Für Wahlrecht ab 16 oder Fridays for Future – die Jugend demonstriert! Doch was kommt dabei heraus? Unsere Autorinnen Lilian Sekkai und Leonie Theiding haben Bundesjugendministerin Franziska Giffey zum Gespräch gebeten.
Guten Morgen, Frau Giffey!
Guten Morgen!
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns nehmen. In zwei Wochen sind die Europawahlen. Wie begeistert man Jugendliche für Europa und für die Europäische Union?
Ich denke, das Wichtigste ist, dass man ihnen klar macht, was auf dem Spiel steht. Wir haben viel in Europa, das wir ganz selbstverständlich finden und wovon wir manchmal denken, dass es das schon immer gab. Reisefreiheit, die Freiheit zu Leben und zu Arbeiten, wo man will. Der Handel, der Wohlstand in Deutschland als Exportnation. All diese Dinge, auch der Frieden und die Demokratie, das ist nicht selbstverständlich. Wenn wir den Frieden in Europa erhalten wollen, ist es wichtig, dass wir uns dafür einsetzen. Das fängt damit an, dass man sein Wahlrecht wahrnimmt.
Wie bringt man das den Jugendlichen nahe? Viele junge Menschen fordern das Wahlrecht ab 16 Jahren, wie würden Sie sich dafür einsetzen?
Zunächst finde ich es wichtig, dass alle die jetzt schon ein Wahlrecht haben, dieses auch wahrnehmen. Ich finde wichtig, dass man darüber ins Gespräch kommt und Menschen dazu motiviert, wählen zu gehen. In ganz vielen Ländern der Welt gibt es heute noch kein freies Wahlrecht. Deshalb ist es ein Schatz, dass wir dieses demokratische Recht haben. Ich glaube auch, dass jeder, der politisch interessiert ist, jetzt die Aufgabe hat, in seinem privaten Umfeld – beim Nachbarn oder bei Freunden – dafür zu werben und zu sagen: Kommt, geht wählen!
Bei den JugendPolitikTagen haben junge Menschen die Chance, ihre politische Meinung zu äußern. Haben Sie sich als Jugendliche politisch engagiert, sind Sie auf die Straße gegangen oder haben dafür die Schule geschwänzt?
(lacht) Also die Schule geschwänzt habe ich nicht. Aber ich hab mich in der Schulgemeinschaft engagiert. Ich war in der Schulbibliothek sehr aktiv und auch immer wieder als Klassensprecherin und Schülersprecherin tätig. Wir haben uns für die Sachen eingesetzt , die uns wichtig waren. Es muss ja nicht immer ein Amt damit verbunden sein. Aber, dass man sich traut, seine Meinung zu äußern und für seine Position einzustehen, das finde ich ganz wichtig. Damit startet politische Beteiligung.
In den vergangenen Jahren sind Jugendliche wieder häufiger auf die Straße gegangen: Für Europa bei “Pulse of Europe”, gegen “Artikel 13” oder gegen den Klimawandel bei “Fridays for Future”. Wie kommt die Meinung der jungen Menschen von der Straße in den Bundestag?
Durch die Demonstrationen wurde starke öffentliche Debatte geschaffen. Die Themen sind in aller Munde und das ist ein riesiger Erfolg – das muss man erstmal sagen. Ihr [Anm. d. Red.: Die ] seid bereits in den Debatten im Bundestag. Das erlebe ich immer wieder in verschiedenen Reden. Dieser Erfolg muss auch so weitergehen. Und die JugendPolitikTage, die wir jetzt veranstalten, sind ein ganz wesentlicher Schritt dafür. Hier soll ernsthaft über Themen gesprochen und überlegt werden, was Empfehlungen und Wünsche sind.
Dass wir die berücksichtigen und sie in die Bundesjugendstrategie einfließen lassen, die wir Ende des Jahres im Kabinett beschließen werden, ist das Ziel. Wir wollen nicht nur Jugendpolitik vom grünen Tisch im Ministerium machen, sondern wir wollen junge Menschen aus ganz Deutschland dazu befragen. Dazu dienen die JugendPolitikTage und natürlich auch viele andere Formate.
Trotzdem heißt es oft, Jugendliche sind unpolitisch und haben keine politische Meinung. Wir behaupten: Wenn man Jugendliche stärker in politische Entscheidungen einbindet, würden sie sich auch mehr für Politik interessieren. Was denken Sie?
