien Abitur gemacht, in Frankreich meine Abschlüsse und in Polen eine Art Zivildienst geleistet. Also habe als Deutscher schon in vielen anderen Europäischen Ländern gelebt – da passte das sehr gut. Und dann hatte ich das Glück auch gewählt zu werden und das ist auch nicht so selbstverständlich.

Warum sollten sich Jugendliche Ihrer Meinung nach mit Politik beschäftigen? Gibt es außerdem Möglichkeiten als Jugendliche seine Meinung in die europäische Politik mit einzubringen?

Ja, selbstverständlich. Ich meine, erstens ist es so, wenn man 18 ist, dann kann man wählen und interessanterweise können alle Europäer, also alle Bürger der Union wählen, egal wo sie wohnen. Also wenn Sie jetzt zum Beispiel zum Studium für einen Erasmus-Austausch nach Spanien gehen würden und es wären zufällig Europawahlen und Sie sind schon 18, dann können Sie auch in Spanien Europawahl machen. Also das ist das Naheliegende, man kann wählen!

Wenn man allerdings die Wahl hat, ist es auch klug, sich vorher so ein bisschen zu informieren. Wer stellt sich da überhaupt zur Wahl, mit was für einem Programm? Um das vernünftig hinzubekommen, muss man sich natürlich auch damit beschäftigen. Das ist natürlich nicht nur ein ganz wichtiges Mitspracherecht, sondern daraus ergibt sich auch – jedenfalls moralisch eine gewisse Pflicht und Verantwortung, sich zu informieren. Was entscheidet man da denn eigentlich? Was sind die Konsequenzen, wenn man jetzt in die ein oder andere Richtung abstimmt?

Darüber hinaus gibt es natürlich auch die Möglichkeit – ich habe Erasmus schon erwähnt – als Student oder in der Ausbildung einen Austausch zu machen. In vielen Schulen in Thüringen wird das sogar schon für Schüler angeboten. Vielleicht nicht für sehr lange, aber für einige Wochen, dass man für ein paar Wochen ins europäische Ausland gehen kann und das ein wenig kennenlernen kann. Europa ist ja also auch ein spannender und ein sehr schöner Kontinent. Da gibt es natürlich auch die Möglichkeiten, sich in Organisationen einzubringen. Es gibt zum Beispiel eine junge pro-europäische Organisation. Das sind die jungen europäischen Föderalisten, die also sich speziell das Zusammenwachsen von Europa auf die Fahnen geschrieben haben. Aber es gibt durchaus auch die Möglichkeit, sich in unterschiedlichen Parteien einzubringen und alle Parteien in Deutschland interessieren sich natürlich auch für die Europapolitik, weil so viele Dinge in Brüssel entschieden werden.

Gibt es ein Gesetz in der europäischen Politik was für Sie besonders änderungsbedürftig scheint?

