Was Reality-TV für unser Gehirn bedeutet 

Zwischen Kandidat*innen, Konkurrenz und kognitiven Fähigkeiten: Reality-TV ist eine leichte, beliebte Unterhaltungsform, um einfach mal abzuschalten. Aber inwiefern schaltet dabei auch unser Gehirn ab? Was wollen Produzent*innen wirklich erreichen? Wie verschiedene Studien belegen, macht Reality-TV zumindest in Teilen dumm.  

Eine bunte Animation von einem Gehirn mit einem Sonnenschirm und einer Sonnenliege vor einer Palme.
Brain on Vacation. Bild: Jugendpresse e.V.

Einschalten und Abschalten im Hirn

599 Probanden, zwei bis drei Stunden am Tag, 20 Jahre lang: Eine Studie von Forschenden der John Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore (USA), die 2021 im Fachmagazin „Brain Imaging and Behavior” veröffentlicht wurde, zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen Reality-TV Konsum und Gehirnstruktur. Eine Versuchsgruppe konsumierte über den Zeitraum der Studie regelmäßig Reality-TV, während eine Vergleichsgruppe darauf verzichtete. Nach den 20 Jahren Versuchszeit stellten die Forscher*innen abschließende Messungen der Gehirnstrukturen gegenüber und bemerkten Veränderungen bei jener Gruppe, die regelmäßig vor dem Fernseher saß. Die sogenannte „graue Substanz“, deren Anteil auch über die Intelligenz des Menschen entscheidet, hatte sichtbar abgenommen. Auch das Volumen zweier Gehirnareale litt im Verlauf der Studie und war geschrumpft. Diese Bereiche sind unter anderem für unser Erinnerungsvermögen zuständig. Ähnliche Ergebnisse zeigen kognitive Tests, bei denen der Reality-TV Konsum ebenfalls in Zusammenhang mit tendenziell niedrigeren kognitiven Fähigkeiten gebracht wurde. Langfristig sei sogar Demenz im späteren Alter begünstigt. 

Ist das von Produzent*innen so gewollt? Was für ein Ziel wird hinter den Kulissen von GNTM, Bachelor und Dschungelcamp wirklich verfolgt?

Dummheit als Add On eines Geschäftsmodells

Das, wovon wir uns so gerne berieseln lassen, ist nicht so unschuldig wie man zunächst denkt. Hinter dem vermeintlich realistischen Gesellschaftsspiegel steckt in Wahrheit ein ausgeklügeltes Geschäftsmodell. Folgen für unser Gehirn spielen erstmal keine Rolle. Pädagogischer Mehrwert muss sich der Gewinnmaximierung beugen; die Produzent*innen wissen genau, worauf das Publikum anspringt.  

Ausschnitt einer sitzenden Person, zu sehen sind Arm, Hand und Bein. Eine Hand hält eine Fernbedienung.
Den Fernseher nach einer Folge Reality-TV wieder auszuschalten fällt oft gar nicht so leicht. Die einfachen Inhalte entpuppen sich als psychologisch gut durchdacht. Foto: Freepik.

„People like to sit up and make decisions. I like you; I don’t like you”. Es ist ein einfacher Wirkungsmechanismus, von dem die Anbieter ausgehen, bestätigt eine Studie von Dr. Laura Sūna, Medienwissenschaftlerin an der Universität Siegen. Unsere Rolle dabei, die der Zuschauerinnen und Zuschauer? Wir sind nichts weiter als leicht abzufangendes Publikum, die das Geschäftsmodell ermöglichen. Und was wir wollen, ist eben mitfühlen, lästern und urteilen. Müssen wir uns deswegen jetzt schlechtfühlen? Ohne Reality-TV machen wir das im realen Leben doch genauso, oder? 

Reality-TV: Hoffentlich nicht Realität

Die Frage gilt es wohl eher andersherum zu stellen. Hinter dem Begriff Reality-TV verbergen sich nämlich Medienhäuser, die überhaupt nicht die Realität abbilden wollen. Die Shows folgen keinesfalls einem gesellschaftlichen Wandel im echten Leben der Zuschauer*innen, sondern orientieren sich an simplen Trenderscheinungen. Kommt bald wieder Size Zero? YouTube Kommentator Ramon Wagner, der selbst aktiv in der Reality-TV Branche ist, hält das bei einer entsprechenden Trenderscheinung sogar für unabdingbar. Wen wir in den nächsten Staffeln unserer Lieblings-Reality-TV Show auf dem Bildschirm sehen, sei in jedem Fall primär wirtschaftlich begründet. Mögliche Auswirkungen auf Psyche und Gehirn finden im gewinnorientierten Geschäftsmodell also keinen Platz. 

Was bedeutet das jetzt für den nächsten GNTM-Donnerstagabend? Wie gehen wir mit diesen beunruhigenden Aussichten und Studienergebnissen um? 

„Richtig“ Reality-TV schauen: Der Inhalt macht das Gift

Wie die erwähnte Studie im Fachmagazin „Brain Imaging and Behavior” (2021) zum Fazit zieht, kann man sich beim Konsum von Reality-TV auf zwei Prinzipien verlassen. Erstens: Je anspruchsloser der Inhalt, desto größer der Einfluss auf unser Gehirn.  Sprache, Narrative und Interaktion der Kandidat*innen  werden von uns schnell übernommen und beeinflussen uns in unserem Denken und Handeln. Und zweitens: Je mehr wir schauen, desto größer auch die Konsequenzen. Exzessiver Reality-TV Konsum bringt weitaus größere Auswirkungen mit sich als der Konsum in geringem Maße. Das bedeutet aber nicht, dass wir komplett von unseren Lieblingsshows absehen müssen. Solange wir Reality-TV in Maßen konsumieren und auf den Anspruch der Sendungen achten, steht der Unterhaltungsform nichts im Weg. Wichtig ist es, das dahinterstehende Geschäftsmodell im Kopf zu behalten, kritisch gegenüber der Inhalte zu bleiben und sich möglicher Folgen bewusst zu sein.

Im Zeitalter von Fake News, Populismus und Politiker*innen  auf TikTok ist Reality-TV jedoch nicht das einzige Problem. Oft werden Inhalte vereinfacht, einseitig und nach simplen polarisierenden Narrativen dargestellt – viele Fragezeichen mit Blick auf mögliche Folgen für unser Gehirn bleiben offen. Der Landesschülersprecher der bayerischen Mittelschulen Dalton Del Salto Blanco ist überzeugt, dass „Medienkompetenz“ im Skillset zukünftiger Generationen nicht mehr wegzudenken ist – es lohnt sich also, schon heute den kritischen Blick auf unschuldige, scheinbar objektive Inhalte nicht zu verlieren und auch die eigene Medienkompetenz einmal zu hinterfragen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.