Erst einmal glaube ich, dass es nicht “die Jugendlichen” gibt. Es gibt immer solche und solche Jugendliche. Es gibt die, die super interessiert und engagiert sind und die, die darauf keine Lust haben und sich nicht dafür interessieren. Die Frage ist, wie wir die Zahl der Aktiven erhöhen können. Wie können wir andere auch dazu bewegen? Wir leben in einer repräsentativen Demokratie, die davon lebt, dass es ein Parteiensystem gibt, in dem sich auch junge Menschen stärker engagieren sollten. Ich finde, jede Bewegung ist eine gute Sache. Aber es war unser Altkanzler Gerhard Schröder, der sagte: Rein in die Organisation und von innen aufmischen. Ich finde, das hat nach wie vor Charme, sich auch in Parteien zu engagieren. Die Parteien haben einen Mangel an jungen Menschen, sind aber das Fundament für uns demokratisches System. Ich würde mir wünschen, dass viel mehr junge Menschen in Parteien gehen und sich auch in der Kommunalpolitik engagieren – gerade Frauen. Wir haben nur zehn Prozent Bürgermeisterinnen in Deutschland und wenn wir da mehr hätten, auch mehr junge Frauen, wäre das schon klasse. Da kann ich nur ermutigen.
Wie erreicht man die Jugendlichen, die sich nicht so für Politik interessieren?
Das fängt bereits in der Schule an. Wenn ich manchmal höre, dass Politikunterricht ausfällt oder abgewählt wird, finde ich das wirklich sehr bedenklich. Ich glaube, wenn man kein Wissen über die Politik hat, dann kann man auch nicht mitmachen und nicht gut entscheiden. Deshalb ist politische Bildung ganz wichtig. Ich glaube, Demokratie kann man sogar schon in der KiTa lernen. Kinder haben auch schon in einem sehr jungen Alter eine Meinung und können mit einbezogen werden – natürlich altersgerecht. Es muss im Kindergarten, in der Grundschule, in der Oberschule immer wieder Möglichkeiten geben, dass die jungen Menschen gefragt werden, wenn es um die Organisation der Schule geht. Wie sollen der Spielplatz, der Sportplatz, der Schulhof gestaltet werden? Es so viele Möglichkeiten mitzumachen und diese Gelegenheiten müssen genutzt werden. Und natürlich: Wenn du nicht weißt, wie unsere Bundesrepublik funktioniert, dann kannst du auch nicht gut darüber entscheiden. Deshalb ist es wichtig, dass die Basics gelernt werden.
Sollte mehr auf Veranstaltungen wie die JugendPolitikTage aufmerksam gemacht werden?
Auf jeden Fall! Ich finde, JugendPolitikTage müssen nicht nur eine Bundesangelegenheit sein, das kann auch in den Ländern passieren. Wir haben schon in in vielen Kommunen in Deutschland Kinder- und Jugendparlamente. Das finde ich sehr gut. Man muss all diejenigen bestärken, die das machen und auch noch viel mehr dafür sorgen, dass das verbreitet wird.
Auch in diesem Jahr erarbeiten die Jugendlichen wieder Forderungen. Bearbeiten Sie die persönlich? Wenn ja, wann? Und können die Jugendlichen darauf hoffen, dass ihre Lösungsansätze in der Politik berücksichtigt werden?
Wir werden das, was hier auf den JugendPolitikTagen herauskommt, natürlich bei uns im Ministerium besprechen. Wir haben eine eigene Kinder- und Jugendabteilung im Ministerium, in der ganz viele Kollegen arbeiten, die auch während der Veranstaltung mit vor Ort sind. Meine Staatssekretärin wird ebenfalls hier sein. Wir haben verschiedene Vertreter der Bundesregierung, die in den nächsten Tagen auch mit euch ins Gespräch kommen und wir werden diese Ergebnisse natürlich auswerten. Wir werden sortieren und überlegen, wie wir die einbringen können. Für uns ist der konkrete Anknüpfungspunkt die Bundesjugendstrategie, an der wir arbeiten und der Kabinettsbeschluss, der für Ende des Jahres vorbereitet wird. Da sollen diese Dinge einfließen. Ich hoffe, viele Empfehlungen finden sich dort wieder. Daran arbeiten wir.