Eine Koalition ohne die FDP wirkt nach dem Wahlabend unrealistisch. Parteichef Lindner macht deutlich, dass seine Partei bereit ist, zu regieren. Felicitas Nagler fragt: Mit wem?
Zum ersten Mal in FDP-Geschichte erzielt die Partei zwei Mal in Folge ein zweistelliges Ergebnis bei der Bundestagswahl – das Ziel, die Partei auf dem Niveau von circa 11% zu stabilisieren, ist erreicht. Nach den Wahlpartys der Partei in Berlin und ganz Deutschland beginnt ab Montag der Prozess der Regierungsbildung.
„Wir müssen mitbestimmen“
„Wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten“, erklärte Parteichef Christian Lindner schon am Wahlabend und bestätigt damit den Regierungsanspruch der Freien Demokraten. Auch die jüngeren Parteimitglieder sind darauf erpicht, aus der Oppositionsrolle auszuscheiden. „Wenn wir für Aufbruch sind, müssen wir mitbestimmen wollen“, meint Johannes Richter, Mitglied der Jungen Liberalen in Hamburg. Alles sieht danach aus, als würde diese liberale Sehnsucht auch in Erfüllung gehen.
Gelb und Grün
Es geht unkonventionell weiter: Normalerweise lädt die Partei, die den oder die Kanzler*in stellen wird, zu Sondierungsgesprächen ein. Am Montagnachmittag kündigt der Parteivorstand offiziell an, die FDP wolle zunächst mit den Grünen sprechen. Zwischen den beiden kleineren Parteien einer künftigen Jamaika- oder Ampelkoalition bestehen entscheidende Differenzen. Kai Fackler, der in seinem Wahlkreis 257 Ostallgäu 7,2% der Erststimmen für die FDP holte, sieht wesentliche Hürden in den Bereichen Steuern, Mindestlohn und vor allem Klimaschutz. Die FDP habe ein Konzept, dass in sich sehr stimmig und nur in seiner Gesamtheit anwendbar sei. Dass die Grünen den liberalen Ideen vollständig zustimmen, ist nicht zu erwarten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung untersuchte alle Parteiprogramme auf die Wahrscheinlichkeit, dass 1,5°C Ziel zu erreichen. Dabei landeten die Grünen auf dem ersten, die FDP auf dem letzten Platz – mehr Differenz geht nicht. Die Studie machte klar, dass die von der FDP präferierten Marktmechanismen allein nicht ausreichend wären, um den Klimawandel aufzuhalten. „Wir haben das gleiche Ziel, doch wie wir dort hinkommen, da scheiden sich die Geister“, meint Fackler.
Jamaika oder Ampel?
Aber – wird es ein Jamaika-Bündnis? Die Sympathien für eine schwarz-grün-gelbe Koalition sind bei Lindner und anderen Liberalen am Wahlabend klar herauszuhören. Aber trägt das, eine Koalition unter Führung des Wahlverlierers CDU/CSU? 8,8 Prozentpunkte hat die Union verloren; die SPD hingegen hat 5,2 Prozentpunkte gewonnen. Ist da nicht ein klarer Regierungsauftrag zu erkennen?
Christoph Meyer, Bundestagsabgeordneter für die FDP seit 2017, sieht das anders. Für ihn ist nun der Zustand der Union entscheidend: „Die Frage ist, wie verkraftet die Union den Stimmenschwund? Und was bedeutet das an internen Auseinandersetzungen?” Für den Fall, dass die CDU/CSU zu sehr mit sich selbst beschäftigt und nicht verhandlungsfähig ist, wäre Meyer auch offen gegenüber einer Ampel-Koalition.
Entgegen der schwarzen Präferenzen der FDP betonen Ökonom*innen die Vorteile eines Ampel-Bündnisses. Jens Südekum, Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, räumt im Handelsblatt ein, dass die Ampel „kein Selbstläufer“ sei. Trotzdem gebe es eine „Reihe goldener Brücken“ über die man jetzt gehen könne. Als Beispiel nennt er die Aktienrente der FDP, mit der das SPD-Versprechen einer stabilen Rente gehalten werden könnte. Die Infrastrukturprojekte der Grünen wiederum könnten auf die gleiche Weise finanziert werden. So sieht Südekum viele mögliche Kompromisse zwischen den drei Parteien.
Der Einfluss der Jungen Liberalen wächst
Für welches Bündnis FDP und Grüne sich auch schließlich entscheiden, Erstwähler*innen dürften zufrieden sein, dass beide Parteien an der Regierung teilnehmen werden. Laut dem BR punktete die FDP mit 23 und die Grünen mit 22 Prozent unter jenen, die zum ersten Mal an der Wahl teilnehmen durften.
Junge FDP-Wähler*innen können auch damit rechnen, dass die Fraktion der FDP mehr Positionen der Jungen Liberalen verkörpern und so mehr jugendliche Perspektiven vertreten wird. Sechs neue Mitglieder der Jugendorganisation habe das Parlament dazugewonnen, so Kai Fackler. Dadurch gewinnen Themen wie das Wählen ab 16, die Legalisierung von Cannabis oder mentale Gesundheit wahrscheinlich innerhalb der Partei an Gewicht – und eventuell damit auch innerhalb einer Regierung – sei es nun Jamaika oder die Ampel.
„Die Sondierungsgespräche wären schwer”, gibt Fackler zu, „aber ich hoffe, dass Grüne und FDP sich gemeinsam an einen Tisch setzen und aushandeln, was die Progressivität, die beide Parteien vertreten widerspiegelt.” Anschließend geht es um die Koalition. Und dann, ja dann könnte die FDP endlich richtig regieren.