Nox ist selbstbewusst, queer, rebellisch und aus der Ukraine. Als queere Person ist dey besonders gefährdet im Krieg.
Es ist Feierabend in Berlin. Leute strömen aus allen Richtungen und versuchen dem einsetzenden Regen zu entkommen. Sie spannen ihre Regenschirme auf und fluchen über Autofahrer*innen. Inmitten dieser Menschenmasse sitzt Nox vor einem Café auf einem hellblauen Plastikstuhl.
Nox trägt eine schwarze Hose und einen schwarzen langen Mantel. Deren lockige Haare sind schulterlang und um den Hals hängen Kopfhörer. Nox Ohren schmücken zwei Kronkorken-Ohrringe. Auf einem ein Busen, auf dem anderen eine Vulva gezeichnet.
Nox wirkt selbstbewusst. Deren Blick scheint zu sagen: „I don´t give a shit!“, deren Haltung ist stolz. Typisch Berliner*in könnte man denken. Selbstbewusst, politisch und queer.
Zugezogen unter besonderen Umständen
Doch das stimmt nicht. Nox ist zugezogen, oder eher geflüchtet. Nox kommt aus der Ukraine. Dey ist im Donbass geboren und dann mit den russischen Angriffen 2014 mit der Familie nach Kiew geflohen.
Ende Februar musste dey vor den Bomben aus Kiyv fliehen. „Es war so gefährlich dort. Zuerst sind wir nach Winnyzja geflohen. Das ist eine Stadt im Westen der Ukraine. „Dann haben wir uns dazu entschieden, dass es sicherer für mich und meine Mutter wäre zu fliehen.“
Ein Rebell in Kiew
In Kiew ist Nox aufgewachsen und hat dessen queere Identität entdeckt. Nox ist bisexuell und nichtbinär. Dey benutzt genderneutrale Pronomen.
„Das erste Mal, als ich realisiert habe, dass ich bisexuell bin, da war ich glaube ich elf oder zwölf Jahre. Ich erinnere mich nicht mehr so genau”, erzählt Nox. „Da bin ich übrigens auch zum Aktivismus gekommen, also LGBTQ und Frauenrechte. Ich habe versucht, alles zu entdecken. Ich habe einfach über alles wie besessen gelesen und dann bin ich von alleine über das Geschlecht: non-binary gestolpert und gedacht: „Das bin ich!“
Das ist also Nox: Weder männlich noch weiblich, sondern nichtbinär. Die Eltern reagierten zuerst skeptisch. „Sie haben gedacht: Das ist nur eine Phase!“, erzählt Nox, halb ernst, halb scherzhaft. „Aber ich habe viele Jahre damit verbracht, mit ihnen zu diskutieren und sie umzuerziehen.” Anfangs seien sie noch sehr homofeindlich gewesen, mittlerweile hätten sie Nox Sexualität akzeptiert. “Nur mein Geschlecht verstehen sie, glaube ich nicht. Ich war halt schon immer ein Rebell”, sagt Nox stolz.
Zwischen Kiew und Berlin gäbe es sehr große Unterschiede in der queeren-Szene. In Nox Heimat sei sie vor allem im Untergrund tätig. „Die Gesellschaft ist sehr konservativ und die LGBTQ Szene wird immer noch unterdrückt“, erklärt Nox. Dennoch fühlt dey sich in der Szene wohl. „Die Community ist wie so eine Art Flucht, weil jeder einfach nett zueinander ist. Es ist einfach angenehm dort zu sein.“ Dey liebt die rebellische Atmosphäre und geht gerne in die Cafés, die in der queeren Szene bekannt sind. Nox versteckt sich nicht, erklärt jedem, der es wissen möchte, deren Identität.
Irgendwann steigt Nox bei Fridays for Future ein. Erst geht Nox nur zu den Demos, ruft mit den anderen die Sprechchöre und fühlt sich wieder einmal wohl, etwas verändern zu wollen. Als der Krieg anfängt, bringt Nox sich aktiver in die Bewegung ein und gestaltet Instagram Post für die Bewegung. Durch den Krieg hat sich die Bewegung vor Ort verändert. Statt Demos wird humanitärer Hilfe für die Ukraine organisiert.
In Berlin ist es anders. In der queeren Szene fehle der kämpferische Spirit aus der Ukraine. „Es ist logisch, dass wenn eine Untergrundbewegung akzeptiert wird, das Rebellische verloren geht. „Trotzdem fühle ich mich hier immer noch sicherer, weil ich nicht für meine Identität kämpfen muss.“
Nox trinkt einen Schluck vom Eistee. Der kalte Tee scheint dey zurückzubringen in die Gegenwart. Nach Berlin. Hier gibt es keinen Krieg und keine Bomben. Das einzige ärgerliche an dieser Stadt ist momentan der Regen, der nicht aufhören will und die Kälte, die trotz des Frühlings bis in die Knochen geht.
Die Heimat vermisst Nox sehr. „Kiew hat so einen großen Platz in meinem Herzen, Es ist der Ort wo ich aufgewachsen bin und ich liebe einfach alles daran.“
Während die Bomben in deren Heimatland fallen, sitzt Nox in Berlin, zählt die Tage bis Ostern, dann fährt dey zurück nach Kiew und besucht die Familie.
“Mach Abends die Taschenlampe von deinem Handy an, wenn du durch die Straßen läufst”, sagte deren Vater an Weihnachten in Kiew zu Nox. “Sonst sehen dich die Autos nicht. Die Straßenlampen leuchten nicht wegen dem Stromausfall.“ Also geht Nox mit deren Taschenlampe durch die Straßen, besucht alte Freunde und hofft, eines Tages wieder in Kiew zu leben.
Fliehen und Ankommen
Die Flucht von Nox und deren Mutter hat zwei Tage gedauert. In Polen haben sie einen kurzen Zwischenstopp gemacht, dann nach Berlin. Die Schwester wohnte schon hier.
„Zuerst war es echt schwierig, weil sie in einer Einzimmerwohnung lebte und unsere Mutter immer noch mit uns gewohnt hat, aber jetzt leben meine Schwester und ich in einer neuen Wohnung und wir haben getrennte Zimmer.“ Die Mutter ging nach ein paar Monaten wieder zurück in die Ukraine. „Sie hat meinen Vater vermisst und sie hat ja auch einen Job dort“, erzählt Nox.
Das neue Zuhause ist ungewohnt. Nox muss sich zuerst an die Stadt gewöhnen. „Hier in Berlin versuche ich zu überleben”, dey lacht auf, “es ist einfach schwer ein Hobby als Geflüchtete zu haben. „Das meiste meiner Energie geht einfach verloren und ich muss mich aufs Lernen konzentrieren.“ Nox geht auf eine internationale Schule, die durch ein Stipendium finanziert wird. „Ich habe sie einfach überzeugt mit meinem Charme“, lacht Nox und streicht sich spielerisch durchs Haar.
Anmerkung der Redaktion: Da die Protagonist*in non-binary ist, wird in diesem Artikel das genderneutrale Pronome dey benutzt.