Die ökofaire Berlin-Jeans

Bis aus Baumwolle eine Jeans wird fließen 11.000 Liter Wasser in die Produktion. Geht es auch fair und umweltschonend? Auf den Green Fashion Tours werden Berliner Läden mit nachhaltigen Methoden und Designstrategien vorgestellt. Ein Bericht.

Kurz vor dem Start vor dem Radialsystem mit Tour Guide Anna Perrottet. Foto: Corinna v. Bodisco
Kurz vor dem Start vor dem Radialsystem mit Tour Guide Anna Perrottet. Foto: Corinna v. Bodisco
Vor dem Radialsystem haben sich außer mir noch fünf weitere neugierige Teilnehmerinnen um die Green Fashion Tour Guide Anna Perrottet versammelt. In Zusammenarbeit mit der Plattform „Get Changed!“ (The Fair Fashion Network), „The Upcycling Store“ und „Hola Berlin“ führt die Fachfrau in Sachen Grüne Mode Gruppen durch Berlin. Gemäß der Green Fashion Tour Road Map werden fünf verschiedene Touren angeboten, ab fünf Interessent*innen kann auch eine maßgeschneiderte Tour gebucht werden. Heute trägt Anna ihre Jacke falsch herum – das „Made in“ Schild soll die Kleidungsherkunft sichtbar machen: Ein Zeichen der Fashion Revolution (Veranstaltungen noch bis zum 24. April), die den Toten des 2013 eingestürzten Textilfabrikgebäudes Rana Plaza in Sabhar (Bangladesh) gedenkt. Fokus der heutigen Tour ist die Faire Jeans. Wir werden vier Läden ansteuern, die ihr Jeans-Konzept vorstellen.

Station 1 | Münzstraße 5: Gebrüder Stitch – „Jeans nach Mass“

Der "Arschsalon" der Gebrüder Stitch in der Münzstraße. Foto: Corinna v. Bodisco
Der „Arschsalon“ der Gebrüder Stitch in der Münzstraße. Foto: Corinna v. Bodisco
Die Gebrüder Stitch, eigentlich Mike und Moriz, sind ehemalige „Marketing-Fuzzis“, wie sie sich auf ihrer Website selbst nennen. In ihren Traum vom eigenen Jeanslabel steckten sie eine gehörige Portion Arbeit und Geld. Vor fünf Jahren eröffneten sie ihren ersten Salon in Wien , in Berlin gibt es die Gebrüder Stitch seit Ende Dezember 2015. Trotz der klar erkennbaren individuellen Handschrift des flippigen Marketings (auf der Website gibt es viel zu entdecken – unter anderem ein Ökoquiz!) ist der Designer Laden in Berlin noch nicht richtig angekommen.

Lena Richards geht den Gebrüdern beim Maßnehmen zur Hand und meint: „Berlin ist schon ganz anders als Wien. Eventuell muss das Konzept umgewandelt werden“.

Der Ton ist stellenweise sehr wienerisch: „Bei uns in der Münzstraße kannst du – wie in Wien – Musterhosen anschauen, gustieren, Hosentermine vereinbaren, unsere Accessoires kaufen oder einfach auf ein Tratscherl und einen Eierlikör vorbeikommen.“ Funktioniert das auch in Berlin? In der Münzstraße sind viele Touristen unterwegs, die eher nach Merchandising-Artikeln Ausschau halten – ein nicht ganz perfekte Lage für einen Jeanssalon, der junge umwelt- und modebewusste Berliner*innen als Zielgruppe anvisiert.

Dennoch ist das Alleinstellungsmerkmal der Maßanfertigung genau durchdacht: Nach einem ersten „Fitting“ wird die Jeans maßangefertigt, manchmal wird ein Zwischenfitting eingeschoben – in jedem Fall ist der/die Kund*in Teil des Prozesses.

Die Biobaumwolle kommt aus der Türkei, wird entweder zu 100% oder zu 99% (+ 1% Elasthan) zur Jeans umgewandelt und so wenig wie möglich bearbeitet. Die Jeans kosten zwischen 210 bis 400 Euro und können auch zur Reparatur gebracht werden.

Station 2 | Max-Beer-Straße 3: FREITAG

Aus der Freitagbroschüre: Die Multitalente in Sachen Nachhaltigkeit: Leinen und Hanf. Foto: Corinna v. Bodisco
Aus der Freitagbroschüre: Die Multitalente in Sachen Nachhaltigkeit: Leinen und Hanf. Foto: Corinna v. Bodisco
Als wir den Laden betreten, steigt uns ein dezenter Geruch von LKW-Plane in die Nasen. Die Schweizer Firma FREITAG ist vor allem für seine Taschen aus der weit gereisten Plane bekannt geworden. Seit zwei Jahren gibt es auch Kleidung, der Markt sei ausbaufähig, erzählt uns der Store Manager Timo Waland.

