Sandra Detzer über ihre Partei Bündnis 90 / Die Grünen

In den kommenden Wochen stellt Marcel Kupfer die Wahlprogramme vor. Zu jedem führt er ein Interview mit einem Parteimitglied. Diese Woche geht es um Bündnis 90/Die Grünen: Er befragt die Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, Sandra Detzer, zu Wahlkampf, Feinstaub, Trump und Frauenquote.

Im November wurde Sandra Detzer zur Landesvorsitzenden gewählt. Foto: Marcel Kupfer

Sandra Detzer beschreibt sich in drei Sätzen: Mir macht mein Job sehr viel Spaß. Weil man da richtig viel gestalten kann und viele spannende Leute trifft. Zusammen kann man dann was Gutes aus der Zukunft macht.

Frau Detzer, warum haben Sie sich für Bündnis 90/Die Grünen entschieden?

Die Grünen sind die einzige Partei, die Politik macht für ein gutes Morgen und Übermorgen, und ich finde, das ist genau der richtige Politikansatz. Denn es geht darum, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder mit den Entscheidungen leben können, die wir heute treffen.

Hatten Sie schon mal Zweifel und haben über einen Parteienwechsel nachgedacht?

Nein, ein Parteiwechsel kommt für mich nicht in Frage, auch wenn der Alltag beim Politik machen schon ab und zu mal hart ist. Die Grünen sind für mich die einzige Partei, die es mit Umwelt- und Klimaschutz ernst meint und die Wirtschaft und Umwelt zusammen denken.

Heute bekommt man das Gefühl, dass viele Politiker und Politikerinnen im Wahlkampf genauso viel auf Social-Media-Kanälen zu finden sind, wie im Straßenwahlkampf. Da sind Sie persönlich eher bescheiden.

Das Gegenteil ist der Fall. Wir machen viel Social-Media-Wahlkampf und sind gleichzeitig viel auf der Straße unterwegs. Wir glauben, dass der direkte Kontakt zu den Bürgern unersetzlich ist. Aber immer mehr Menschen informieren sich im Internet über Politik, und deswegen muss man beide Kanäle bedienen, Marktplatz und Facebook und Co.

Bei Twitter haben Sie einen Zeitungsausschnitt gepostet, in dem steht, dass das Jahr 2030 als Weckruf für den Wechsel auf Elektroautos sein wird. Wie soll das aussehen?

Ab dem Jahr 2030, das ist unsere Vorstellung, sollen keine neuen Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden. In der Zukunft wollen wir saubere und leise Autos und eine saubere Luft. Als Autoland müssen wir an der Spitze mitmarschieren. Und die Konkurrenz schläft nicht – Stichwort Tesla und China.

Glauben Sie, dass es jeder finanziell schafft zu 2030 ein neues Auto zu kaufen?

Deutschland hat im Pariser Klimaabkommen zugesagt, seinen Verkehrssektor bis zum Jahr 2050 treibhausgasneutral zu gestalten. Dazu ist es erforderlich, nach 2030 keine neuen Pkw mit fossilen Verbrennungsmotoren mehr neu zuzulassen. Die vor 2030 zugelassenen Autos bleiben ja noch auf der Straße – im Durschnitt übrigens so um die 18 Jahre. Das heißt, nicht jede und jeder muss ein neues Auto kaufen – um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen. Wichtig ist es, ein Ziel zu formulieren, damit sich die Industrie darauf einstellen kann und wir gemeinsam den dringend notwendigen Wechsel hinbekommen.

Wo könnte der Strom für die Elektroautos herkommen?

Entscheidend ist, dass Energie- und Verkehrswende Hand in Hand gehen und wir beides energisch vorantreiben. Ein E-Auto, das mit Kohlestrom fährt, ist selbstverständlich ökologisch keine gute Idee. Eines, das mit Sonne und Wind betankt wurde, schon. Da hat die Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel viel verpasst. Der Ausstieg aus dem Atomausstieg unter Merkel hat uns viel Zeit gekostet; nach dem tatsächlichen Ausstieg gab es zu keinem Zeitpunkt eine konsequente Energiewende.

In Stuttgart herrscht jährlich Feinstaubalarm. Fahrverbote werden ausgesprochen, was aber keine Lösung ist. Welche langfristigen Lösungen sehen Sie für diese Problematik?

Wir müssen in unseren Städten für saubere Luft sorgen. Zum Beispiel durch den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, die schnellere Elektrifizierung von Bussen und Taxis oder die Förderung des Radverkehrs. Und im Lieferverkehr können auch zunehmend Elektroautos eingesetzt werden. So können Menschen auch in der Stadt eine gute Luft haben und ihre Gesundheit ist nicht gefährdet.

Sie sagen, die Menschen sollen auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen. Aber deren Zustand ist in vielen Teilen Deutschlands, zumindest in Baden- Württemberg, teilweise katastrophal. Was sagen Sie dazu? 

Unter dem grünen Verkehrsmeister ist schon sehr viel passiert. Zum Beispiel fahren mit dem neuen Verkehrsvertrag die Züge seit 2016 im dichteren Takt und bieten mehr Komfort – etwa WLAN und behindertengerechte Ausstattung. Aber auf dem Land muss noch mehr passieren. Hier wollen wir in den kommenden Jahren das Bahn- und Busangebot weiter ausbauen mit dem Ziel, dass alle Kommunen mindestens stündlich eine Anbindung erhalten, von frühmorgens bis spätabends.

Aber Sie setzen nicht auf Fahrverbote?

