Thomas Schmidt und Wilko Beinlich sind zwei junge Männer mit einem gemeinsamen Ziel: Menschen aus Seenot zu retten. Samira El Hattab hat sich von den beiden mehr über ihre Arbeit für die Organisation Jugend Rettet erzählen lassen.
Samira: Wie seid ihr ihr dazu gekommen, für Jugend Rettet zu arbeiten?
Thomas: Ich habe auf Facebook gesehen, dass es die Organisation gibt und dass die jugendlichen Veranstalterinnen und Veranstalter sich ein Schiff kaufen wollen. Mein erster Gedanken war sofort: Das wird ja nichts! Wenn Jugendliche aufs offene Meer wollen, um Seenotrettung zu betreiben, muss jemand mit Erfahrung dabei sein.
In einer Mail an die Jugendlichen habe ich etwas großspurig geschrieben, dass ich diese Erfahrung als Schiffbaustudent mitbringe. Dann kam gleich die Antwort, dass sie mich dabei haben wollen. Als ich dann in die Arbeit involviert worden bin, habe ich schnell gemerkt, dass da doch schon ganz schön viel Ahnung drin steckt.
Wilko: Den gleichen Hintergrund habe ich auch. Ich bin Nautiker und fahre beruflich zu See. Mich hatte damals ein Kumpel angerufen, der im Kernteam von Jugend Rettet arbeitet. Er meinte: ‚Hey, du kannst doch ein Schiff fahren! Wir brauchen da deine Hilfe.‘
Das Tolle an Jugend Rettet ist für mich gerade das: diese naive Herangehensweise. Zwar wird uns das auch immer wieder vorgeworfen, doch ich sehe darin eigentlich einen Vorteil. Eine große Organisation würde vielleicht bei der einen oder anderen Hürde einknicken, bei der wir eher versuchen, einen neuen Ansatz zu finden, also „out of the box“ zu denken.
Und dass wir damit Erfolg haben, sieht man ja schon an der Tatsache, dass aus der Idee, die ursprünglich mal ein 18-Jähriger hatte, eine Organisation geworden ist, die innerhalb von zwei Jahren schon über 14.000 Menschenleben gerettet hat.
Wie sieht euer Alltag als Seenotretter aus?
Wilko: Ich mache die aktive Rettung und bin auf der IUVENTA, unserem Schiff, der Steuermann. Ein „normaler Tag“ auf See fängt damit an, dass wir Ausschau halten, ob wir ein Boot entdecken oder über eins informiert werden, das wir retten müssen. Ist das der Fall, werden zuerst die Rettungsboote startklar gemacht. Nachdem sie ins Wasser gesetzt worden sind, gibt es einen ersten Kontakt zu den Menschen in Not. Dabei wird festgestellt, in welcher Situation sich ihr Boot befindet. Wir klären, ob es Verletzte, Tote, Kinder oder Schwangere gibt, die akut Hilfe benötigen. Danach fangen wir an, Rettungswesten zu verteilen, denn die Rettungswesten, die die Menschen wahrscheinlich für viel Geld von Schlepperbanden gekauft haben, sind meist Fälschungen. Wenn wir Menschen retten müssen, nehmen wir sie mit auf unser Schiff, um sie an größere Einheiten weiter zu geben, die sie dann zum italienischen Festland bringen.
Thomas: Ich hoffe meist, dass ich nichts zu tun habe: Denn ich fange an zu arbeiten, wenn die die IUVENTA in eine Notsituation gerät. Ich bin also ständig in Bereitschaft.
Wie seid ihr untereinander vernetzt? Gibt es regelmäßige Treffen in Deutschland?
Thomas: In den Städten ist es häufig so, dass sich die Leute regelmäßig treffen. In Bremen und Hannover gibt es zum Beispiel jeden Monat einen Stammtisch. Das Berliner Team trifft sich sogar häufiger, weil sie wesentlich stärker in die Arbeit involviert sind und dort auch unser Büro liegt. In anderen Gegenden sind die Leute auch wirklich allein unterwegs. Wir versuchen aber ein- bis zweimal im Jahr, mindestens ein Botschaftertreffen auf die Beine zu stellen, um alle Helferinnen und Helfer zusammenzubringen.
Wilko, du hattest vor dem Interview erzählt, dass du schon Todesdrohungen bekommen hast. Wie erklärst du dir das und wie bist du damit umgegangen?