Die FREITAG-Jeans hat gleich mehrere Besonderheiten:
1. Sie besteht nicht aus Baumwolle, sondern aus Leinen oder aus Hanf. Diese textilen Rohstoffe benötigen weniger Dünger, Pestizide und Wasser beim Anbau.
2. Lokale Herstellung: Die Produktionswege betragen nicht mehr als 2.500 Km (bei anderen Jeans etwa 40.000 Km)
3. Die Stoffe sind 100% biologisch abbaubar („prêt-à-composter“).

Preis: 150-190 Euro

Station 3 | Münzstraße 21: Nudiejeans

Beim Eintritt in den schicken Hinterhof überkommt mich der Gedanke: „Das wird teuer und zu design-mäßig für meinen Geschmack.“ Nudiejeans ist ein schwedisches Label und laut Anna einer der Riesen im Ökobereich.

Umso mehr überrascht die eher unkonventionelle Empfehlung: Die ganz steife (also unverarbeitete) Denim nach dem Kauf sechs Monate tragen und nicht waschen! Der/Die Träger*in soll das gute Stück folglich selbst weich kriegen. Je unverarbeiteter, desto preisgünstiger ist die Jeans (ab 89 Euro), je verarbeiteter, desto teurer. Zudem kommen keine chemischen Bleichmittel zum Einsatz, sondern die Methode der Ozonbleiche (aufgrund der Anschaffung von Maschinen jedoch relativ kostenintensiv) oder die ressourcenschonende Laser-Technologie.

„Ich habe es durchgehalten und man bekommt eine ganz andere Beziehung zur Jeans!“, so Anna. „Wenn nicht die Tomatensoße dazwischenkommt“, entgegnet eine Teilnehmer*in.

Die Biobaumwolle kommt wie bei den Gebrüdern Stitch aus der Türkei und wird in Italien verarbeitet (gespinnt und gefärbt). Nudiejeans bietet einen Repairservice an und ist Mitglied der Sozialstandard-Initiative „Fair Wear Foundation“, die sich unter anderem für „Living Wages“ (Löhne, von denen man leben kann – im Gegensatz zu gesetzlichen Mindestlöhnen) für die Hersteller*innen einsetzt.

Station 4 | Wiener Str. 16: Supermarché

Der Flyer zum Fashion Revolution-Programm von Supermarché, Foto: Corinna v. Bodisco
Der Flyer zum Fashion Revolution-Programm von Supermarché, Foto: Corinna v. Bodisco
Unsere vierte und letzte Station ist der Supermarché, ein Einzelhandel mit mehreren Öko-Labels im Sortiment. Die Hausmarke Hirschkind, mit der in Form des T-Shirts alles seinen Anfang nahm, findet man aber auch im Laden.

Ladeneigentümer Ben Irion zeigt und erklärt uns die Labels und merkt mit einer gesunden Portion Skepsis an, dass die Auswahl der Brands gar nicht so einfach sei. Denn meist beschränkt sich „Fair“ auf die Zertifizierung der Stoffe. „Mit Jeans ist es schwieriger als bei einem normalen T-Shirt.“ Manchmal kann die Kommunikation die gemeinsame Arbeit mit den großen erfolgreichen Labels auch schwierig machen. Andere sind wiederum sehr ansprechbar und die Arbeit findet auf persönlicher Ebene statt. Der Supermarché setzt sich vereinzelt auch für Projekte ein, für die es aufgrund des Kostenaufwandes nicht möglich ist, mit zertifizierter Biobaumwolle zu arbeiten.

Der Ladenname soll sich kritisch zum Supermarktkonzept positionieren. „Anfangs wollten wir hier im Laden überall falsche Kameras aufhängen“, so Ben. Kritisch ist das Ladenkonzept allemal – im Supermarché finden vier Veranstaltungen im Rahmen der anfangs erwähnten Fashion Revolution statt.

Mein Fazit:

Auch wenn man kein Designertyp ist, kann bei den Green Fashion Tours ein beträchtliches Maß an Fakten über Faire Mode mitgenommen werden. Die Auseinandersetzung mit den Ladenkonzepten ist kritisch und die Diskussion sehr offen. Zu hoffen ist, dass sich die umwelt- und sozialverträglichen Konzepte bald in ganz Deutschland und Südeuropa ausbreiten, denn Berlin ist immer noch das ungeschlagene Zentrum ökologischer und fairer Modelabels. Meine nächste Jeans ungewaschen zu kaufen und selbst zu „zähmen“ erscheint mir jedenfalls eine gute Idee – maßgeschneidert muss sie aus Kostengründen allerdings nicht sein.

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