Fahrverbote waren für uns immer nur das allerletzte Mittel in der Kette, wenn sie sich nicht mehr vermeiden lassen. Aber richtig ist: Wir haben gesetzliche Grenzwerte für die Luftreinhaltung seit Jahren überschritten, deswegen haben die Bürger zu Recht geklagt. Für uns Grüne ist klar, dass sich der Gesundheitsschutz nicht auf die lange Bank schieben lässt. Das wäre ein bisschen so, als würde man sagen, meine Steuererklärung gebe ich dieses Jahr nicht ab, weil es passt irgendwie gerade nicht rein. Wir Grüne wollen schnell und wirksam für bessere Luft sorgen. Es ist und bleibt skandalös, dass Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt durch sein amtsmüdes Nichtstun unsere Städte und ihre Bewohner im Kampf für bessere Luft hängen, indem er die Blaue Plakette – und damit das wirksamste Instrument zur Luftreinhaltung – blockiert.

Euro 6 Diesel sind erlaubt, darunter ist nicht erlaubt. Somit können sich nur die Menschen mit etwas mehr Geld die Euro 6 Diesel leisten, die anderen nicht. Somit leidet bei Fahrverboten die ärmere Bevölkerungsschicht darunter?

Andersherum: Gerade Menschen mit schmalem Geldbeutel sind doch die Leidtragenden von dreckiger Luft und Verkehrslärm. Gerade sie können sich doch bessere, ruhigere Wohngegenden gar nicht leisten und wohnen an viel befahrenen Straßen. Aber natürlich müssen Busse und Bahnen in den Städten bezahlbar und bequemer werden. Und ich sehe vor allem die Autoindustrie in der Pflicht – ob es um eine wirksame Nachrüstung geht, die von ihr zu bezahlen ist, oder um Umstiegsprämien, die diesen Namen auch verdienen.

In dem Regierungsprogramm fordert ihre Partei, dass Deutschland eine humanitäre Flüchtlingsrolle einnimmt. Hat Deutschland das nicht schon gemacht?

Deutschland hat mit der Willkommenskultur im Jahr 2015 ein wichtiges Zeichen gesetzt, dass wir Menschen in Not helfen wollen. Jetzt müssen wir den Fokus auf eine gute Integration der Menschen legen.

Also meinen Sie, dass Flüchtlinge erst ins Land kommen können, wenn wir darauf vorbereitet sind?

Es gibt unterschiedliche Aufgaben, die wir zu klären haben. Wie sieht eigentlich eine europäische Flüchtlingspolitik aus? Wie stellen wir sicher, dass die Menschen, deren Asylantrag bewilligt wird,  schnell und gut von Flüchtlingen zu Mitbürgern werden? Ganz wichtig: Wie bekämpfen wir Fluchtursachen? Und nicht zuletzt: Nicht alle, die zu uns kommen, können hierbleiben. Hier wollen wir umfassende Beratung mit Rückkehr- und Integrationshilfen.

In ihrem Regierungsprogramm heißt es, dass durch Kinderzeit Plus die Familienplanung vereinfacht werden soll. Viele Unternehmen vernachlässigen meist Bewerber trotz rechtlichem Verbotes, indem sie nach der Familienplanung fragen und die einstellen, die in den kommenden Jahren, keine Kinder möchten. Wie soll es hier zur Gleichstellung zwischen Mann und Frau im Beruf kommen, in der Hinsicht auf die Karriereplanung?

Wir glauben, dass die ganze Gesellschaft davon profitiert, wenn wir Kinder haben, wenn wir starke Familien haben und es schaffen, Familie und Beruf zu vereinen. Die Familienzeit Plus ist eine Maßnahme, die Familien stärken soll. Aber wir wissen natürlich auch, dass es da um einen Mentalitätswechsel in Deutschland geht. Wir Grüne gehen da seit jeher voran.

Ist es dann noch möglich, die 50 Prozent Frauenquote aus dem Programm umzusetzen?

Die 50-Prozent-Frauenquote ist noch ein langer Weg. Aber wir müssen dafür sorgen, dass Familie und Beruf zusammengehen. Es geht um Chancengleichheit. Und man arbeitet ja schließlich auch, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen! Allerdings darf die Arbeit nicht zum allein bestimmen Merkmal für einen Lebenslauf werden – und schon gar nicht darüber entscheiden, ob man eine Familie hat oder nicht.

In ihrem Regierungsprogramm wird der US-amerikanische Präsident Donald Trump als Narzisst bezeichnet; sie fordern mehr Kommunikation mit den US-Staaten als dem Regierungsoberhaupt. Kann man bei dieser aggressiven Formulierung noch von einer professionellen politischen Forderung sprechen?

Die Politik muss klare Worte finden für das, was sie will und wie sie die Realität sieht. Nach allem, was wir wissen, ist der US-Präsident ein Populist und sehr auf sich fokussiert. Man muss mit allen Demokraten Gespräche führen, nur den Kurs, den Trump eingeschlagen hat, halten wir für sehr gefährlich. Stichworte aktuell: Nordkorea. Oder das Leugnen des Klimawandels. Deswegen werden wir uns natürlich gezielt auch an die wenden, die seine Politik kritisch sehen.

Was sollte als erstes nach den Wahlen verändert werden?

Wir Grüne wollen, dass der Klimaschutz und der Schutz unserer Lebensgrundlagen wieder in den Fokus der Bundesregierung rücken. Wir haben zum Beispiel jetzt den Eierskandal. Wir haben Insektensterben. Trump ist aus dem Klimaschutzabkommen ausgestiegen. Wir haben immer mehr Schwierigkeiten, unser Trinkwasser zu reinigen. Wasser wird dadurch immer teurer. Also kurzum: Es geht um eine existenzielle Menschheitsfrage.

Was ist Ihnen in diesem Wahlkampf wichtig?

Alle sollten ihr Recht nutzen, wählen zu gehen. Gehen Sie hin, beteiligen sie sich. Demokratie lebt vom Mitmachen.

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