Also wir haben jetzt gerade erst diese Woche ein neues Gesetz beschlossen, auf europäischer Ebene, worüber ich sehr froh bin. Das ist die sogenannte Entsenderichtlinie. Das wird Ihnen so nichts sagen. Aber das ist von hoher Bedeutung. Denn wir haben sehr viele Menschen, die in Europa grenzüberschreitend Arbeiten verrichten. Ob das jetzt Lastwagenfahrer sind oder Bauarbeiter, aber auch grenzüberschreitende Unternehmensberater beispielsweise – das spielt eine wichtige Rolle. Bisher war es so, dass die Situation entstehen konnte, dass in einem Betrieb, in einem Hotel, auf einer Baustelle, Leute aus unterschiedlichen Ländern am selben Ort zu ganz unterschiedliche Löhne gearbeitet haben. Das ist natürlich nicht fair und da haben wir jetzt gesagt, es muss das Prinzip gelten: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort, egal woher jemand kommt. Das schützt Leute die von außen kommen vor Diskriminierung, was sehr wichtig ist. Das schützt natürlich auch Leute, die hier vor Ort z.B. aus Thüringen sind, vor einer Art von unfairem Wettbewerb, von Leuten, die dann bereit sind, für viel weniger Geld zu arbeiten. Dies war also ein wirklicher Missstand, dass das bislang nicht vorgeschrieben war. Das haben wir jetzt in Ordnung gebracht.
Es gibt natürlich auch immer noch Bereiche, in denen sind wir noch nicht soweit. Also ein Politikbereich in dem ich arbeite ist, dafür zu sorgen, dass die Geldgeber für die Banken auch wesentlich mehr eigenes Geld in den Banken zum Einsatz bringen, so dass die Bank von mir aus gerne – wenn das Geschäft gut läuft – die Gewinne dann auch für sich beanspruchen können. Aber was wichtig ist: Wenn es schlecht läuft, selber ihr Geld verlieren und nicht die Steuerzahler dazu zwingen können, für ihre Verluste einzuspringen. Und das wäre also ein Bereich, der nur europäisch gelöst werden kann, weil da die Verflechtungen so stark sind. Insbesondere in der gemeinsamen Währung.
Aber es gibt auch andere Dinge. Ich war gestern in Erfurt auf einer Veranstaltung: Da fuhr ein Bus durch ganz Europa, um dafür zu werben, dass arme Menschen überall in der EU eine Art von Mindesteinkommen bekommen sollen. In Deutschland haben wir das. Das ist nicht sehr üppig, das nennt sich Hartz IV. Aber es stellt doch sicher, dass jeder eine Wohnung bekommen kann, jeder Kleider hat, jeder was zu essen hast – was auch wichtig ist für die Kinder. Ich meine, man stelle sich mal vor, Kinder von Leuten die Not haben, müssten dann im Elend leben, weil ihre Eltern in Schwierigkeiten sind. Also in Deutschland haben wir das einigermaßen hinbekommen. Aber es gibt Länder in der EU, wo noch nicht mal das wirklich sicher gestellt ist. Ich würde mir das auch für überall wünschen, dass die soziale Säule gestärkt wird. Und nicht das hier Missverständnisse entstehen: Es geht jetzt nicht darum, dass die Mindestsicherung in Bulgarien genau so sein muss, wie in Deutschland. Weil natürlich das Einkommensniveau dort niedriger ist, die Lebenshaltungskosten niedriger sind. Das würde nicht funktionieren. Aber es sollte doch in jedem Land der EU gemessen an den gültigen Einkommensstandards eine vernünftige soziale Sicherung geben. Das wäre ein wichtiger Beitrag für ein sozialeres Europa.

Donald Trump hat sich gegen das Atomabkommen mit dem Iran gestellt. Nun steht die EU unter Druck. Wie sollte sie sich jetzt am besten verhalten?

Das haben wir schon sehr klar entschieden. Wir haben gesagt, dass wir daran glauben, dass das Iranabkommen richtig war und das uns der Iran bisher auch keinen Anlass gegeben, das Abkommen aufzukündigen. Bedauerlicherweise hat Herr Trump von Anfang an, dieses Iranabkommen bekämpft, was damals sein Vorgänger Obama abgeschlossen hatte. Jetzt haben wir ganz klar gesagt – in Europa: ‚Wir wollen diesen Weg mit dem Iran, um sicher zustellen, dass die sich nicht ganz schnell atomar bewaffnen und gleichzeitig, um mit diesem schwierigen Land in unserer weiteren Region – das ist ja auch kein einfacher Partner, das muss man wirklich sagen – einen vernünftigen Weg in eine bessere gemeinsame Zukunft gehen.‘
Das haben wir also gesagt, das wollen wir machen. Das können wir auch. Wir lassen uns nicht von anderen Ländern, und sei es die USA – das mächtigste Land der Welt – , vorschreiben was wir beim Iran zu tun und zu lassen haben. Aber ein wichtiges Problem hat der Ausstieg Amerikas aus diesem Abkommen doch aufgeworfen. Denn die Amerikaner sagen nämlich, dass europäische Firmen – namentlich auch deutsche Firmen – die in Amerika weiter Geschäfte machen wollen, sich an die Sanktionen halten müssen, die Amerika gegenüber dem Iran beschlossen hat. Jetzt gibt es natürlich viele Firmen, große Konzerne, die sagen: ‚Wir würden gern im Sinne des Iranabkommens, was Europa weiterhin unterstützt, Geschäfte auch mit dem Iran machen, können das aber nicht, weil wir Sorgen haben müssen, dass wir dann gigantische Strafen in unseren amerikanischen Töchtern bezahlen müssen‘. Das ist eine große Schwierigkeit, vor der wir jetzt stehen. Die Frage, wie füllen wir eigentlich dieses Abkommen mit Leben, wenn ganz wichtige Teile unserer Wirtschaft aufgrund der Verflechtungen wirtschaftlicher Art mit den USA das Abkommen gar nicht mit Leben füllen können. Da sind wir gerade dabei, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, bis hin dazu allerdings, in begrenzter Art und Weise, dass man der ein oder anderen Firma sagt: ‚Wir sichern euer Geschäft mit dem Iran durch gewisse Garantien ab, damit eure Sorge, dass ihr an anderen Stellen auf der Welt damit Strafen aussetzt, ein bisschen reduziert wird‘. Das ist die eigentliche Schwierigkeit heute.

