„Der Reiz war auch, von Anfang an dabei zu sein“

Nicht einmal ein Jahr ist die Partei um Ex-Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht alt, und doch erreicht ihr Bündnis bei der Landtagswahl Sachsen ein zweistelliges Ergebnis. So gibt es kaum Optionen für eine stabile Regierungskoalition ohne das BSW, wenn die AfD außen vor bleiben soll. Einer der sächsischen Mandatsgewinner*innen der Wagenknecht-Partei ist Ronny Kupke (47) aus Chemnitz. Er ist mit dem BSW in die Politik gekommen: Bisher hat er den Personalrat einer Versicherungsgesellschaft geleitet. Politikorange hat Kupke auf der Wahlparty im Dresdner Penck Hotel getroffen.

Ronny Kupke. Foto: BSW.
politikorange: Herr Kupke, Wie sind Sie dazu gekommen, in das Bündnis Sahra Wagenknecht einzutreten?

Ronny Kupke: Sahra Wagenknecht war mir natürlich schon länger ein Begriff. Und durch einen Kontakt hatte ich die Chance, die Landesvorsitzende Sabine Zimmermann kennenzulernen und mich mit ihr auszutauschen. Der Reiz war auch, von Anfang an dabei zu sein. Es war explizit erwünscht, dass man mitarbeitet, gerade Leute aus der bürgerlichen Mitte, die Fachwissen und Expertise mitbringen. Da wollte ich unbedingt dabei sein.

politikorange: Wofür wollen Sie sich denn als Politiker einsetzen?

Kupke: Die Themen Gesundheit, Pflege und Soziales sind mein Steckenpferd. Und dazu gehören ja ganz viele weitere Themen. Fachkräftemangel, Ärztebedarf, die auskömmliche Finanzierung der Krankenhausstandorte. Das Problem der Demografie. Es gibt immer mehr Pflegebedürftige, wir sind eine alternde Bevölkerung. Da müssen Fördermöglichkeiten und Richtlinien, auch Unterstützung für Angehörige geschaffen werden, um den Pflegebereich weiterhin finanzieren zu können.

politikorange: Sahra Wagenknecht schreibt im Vorwort zu Ihrem Landtagswahlprogramm: „Je stärker das BSW wird, desto mehr Vernunft und Gerechtigkeit gibt es in Sachsens Politik.“ Ist denn die aktuelle Politik so unvernünftig und ungerecht?

Kupke: In vielen Teilen schon, das merkt man ja auch in der Stimmung der Bevölkerung. Wenn man an Wahlständen mit den Leuten ins Gespräch kommt, da bekommt man mit, was die bewegt. Die Leute haben zu tun, mit ihren Löhnen oder Renten über die Runden zu kommen. Die Kosten explodieren, die Energiepreise explodieren, das Thema Ukrainekrieg, das Thema Migration, das beschäftigt sehr viele. Von daher denke ich schon, und das sieht man ja auch im Wahlergebnis, dass die Leute nach Veränderung gesucht haben.

politikorange: Und was macht jetzt das BSW vernünftiger und gerechter als andere Parteien?

Kupke: Die Politikansätze, die wir haben. Wir stehen für die kleinen Leute ein. Sei es beim Thema Bildung, Migration, Gesundheit: Wir wollen die Interessen von Familien, Rentnern, Arbeitnehmern, kleinen und mittelständischen Unternehmen wieder in den Mittelpunk der Politik rücken. Denn das hat in den letzten Jahren nicht stattgefunden.

Die kleinen Leute und die anderen

politikorange: Was unterscheidet Sie von der SPD oder der Linken, die ja auch für sich beanspruchen, Politik für die kleinen Leute zu machen?

Kupke: Der Unterschied ist – die Linke muss ich jetzt mal ausklammern –, dass die SPD in der Regierungsverantwortung ist. Sowohl hier im Land Sachsen als auch auf Bundesebene. Und ich glaube, das Ergebnis kennen wir ja alle. Das ging aus meiner Sicht los mit Agenda 2010 der SPD unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Das war ja mal die sogenannte Arbeiterpartei, und als diese wird sie nicht mehr wahrgenommen.

politikorange: Und die Linke?

Kupke: Ich gebe zu, ich habe das Parteiprogramm der Linken nicht gelesen.

politikorange: Ach?

Kupke: Ich habe aber generell in meinem Leben die wenigsten Wahlprogramme gelesen.

politikorange: Oh. Im Wahlkampf hat das BSW ja auch vor allem auf das große bundespolitische Thema Frieden gesetzt. Was könnten Sie da überhaupt auf Landesebene bewirken?

Kupke: Wir wollen, dass es eine Bundesratsinitiative gibt, um in Verhandlungen einzutreten. Es ist klar, dass das Sachsen nicht allein entscheiden kann. Aber wir wollen zumindest die Landesregierung darauf hindrängen und bewirken, dass die auf Bundesebene wieder Druck macht.

politikorange: In Ihrem Wahlprogramm ist sehr oft die Rede von „den Menschen im Land“, denen Sie dann bestimmte Forderungen, Ansichten und Gefühle zuschreiben. Wer sind denn diese Menschen?

Kupke: Das ist das, was wir in Gesprächen mit den Menschen wahrnehmen. Wenn man die Leute befragt, dann merkt man ja auch, wie die Stimmung ist. Natürlich kann man das schlecht beziffern, ob das jetzt fünf Millionen Menschen sind oder nur 3.000. Von daher ist das eine allgemeine Formulierung für die Bürger und die allgemeine Grundstimmung, die wir im Land wahrnehmen.

