Ein Europa in dem wir gerne leben wollen

Aufmerksame Blicke von rund 100 Schülern sind auf die Politiker in der Mitte des Hessischen Landtags in Wiesbaden gerichtet. Gleich sind sie an der Reihe und dürfen die heutigen Ergebnisse von den Gruppenarbeiten den drei Politikern Norbert Kartmann (CDU – Präsident des Hessischen Landtags), Ulli Nissen (SPD- Bundestagsabgeordnete aus Frankfurt) und Martin Häusling (Grüne/ Bündnis 90 – Abgeordneter des Europäischen Parlaments) vorstellen. Timon Meisner hat den gesamten Tag über etwas genauer hingeschaut.

Früh morgens begann das EP-Jugendforum: „Uns verbindet mehr als uns trennt. Die gemeinsamen Erfahrungen durch zwei Weltkriege prägen das gemeinsame Streben nach Frieden“, sagte der Direktor des Hessischen Landtags, Peter von Unruh, zur Begrüßung. Schüler von vier verschiedenen Schulen innerhalb Hessens reisten an, um an dem Jugendforum teilzunehmen. Das Event ist für viele Schüler die erste Möglichkeit mit Politikern in Kontakt zu treten und eigene Vorschläge einer höheren Instanz anzubringen und auf Augenhöhe zu diskutieren. 

Nach von Unruhs abschließenden Worten „Europa kann auch ganz schön anstrengend sein“ im Plenarsaal des Hessischen Landtags, startete die Ausschussarbeit. Die Schüler hatten sich im Vorhinein auf drei Oberthemen aufgeteilt, nämlich Handel, Umwelt und Ernährung und fanden sich dann in ihren Ausschüssen ein, um sich untereinander auszutauschen und eigene Ideen zu entwickeln. 

Experte werden in nur zwei Stunden

Zu Beginn dieser Projektarbeit hat ein Fachreferent das Thema eingeführt und dafür gesorgt, dass die Schüler eine angemessene Diskussionsgrundlage haben. Denn wie soll man Verbesserungsvorschläge erarbeiten, wenn man sich nicht ganz im Klaren ist, was das Problem ist?Die Schüler waren aber bezüglich aller Themen nicht ganz unwissend: Aus dem Politik und Wirtschaft-Unterricht der Schule konnte so manches eingebracht werden, was dann auch den Anderen zu Gute kommen konnte.

Problem erkennen, Lösungswege aufzeigen und konkrete Maßnahmen benennen: Die Arbeit in den Ausschüssen war geprägt von jeder Menge intensiven Überlegungen. Foto: Jonas Gebauer.

Der “Handelsausschuss“ beschäftigte sich mit zwei Themen: Mit der Förderung kleiner Unternehmen, und mit der Legalisierung von Cannabis. Beide sind sehr umfangreich, aber die Schüler haben es trotzdem – nach außen ohne große Anstrengung – schnell geschafft, viele wichtige Aspekte bezüglich der Thematik des Themas einzuwerfen und bei ihren Verbesserungsvorschlägen sehr viele Faktoren berücksichtigt, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. Eine Gruppe brachte den Vorschlag an, eine Art internationales Kaufhaus für Start-ups und lokale Geschäfte innerhalb der EU einzurichten um kleinen Businesses die Chance zu geben, mit Konzerngiganten wie Amazon™ mithalten zu können. Die Idee wurde mit Rücksicht auf viele mögliche Hindernisse weiter ausgebaut. Alle Ausschüsse arbeiteten auf einem sehr hohen fachlichen Niveau und gaben sich Mühe gute Vorschläge vorstellen zu können.

Präsentation vor Publikum: Wie kommen die Ideen an?

Nach der Ausschussarbeit und einem kleinen Snack fanden sich alle Schüler in dem Plenarsaal zu einer Diskussionsrunde ein, um die Ausarbeitungen zu beurteilen: Der Ausschuss “Ernährung” durfte mit der Präsentation beginnen: Es wurde erstens die Kennzeichnung von Lebensmitteln mit z.B. einem QR-Code vorgeschlagen. Mit Hilfe dieses QR-Codes soll man die Herkunft der Lebensmittel ermitteln können, aber auch nachvollziehen können, mit welchen Medikamenten die Tiere behandelt wurden. 

Als es Zeit für Rückfragen war, stellte sich die Frage: “Wer soll das denn wie Kontrollieren?” und daraus folgte der Vorschlag, Überraschungskontrollen einzurichten, um mit Stichproben die Richtigkeit und Transparenz der Produkte zu überprüfen. Dann wurde abgestimmt um zu sehen, was die anderen Schüler von der Idee halten. Der Vorschlag von QR-Codes auf Lebensmitteln fand mit 88 Ja-Stimmen und keiner Nein-Stimme sehr große Zustimmung. 

Das zweite Thema aus dem Ausschuss war Massentierhaltung. Der Ausschuss forderte striktere Gesetze gegen Massentierhaltung, primär, dass es ethisch nicht vertretbar sei, Tiere rein als Produkt zu sehen. Sie forderten außerdem den Gesamtkonsum von Fleisch zu verringern und damit auch  würdige Haltungsbedingungen zu schaffen. Denn wenn weniger produziert werden muss, kann dies auch unter humanen Zuständen passieren, so das Argument. Bei der Abstimmung fand sich auch hier eine Mehrheit: 45 SchülerInnen waren dafür, 15 dagegen und es gab 31 Enthaltungen.