Wilko: Einige Populisten, wie Pegida und die AFD, versuchen eine negative Wirkung zum Thema Flüchtlinge publik zu machen. Sie predigen eine Verallgemeinerung von einigen wenigen sehr schlechten Beispielen, bei denen sich Flüchtlinge kriminell verhalten haben. Dieses „Über einen Kamm scheren“ ist einfach. Leiden müssen unter solchen Generalisierungen Menschen, die sich nicht wehren können. Das finde ich sehr, sehr traurig. Alle diese Menschen, die wir gerettet haben, haben eine Familie, ein Schicksal. Ich bin unheimlich froh darüber, dass wir dazu beitragen,, die Geschichten dieser Leute neu zu erzählen.
Thomas: Wie man damit umgeht, hängt von der Persönlichkeit ab. Einige unserer Mitglieder finden es schwierig, auf Hass und Todesdrohungen zu reagieren, einigen fällt es leicht. Man darf es generell nicht persönlich nehmen und muss sich bewusst sein, dass man in dem Moment eigentlich nur eine Projektionsfläche für die Ängste und Gedanken einer gewissen Gruppe von Menschen ist, die das Gefühl haben , den Halt zu verlieren.
Jetzt mal zu einem positiven Aspekt eurer Arbeit. Wilko, was war dein schönster Moment, den du auf See erlebt hast?
Wilko: Er ereignete sich gleich bei meiner ersten Rettung. Sehr weit draußen auf See hatten wir ein kleines Holzboot entdeckt, zu dem wir eines der Rettungsboote vorgeschickt hatten, um die Leute erst einmal in Sicherheit zu bringen. Bis die IUVENTA ankam, dauerte es noch ein wenig.
Die Menschen haben von uns Rettungswesten und Wasser bekommen und alles war in diesem Moment für’s Erste gut. Weil sie durch die Sicherheit wieder einen Hoffnungsschimmer bekommen haben, hat sich etwas bei diesen Menschen gelöst und sie haben angefangen, „Halleluja“ zu singen. Ein ganzes Boot voller Menschen, die Todesängste erlitten haben und nun voller Hoffnung singen – das berührt einen. Dieses positive Erlebnis begleitet mich bis heute auf jeder Mission.
Was muss ich mitbringen, um bei Jugend Rettet mitzumachen?
Thomas: Grundsätzlich mitmachen kann man entweder, indem man sich für die Schiffsbesatzung bewirbt oder als Botschafter an Land arbeitet. Wenn man gerne mit auf das Schiff möchte, haben wir einen Bewerbungsprozess, bei dem wir testen, ob die- oder derjenige geeinigt ist. Zuerst stellen wir Bewerberinnen und Bewerbern die Frage: Was bringst du mit? Wir nehmen aber nicht nur erfahrene, sondern auch Leute mit, die einfach motiviert sind. Dabei sind war aber nicht leichtsinnig: Wir machen deutlich, dass die Fahrt nicht nur ein Abenteuer ist. In extremen Situationen muss man sich in unserem Team aufeinander verlassen können.
Stichwort Ursachenbekämpfung. Wenn ihr eine halbe Stunde Zeit mit der Bundeskanzlerin hättet, was würdet ihr ihr sagen?
Wilko: Ich kann das kurz fassen: 2015 hat Frau Dr. Merkel den schönen Leitspruch „Wir schaffen das“ gesagt. Ich dachte dann: Super, damit kannst du dich identifizieren! Dann hat 2017 die CDU mit einem Deutschland geworben, „in dem wir gut und gerne leben“ wollen. Ich habe mal versucht, mit einem CDU-Abgeordneten über diesen Slogan zu sprechsn. Wer ist wir? Und was versteht die CDU unter „gut leben“? Darauf habe ich öffentlich im ZDF keine Antwort zu bekommen. Daher würde ich von Frau Merkel gern wissen: Was ist das für ein Deutschland, in dem“ wir gut und gerne leben“ wollen?
Thomas: Das ist eine gute Zusammenfassung, die mag ich! Ich würde aber in den 30 Minuten schon noch etwas weiter gehen. Ich bin der Überzeugung, dass, wenn man die Möglichkeit zur Zusammenarbeit zwischen Menschen nutzt, das im Endeffekt zu einem positiven, effektiven und fortschrittlichen Zusammenleben führt. Miteinander ist besser als drumherum zu reden!
Vielleicht sind die Menschen, die wir draußen auf dem Meer retten, möglicherweise diejenigen, die uns in der Zukunft zu irgendetwas Coolen verhelfen. Jeder Mensch, den wir retten, bringt Erfahrungen mit und die können uns in Deutschland vielleicht irgendwann mal helfen. Wir müssen nur zuhören.