Sollte Deutschland noch Waffen in Krisengebiete exportieren?

Ja, das ist eine ganz wichtige Frage. Also, wir haben glücklicherweise relativ strenge Regeln in Deutschland, wohin Waffen exportiert werden dürfen. Wir haben aber auch ein Problem in Deutschland und das hat mit Europa zu tun oder in diesem Fall mit zu wenig Europa. Im Moment ist es noch so, dass die Waffenhersteller, die Waffenrüstungsindustrie, sehr stark national ausgerichtet ist. Also wir haben zum Beispiel ziemlich viele Hersteller von Militärhubschraubern oder Düsenflugzeugen in Europa und da ist es fast überall gleich – da sagen die jeweiligen Hersteller: ‚Wenn ihr wollt, dass wir euch eurem Militär zu einem einigermaßen günstigen Preis ein Düsenflugzeug verkaufen können, müsst ihr uns auch erlauben, tüchtig zu exportieren, damit die Entwicklungskosten für dieses Flugzeug auf eine große Stückzahl verteilt werden kann‘. Und dann wird immer dazu gesagt: ‚Wenn ihr das nicht erlaubt, dann verdreifacht sich entweder der Preis für eure Flugzeuge zum Beispiel oder aber es werden tausende von Leuten bei uns arbeitslos, weil wir unsere z.B. Fabrik zumachen müssen‘. Und dieses Erpressungsspiel gibt es überall in Europa. Ein kluger Weg, um da rauszukommen, ist zu sagen, lass uns doch nicht jeder unsere eigene Düsenflugzeugfabrik, unsere eigene Militärhubschrauber- und Panzerfabrik haben, sondern lass uns dafür sorgen, dass wir das Ganze europäisch angehen. Das würde dazu führen, dass die Stückzahl – also Europa ist sehr groß, wir haben eine halbe Milliarde Einwohner, 28 Mitgliedsstaaten – wenn die unterschiedlichen Luftwaffen Europas sich koordinieren würden – da machen wir Ausschreibungen und wer das gewinnt, kann dann also relativ viele verkaufen – dann würde das Argument des dann noch verbliebenen Anbieters viel schwächer. Dass man jetzt unbedingt ständig exportieren müsse, um das Überleben der Firma zu sichern oder um eine noch einigermaßen akzeptable Stückzahl sicherzustellen. Sie sehen also: Manchmal gibt es überraschende Effekte. Mehr Zusammenarbeit bei den Sicherheitsfragen, auch bei Rüstung in Europa, würde dem Exportdruck für Rüstungserzeugnisse, der problematisch sein kann, wenn man in Krisenländer exportiert, maßgeblich reduzieren helfen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hinweis: Dieser Text entspricht den aufgezeichneten O-Tönen von Jakob von Weizsäcker. Aufnahmedatum: 01.06.18

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.