Die Linke gewinnt in Sachsen nur 4,5 Prozent der Stimmen. Für Landeschef Stefan Hartmannn reicht es am Wahlabend nicht mal für ein Lächeln. Was ist da los?
„Zeitgeist“ steht in großen grünen Buchstaben über dem Eingang des Dresdner Hauses der Begegnung. Drinnen feiert an diesem 1. September eine Partei ihre Wahlparty, die vom Zeitgeist kaum entfernter sein könnte: die Linke.
Das Haus der Begegnung ist nicht groß. Aber die Wände sind hoch und voller hölzerner Regale. Bis zur Decke stapeln sich Bücher und unzähliger Krempel: gelbe Badeentchen, dreiarmige Kerzenleuchter, eine Puppe in lilafarbenem Kleid, eine Gitarre. An der Decke hängt eine Diskokugel, an der Wand ein Gemälde von Maria und Jesus.
Das Büfett nimmt fast die Hälfte des Raumes ein. Es gibt Mettschwein, Kartoffelgratin und eine Obstplatte mit Feigen und Wassermelone. Daneben: vier lange Tische mit blauen Stühlen. Im kleineren Nachbarraum ist eine Bar. Ein Barmann reicht Bierkrüge über einen Holztresen. Kurz vor 18 Uhr wird es voller, Menschen in Leinenhosen und bunten Shirts schmieren die ersten Mettbrötchen.
Betretene Gesichter nach den Hochrechnungen
Dazwischen steht Stefan Hartmann, Landesvorsitzender der Linken in Sachsen. Er trägt Brille, ein blaues Sakko und weißes Hemd darunter, dazu Jeans. Noch fünf Minuten, bis die ersten Hochrechnungen da sind. „Mir geht es scheiße“, sagt Hartmann. Er werde einfach „lächeln und winken“.
Währenddessen versammeln sich die Parteimitglieder in der Mitte des Raumes. Zwischen Büfett und Tischen können sie die Leinwand mit den Hochrechnungen am besten sehen – zur Hälfte wird sie von einem Parteibanner verdeckt. „Durch und durch sozial“, steht da.
Die Videoübertragung der Hochrechnungen stockt immer wieder. Im entscheidenden Moment aber ist sie ganz klar: Die Linke bleibt unter fünf Prozent. Stille. Nicht mal ein Seufzen. Betretene Gesichter starren auf die Leinwand.
Dann tritt Stefan Hartmann auf die Bühne. Er lächelt nicht. „Die Linke hat ihre Stärke im Osten verloren“, sagt er.
Was bedeutet das Ergebnis?
Damit ein kleiner Sprung einen Tag zurück. Spontan eingerichtete politikorange-Wahlredaktion, Dresdner Neustadt, 28 Grad. Die Klimaanlage ist direkt auf Hartmann gerichtet, damit er nicht zu sehr schwitzt.
politikorange: Was würde ein Auszug aus dem Landtag für Sie bedeuten?
Hartmann: Für die Partei wäre das ein neues Level der Niederlage. Es wäre eine extreme Herausforderung, von einer solchen geschwächten Basis aus weiter eine gesellschaftspolitisch relevante Kraft zu sein. Für mich wäre es dramatisch, dabei in Verantwortung für eine Partei zu sein, deren Geschichte so weit zurückgeht.
politikorange: Haben Sie eine Erklärung für die wenigen Stimmen?
Hartmann: (zuckt mit den Schultern.) Wenn ich eine schlüssige Erklärung hätte, hätte ich mich in den letzten Wochen nicht darum gekümmert, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Ein paar Vermutungen habe ich aber schon. Seit mindestens 2021 haben wir eine Gruppe, die sich dann im letzten Jahr abgespalten hat. Parteiintern wurden wir enorm unter Druck gesetzt. Es hieß, wir würden keine vernünftige Friedenspolitik machen, oder wir würden nicht mehr für die arbeitende Bevölkerung einstehen. Das hat uns als Partei insgesamt geschwächt. Zumal eine der Figuren, die das gemacht hat, zu den wenigen gehörte, die wir uns in den letzten Jahrzehnten als öffentlich Bekannte erarbeiten konnten.
politikorange: Sie meinen Sahra Wagenknecht.
Hartmann: Ja.
politikorange: Wäre eine Zusammenarbeit mit dem BSW für Sie eine Option?
Hartmann: Eine Partei, die gewählt wird, hat immer die Aufgabe, im Rahmen ihres Programms Entscheidungen für die Leute zu treffen. Ich persönlich schließe eine Zusammenarbeit aus. Man kann nicht vernünftig mit Leuten zusammenarbeiten, die alles daran gesetzt haben, unsere Vertrauenswürdigkeit zu untergraben.
Wie umgehen mit menschenfeindlichem Extremismus?
Im Haus der Begegnung flimmert derweil Björn Höcke über die Leinwand. Die Linken murmeln. Ein Mann mit gräulich-schwarzem Vollbart legt sein Baguette zurück auf den Teller. „Warum wird der denn jetzt als Erstes gezeigt?“, ruft er. „Das sind doch alles Faschisten!“
politikorange: Was ist Ihre Strategie gegen menschenfeindlichen Extremismus, Herr Hartmann?
Hartmann: Nazis sind für mich nicht Konkurrenz, Nazis sind der Feind. Menschenfeindlichen Extremisten darf niemals auch nur ein Fitzelchen Macht in die Hände gegeben werden. Wichtig ist, dass die wenigen Orte zivilgesellschaftlicher Kultur und Jugendkultur nicht geschlossen werden. Dann gäbe es eine kulturelle Dominanz der extrem rechten Menschenfeinde.
politikorange: Wie soll es nach diesem Wahlergebnis weitergehen?
Hartmann: Wir brauchen eine strategisch-programmatische Neuaufstellung. Wir sind in Sachsen über 6.300 Mitglieder und in den letzten Monaten sogar wieder gewachsen. Aber in den Entscheidungsstrukturen sind wir immer noch aufgestellt wie vor 20 Jahren.
Der Abend muss weitergehen
Kurz nach den ersten Hochrechnungen werden die Mitglieder wieder lauter im Haus der Begegnung. Die Linke erreicht nur 4,5 Prozent der Stimmen. Doch zwei Direktmandate in Leipzig sichern ihnen den Einzug in den sächsischen Landtag.
Menschen beginnen Gespräche, essen Kartoffelgratin, trinken Bier. Was hier denn los sei, fragt ein Mann vor der Tür. Als er die Antwort erfährt, sagt er: „Ich weiß gar nicht, wie man da ne Party feiern kann.“