Die Metaebene des fairen Handels

Sich für fair gehandelte und hergestellte Produkten einzusetzen, verdient ausgezeichnet zu werden. Doch ein Preis für faires Handeln muss viel breiter verstanden werden. Die Rede vom Rostocker Oberbürgermeister Roland Methling hat in diesem Punkt überrascht. Ein Kommentar

Auch eine Veranstaltung die die Stadt Frankfurt/Main für die Initiative "FairTrade und Islam" würdigt, kann sich Hackfleisch aus Schwein nicht verkneifen. // Foto: Fritz Beise
Auch eine Veranstaltung, die die Stadt Frankfurt/Main für die Initiative „FairTrade und Islam“ würdigt, kann sich Hackfleisch aus Schwein nicht verkneifen. // Foto: Fritz Beise

Eine Preisverleihung entzündet häufig ein Feuerwerk der trivialen Worte. Viele Reden werden gehalten, doch wenig gesagt. Selbstbeweihräucherung heißt hier das Stichwort. Personen oder Organisationen bekommen Preise für ihr angebliches Engagement oder für ihren Plan, bald was gegen X oder für Y unternehmen zu wollen. Wenn nun in der Hansestadt Rostock, die zwei Jahre zuvor Hauptstadt des fairen Handels wurde, eine eben solche Auszeichnung weitergereicht wird, sind solche Reden eigentlich zu erwarten. Doch es kam anders.

Die Idee, in Zukunft die Menschen in den Produktionsstätten in aller Welt an den Gewinnen angemessen zu beteiligen, wird in diesem Jahr in Europa besonders unterfüttert. Über die sogenannte Balkanroute reisen seit Wochen Flüchtende aus den arabischen Ländern, vor allem Syrien, nach Europa. Zuvor versuchten Afrikaner*innen vergeblich über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen: Europa schottete sich ab. Wirtschaftsflüchtling ist ein heißer Kandidat auf das Unwort des Jahres 2015.

Viele der Reden stellten diesen Zusammenhang heraus. Man wird sich bewusst, dass unser Wohlstand die Armut vieler anderer bedeutet. Die Arroganz und Ignoranz von Industrienationen und ihrer Konzerne sorgt dafür, dass sie endlich ihre Konsequenzen spüren. Die Menschen wollen ins „gelobte Land“ nach Europa. Von Staatssekretär Silberhorn bis Rostocker Oberbürgermeister Roland Methling brachten alle das Thema FairTrade mit den momentanen Geflüchteten in Verbindung. Und gerade letztgenannter Bürgermeister überraschte mit seiner Rede umfassend.

Vom Saulus zum Paulus?

Ein Bürgermeister, der den Intendanten des Volkstheaters, Sewan Latchinian, kündigen wollte, weil dieser öffentlich einen ungünstigen Vergleich der Kulturpolitik in Mecklenburg-Vorpommern mit IS-Kämpfern zog und sich gegen das Spardiktat wehrte. Das Theater und seine Finanzierung war im Grunde die letzten zwölf Monate durchgängig weit mehr als lokales Stadtgespräch und Methling als Sparer und Kürzer zumeist der „Böse“. Ein Bürgermeister, dessen ihn unterstützende Partei, die Unabhängigen Bürger für Rostock (UFR), bei der letzten Bürgerschaftswahl ungünstig auffiel, da ihre Mitglieder nach NDR-Recherchen offenbar enge Kontakte in rechte Kreise unterhalten. Ein Bürgermeister, der zwar seit 2005 im Amt sitzt, dessen Image aber in der Bürgerschaft selten positiv ist. Doch gerade dieser Bürgermeister entfernt sich von seinem Skript, um auf Aktuelles zu sprechen zu kommen.

Seit dem 8. September kommen unregelmäßig Geflüchtete am Rostocker Bahnhof an. Methling hat früh davon erfahren, doch die Verwaltung ist behäbig. „Die Stadt braucht Zeit, um zu erwachen.“ Doch er und damit auch die Geflüchteten haben Glück. In Rostock existiert ein gut vernetzter Bevölkerungsteil aus Engagierten, die ehrenamtlich Geflüchtete am Bahnhof mit Essen und Kleidung begrüßen und verpflegen, die sie zur Fähre oder bis nach Skandinavien begleiten; oder in Rostock in der Notunterkunft betreuen. Die Anzahl der Ankommenden wird immer größer und es wird eine Koordinationsstelle benötigt, die in der Parkstraße 6 ihre Räumlichkeiten findet. Ein offizielles Netzwerk mit dem Namen Rostock hilft  entstand.

Oberbürgermeister Methling hält sich noch an sein Skript. // Foto: Fritz Beise
Oberbürgermeister Methling hält sich noch an sein Skript. // Foto: Fritz Beise

Mehtling spricht in seiner, nun freien Rede von „Wir“, man weiß nicht so recht, wer genau damit gemeint sein soll. Will er sich selbst profilieren, obwohl die wirkliche Arbeit ganz andere machen? Man vermisst die spezifische Erwähnung der Ehrenamtlichen. Der Bürgermeister spricht in seiner gewohnt bedachten Wortwahl. Doch seine Stimme unterscheidet sich von der, eines ablesenden Redners. Zwischendurch bebt sie ein wenig und man hat das Gefühl Roland Methling muss sich zusammenreißen, keine Träne zu verdrücken. Der Gedanke an einen emotionalen Roland Methling wirkt surreal, doch er ist es wirklich.