Die Sache mit der Meinungsfreiheit

politikorange: Da Sie gerade die Stimmung im Land angesprochen haben: In Ihrem Wahlprogramm schreiben Sie auch, dass viele Menschen das Gefühl hätten, nicht mehr einfach frei ihre Meinungen sagen zu können. Auf Wahlplakaten steht: „Maulkorb oder Meinung?“ Und Sie betonen immer wieder, für die Meinungsfreiheit zu sein und gegen eine „Cancel Culture“. Was ist mit all dem jetzt genau gemeint?

Kupke: Dass es in der öffentlichen Debatte immer nur Schwarz oder Weiß gibt. Dafür oder dagegen. Die Zwischen- oder Grautöne gibt es da nicht mehr. Man kann gar nicht mehr diskutieren, sondern man muss sich immer klar positionieren. Und es fällt schwer, auch mal zu akzeptieren, wenn jemand mal eine andere Meinung hat. Das verstehe ich darunter.

politikorange: Aber macht das das BSW nicht genauso? Dieses Schwarz-Weiß-Denken? Es gibt in Ihrer Kommunikation auch immer die einen, die den Leuten was vorschreiben wollen, und dann das BSW, die Vernünftigen, die Rationalen.

Kupke: Das machen die anderen Parteien ähnlich. Aber wir stehen zumindest für keine Bevormundung, sondern wir wollen mehr Demokratiebeteiligung, mehr Volksentscheide, und wir wollen die Leute mehr einbeziehen. Gerade jetzt fordern wir, zu der Stationierung der Marschflugkörper eine Volksabstimmung durchzuführen. Wir wollen, dass das Volk selbst entscheiden kann, was es will und was nicht.

Kupke mit Wahlplakat des BSW. Foto: BSW
politikorange: Sie schreiben, dass das BSW den „neuen politischen Autoritarismus“, der sich anmaße, die Menschen zu erziehen und in ihren Lebensstilen oder ihrer Sprache zu reglementieren, ablehnt. Was ist denn dieser neue politische Autoritarismus? Ist das die Regierung, die Regierungsparteien?

Kupke: Es ist damit gemeint, dass die Regierenden eine gewisse Übergriffigkeit und Bevormundung an den Tag legen. Das ist einfach die Entwicklung in den letzten Jahren. Ein Beispiel ist das Heizungsgesetz. Dann diese gesamte Diskussion um dieses Gendern. Das sind halt Sachen, von denen ich glaube, dass es wichtigere Dinge und dringendere Probleme gibt.

politikorange: Nun gibt es keine festgeschriebene Genderpflicht. Sogar ganz im Gegenteil, hier in Sachsen gibt es ja ein explizites Verbot, zum Beispiel an Schulen. Zählt das für Sie auch zu diesem Autoritarismus, dass man diese Art der Sprache reglementiert?

Kupke: In der Konsequenz wäre das dann so. Wenn man nur von sich aus gendert, ist das ja noch mal was anderes, als wenn ich das anderen vorschreibe. Aber grundsätzlich sind wir halt gegen so was.

Die AfD und der andere Extremismus

politikorange: Ist das BSW eigentlich auch klar gegen Rechtsextremismus?

Kupke: Ich glaube, das ist unstrittig. Ich möchte noch mal etwas klarstellen, weil uns das in der Migrationsdebatte immer vorgeworfen wird: Wir stellen uns gegen jegliche Art von Ausländerfeindlichkeit und Extremismus, egal aus welcher Richtung er kommt. Es gibt Rechts- und Linksextremismus. Das ist für uns undiskutabel.

politikorange: Und wie wollen Sie gegen Rechtsextremismus vorgehen?

Kupke: Wir haben deutlich gesagt, dass wir mit der AfD keine Koalition bilden, keine Minderheitsregierung tolerieren oder aktiv mit ihr zusammenarbeiten. Wir werden im Parlament keine gemeinsamen Anträge einbringen. Dann muss der Rechtsextremismus natürlich auch bekämpft werden, mit allen staatlichen Mitteln, die es gibt.

politikorange: Das heißt, Sie wären dann auch für ein Verbot der AfD?

Kupke: Dafür haben wir ja einen Rechtsstaat und die entsprechenden Organe. Wenn die zu dem Schluss kommen, dass das nötig ist, dann muss sich an Recht und Gesetz gehalten werden.

politikorange: Aber setzen Sie sich nicht auch dafür ein, die Befugnisse des Verfassungsschutzes zu begrenzen?

Kupke: Wie gesagt, es gibt ja nicht nur Rechtsextremismus. Es gibt ja auch andere Sachen.

politikorange: Bei der Wahl ist die AfD jetzt Zweite geworden. Mal davon ausgegangen, die CDU hält sich an ihre Brandmauer und arbeitet nicht mit der AfD zusammen. Dann haben Sie beste Chancen, Teil der Regierungskoalition zu werden. Gibt es für Sie Forderungen und Positionen, die für Sie dann unverhandelbar sind?

Kupke: Die Frage der Koalition haben wir noch nicht diskutiert. Wir wollen, dass sich für die Menschen merklich was verbessert. Für Sahra Wagenknecht war eine ihrer roten Linien immer, dass sich auch die Landespolitik für Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine einsetzen muss und sich gegen die Stationierung der Marschflugkörper stellt. Das andere muss man dann sehen, wenn es zu Gesprächen kommt. Aber noch mal: Wir werden nur in eine Regierung gehen, wenn wir glauben, merkliche Verbesserungen erreichen zu können. Die Leute haben uns mit einer gewissen Erwartungshaltung gewählt und ihr Vertrauen in uns gesteckt. Ein Weiter so wird es mit uns nicht geben.

Jonas Fedelinski

studiert Medien- und Kommunikationswissenschaften und interessiert sich besonders für Politik, Literatur und Musik.

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