Rückmeldung von Politik-Profis

Die Abgeordneten Martin Häusling und Ulli Nissen sahen diesen Vorschlag auch als sehr wichtig an, und sie stimmten zu, dass Punkte wie die Herkunft von Fleisch dem Käufer klar ersichtlich sein sollten. Außerdem war beiden der ausreichende Auslauf von Tieren sehr wichtig. Landtagspräsident Norbert Kartmann fand die Idee zwar gut, war aber dennoch der Meinung diese Veränderung eher langsam in die Wege zu leiten: „Wir können niemandem vorschreiben, was er zu essen hat“, sagte er.

Martin Häusling, Ulli Nissen und Norbert Kartmann (von links nach rechts) unterstützten die Vorschläge der Schülerinnen und Schüler nicht immer gleichermaßen. Foto: Jonas Gebauer.

Die Vorschläge der SchülerInnen zur Legalisierung von Cannabis vertraten die Meinung, dass wenn der Cannabis-Konsum und Verkauf vom Staat kontrolliert werden würde, man eine bessere Qualität garantieren könne, denn Schwarzmarkt-Drogen können potentiell sehr gefährlich sein. Sie forderten, dass der Konsum von Cannabis mit dem Konsum von Alkohol gleichgestellt werden soll, da der Konsum von Alkohol nicht per se „sicherer“ sei. Die Rückfragen der Schüler reichten von “Was sind die Auswirkungen von Cannabis?” über “wie sieht es aus mit dem Konsum an öffentlichen Orten?” bis hin zu “würde das zu gefüllteren Kassen im Staatshaushalt beitragen?”. Trotz der kritischen Fragen fand der Vorschlag 44 Ja-Stimmen und nur 25 Nein-Stimmen. 

Ein EU-Kaufhaus für Kleinunternehmer als Alternative zu globalen Handelsriesen?

Der Vorschlag zu einem “EU-Kaufhaus” für Kleinunternehmen des Handelsausschusses traf auf eine Zustimmung von 57 SchülerInnen, während 6 SchülerInnen dagegen waren und 24 sich enthielten. 

Ulli Nissen war auch für die Legalisierung und forderte zugleich einen kontrollierten Verkauf, bei dem der Staat profitieren kann. Außerdem fand sie die Idee für die Unterstützung der Kleinunternehmen toll und fügte hinzu, dass sie immer ein schlechtes Gewissen habe wenn sie bei Amazon einkaufe. Landtagspräsident Kartmann sprach sich deutlich gegen die Legalisierung von Cannabis aus und nannte sie eine “Einstiegsdroge”. Auch dem Vorschlag für ein EU-Kaufhaus konnte er nicht zustimmen, weil er sich nicht sicher sei, ob es in die derzeitige Marktwirtschaft passe. 

 

Diskussion im Plenum: Jeder Vorschlag wurde genauestens geprüft und hinterfragt. Foto: Jonas Gebauer.

 

Umwelt – who cares?

Der Umweltausschuss schlug vor, mindestens 20% des Verkehrs mit erneuerbarer Energie zu betreiben, einen Ersatz für fossile Brennstoffe zu finden und eine Steuer für Firmen, die Kohle- und Atomkraftwerke nutzen, einzurichten. Einige Schüler fragten, wie das finanziert werden sollte, da die Stromkosten höher werden würden, worauf die Gruppe Steuersenkungen für Nutzer von Ökostrom vorschlug. Dieser Vorschlag fand hohe Zustimmung und 79 stimmten dafür. Nur 3 SchülerInnen stimmten dagegen und 11 enthielten sich. 

Der letzte Vorschlag bezog sich auf Plastik: Im Gespräch war eine Plastiksteuer für Einwegplastik, um eine Möglichkeit zu finden, Produkte ohne die Nutzung von Plastik zu verpacken. Für den Vorschlag waren 83 SchülerInnen, nur 7 enthielten sich und keine Person stimmte dagegen. 

Auch in den Vorschlägen der Gruppe “Umwelt” konnte Bundestagsabgeordnete Nissen zustimmen: “Es hat sich gezeigt, wenn etwas kostet, dann bringt es etwas”, sagte sie und schlug auch anstatt der Nutzung von Mikroplastik die vermehrte Verwendung von Mehrwegbechern vor. Zudem unterstütze sie die Umstellung auf erneuerbare Energien. Martin Häusling fügte hinzu: “Alte Energien blockieren neue”.

Nach der Diskussion mit den Abgeordneten endete ein anstrengender, aber informativer Tag mit einem Abschlussbild im Plenarsaal. Es war ein Event das dem ein oder anderem noch länger in Erinnerung bleiben wird. Denn ein Austausch zu aktuellen Themen ist eine tolle Sache und die Chance, mit Politikern auf Augenhöhe zu diskutieren, hat man nicht jeden Tag.

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