„Die Stadtverwaltung versucht, zu lernen.“

Er betont das völlig andere Bild, dass Rostock im Vergleich zum August 1992 in Lichtenhagen zeige. Die Hilfsbereitschaft und das Miteinander gegenüber „Menschen, wie Sie und ich,“ stünden klar im Vordergrund. Er möchte, dass nicht nur in Rostock sondern europaweit die Maxime gelte: „Kommt her, lasst uns zusammen leben, lasst uns zusammen arbeiten.“ Der Zusammenhang zum FairTrade-Gedanken findet immer wieder seine punktuellen Erwähnungen.

Dann endlich: Das Lob, der Dank, die Erwähnung. Die Ehrenamtlichen des Netzwerks Rostock hilft. Sie verdienten „Respekt“ und hätten „Vorbildwirkung“, heißt es in Methlings Laudatio. Die Stadtverwaltung versuche, vom Netzwerk zu lernen. Ein Satz, der wie ein Armutszeugnis der deutschen Bürokratie stehen bleibt. „Wenn wir mit der Volkshochschule einen Deutschkurs für die Leute anbieten wollen, dauert es Wochen, bis er zu Stande kommt. Die Menschen kommen am Freitag an und befinden sich, dank Ihnen, am Samstag in einer Gruppe, um Deutsch zu lernen.“

Im Publikum sitzt Sara. Sie ist Teil dieses Netzwerks Rostock hilft, heute aber eigentlich für die Rostocker FairTrade-Bewegung anwesend. Kurz vor der Veranstaltung hat sie im Gespräch erzählt, dass sie sich nach der Koordinationsstelle sehnt, nach der Arbeit für die Refugees. Sie hält sich ständig auf dem Laufenden. Guckt auf’s Handy. Wie geht’s den Geflüchteten, was ist gerade zu tun? Diese Veranstaltung ist ihr eigentlich zu trivial. Zu viele Worte, zu wenig Taten.

Methling nennt plötzlich ihren Namen. Er möchte ihr stellvertretend für die über 250 Ehrenamtlichen Blumen überreichen. Damit hat sie nicht gerechnet. Niemand hat das erwartet, nicht von diesem Bürgermeister. Völlig unvorbereitet möchte sie ein paar Worte finden. Alles, was einen Fotoapparat besitzt, stürmt nach vorn. Alle spüren, dass sich hier etwas besonderes abspielt. Sara betont entschlossen, dass sie dieses Dankeschön und die Blumen nur stellvertretend für die Leute annehme, die unermüdlich und rund um die Uhr im Einsatz sind. Ein kurzes Plädoyer für das Menschenrecht auf Freizügigkeit bringt sie noch unter. Für mehr ist sie einfach zu perplex.

Geschenke für die Preisträger*innen. Einer der Blumensträuße ging an Sara und damit Rostock hilft. // Foto: Fritz Beise
Geschenke für die Preisträger*innen. Einer der Blumensträuße ging an Sara und damit an Rostock hilft. // Foto: Fritz Beise

Im Nachhinein ärgert sich Sara ein bisschen, dass sie nicht noch etwas zur Beteiligung der Antifa gesagt hat. Denn deren Image in Deutschland ist schlecht. Krawallmacher, Steineschmeißer. Mehr haben Journalist*innenund weite Teile der Bevölkerung meist nicht für die Antifa übrig. Sara hätte gern, auch gegenüber OB Methling, das Mitwirken dieser Gruppierung herausgestellt, um zu zeigen, wofür die Antifa in ihren Augen eigentlich steht.

Fairer Handel heißt auch, fair zu handeln

Als Roland Methling seine überraschend gute Rede beendet, muss man das erst einmal sacken lassen. Ein Bürgermeister, der von einer relativ rechten Fraktion unterstützt wird, hält ein Plädoyer auf die Freizügigkeit, auf die Menschlichkeit, ohne Ressentiments. Und er bedankt sich indirekt bei Menschen, die von vielen seines Unterstützungskreises normalerweise als linksextreme Spinner oder Gutmenschen beleidigt werden würden. Das bringt das einfache Weltbild von sortierten gut und böse-Klassifizierungen gehörig ins Wanken.

Das Redepult. Die Aufschrift war wie geschaffen für Methlings Rede. // Foto: Fritz Beise
Das Redepult. Die Aufschrift war wie geschaffen für Methlings Rede. // Foto: Fritz Beise

Im Interview mit unsberichtet er von den Plänen mit dem Netzwerk. In den nächsten Tagen soll die Arbeit in kommunale Hände übergehen. Verwaltungsmitglieder werden dann „freiwillig und verpflichtend“ die Koordination, die Begrüßung und die Betreuung übernehmen. Viele der Ehrenamtlichen werden nur schweren Herzens ihre Aufgabe abgeben wollen, das hat das Netzwerk auch heute klargestellt. Auch auf die Kontakte des Netzwerkes zu Übersetzer*innen wird die Verwaltung weiter angewiesen sein. Warum wird ihnen nicht eine Stelle in der Verwaltung angeboten? Die Expertise hätten sie, die Leidenschaft erst recht.

Fairer Handel sollte eben nicht nur auf Produktion und Geschäftstreiben bezogen werden. Es heißt auch, fair zu handeln; im allgemeinen Sinne. Dabei geht es nicht allein um den Lohn von kolumbianischen Kleinbauer*innen, sondern auch um den Umgang mit Bürgerkriegsgeflüchteten, mit Waffenlieferungen in Krisengebiete und letztendlich um die Beziehung eines Bürgermeisters zu seinen Bürger*innen und den nötigen Respekt für deren Taten. Das scheint Roland Methling verstanden zu haben.

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