Seit Jahrzehnten kämpft die Bevölkerung im Iran für eine Revolution und damit für ihre lang ersehnte Freiheit. Der Einfluss des Irans weltweit und speziell auf die Lage in Nahost ist jedoch signifikant. Westliche Länder, darunter auch Deutschland, sind an den Aktivitäten des Mullah-Regimes nicht unbeteiligt.
Wie unberechenbar das islamische Regime im Iran ist, predigten Aktivist*innen und Widerstandskämpfer*innen schon vor dem massiven Angriff des Regimes auf Israel in der Nacht auf den 14. April. Mit dem Tod von Präsident Ebrahim Raisi bei einem Hubschrauber-Absturz am 19. Mai könnte sich in dem unterdrückerischen Staat etwas ändern.
Die Hoffnung auf ein Ende des islamischen Regimes ist jedenfalls groß. Doch wie wahrscheinlich ist die vom Volk so sehnlichst gewünschte Revolution? Susanne Schröter, Professorin der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und Leiterin des Forschungszentrum Globaler Islam, glaubt nicht, dass sich das Regime noch zehn oder 20 Jahre halte, da der Widerstand im Volk immer größer werde. „Wenn man sich autokratische Regime oder Diktaturen anschaut, die so an Zustimmung verlieren innerhalb der Bevölkerung, dann ist es eigentlich auch nur eine Frage der Zeit“, sagt Schröter.
Deutscher Staatsbürger in Geiselhaft
Auch die deutsche Aktivistin Gazelle Sharmahd, welche in Amerika lebt, ist sicher, dass eine Revolution bevorsteht: „Dieses Regime weiß, dass es am Ende ist. Es geht nur darum, wie lange es dauern wird und wie viele dafür sterben müssen.“ Ihr eigener Vater ist im Iran zum Tode verurteilt worden. Er war Teil der Exil-Oppositionsgruppe „Tondar“, welche von der iranischen Justiz beschuldigt wird, im Jahr 2008 einen Anschlag auf eine Moschee in Schiras verübt zu haben. Jamshid Sharmahd soll demnach daran beteiligt gewesen sein.
Vor über dreieinhalb Jahren wurde er während einer Geschäftsreise bei einem Zwischenstopp in Dubai vom Regime entführt und im Iran ohne fairen Prozess inhaftiert. In Haft wurden ihm die Zähne ausgeschlagen und er leidet an Parkinson im fortgeschrittenen Stadium. Wie lange und ob der 69-Jährige noch lebt, weiß nur die iranische Führung.
Wenn Sharmahd an den Iran denkt, spüre sie eine Mischung aus Schmerz und Stolz. Sie sei stolz darauf, dass Menschen trotz dem Leid, das ihnen und ihren Familien zugefügt wird, immer weiterkämpfen. Gleichzeitig sei sie in Gedanken immer bei ihrem Vater: „Es gibt keine Sekunde, in der ich nicht an ihn denke, keinen Morgen, an dem ich nicht aufwache und mich frage: Lebt er noch? Was fühlt er jetzt? Hat er Schmerzen? Hat er Angst? Tun sie im weh? Werde ich noch einmal mit ihm reden und ihm sagen können, wie sehr ich ihn liebe?“ Die letzte Kontaktaufnahme mit der Familie per Telefon ist nun schon einige Monate her. Solche Telefonate laufen natürlich nicht frei, sondern unter genauer Überwachung und Kontrolle ab.
Am 11. März berichteten iranische Staatsmedien, dass Jamshid Sharmahd und die US-Regierung wegen angeblicher „Terrorpläne“ angeklagt wurden und sie als „Wiedergutmachung“ 2,478 Milliarden Dollar zahlen sollen. Die Berichte bekräftigen zudem Jamshid Sharmahds Todesurteil. Mit einem dringenden Appell richtete sich die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte daraufhin an die Regierungen der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik und rief zum sofortigen Handeln auf. Eine Reaktion blieb bislang aus.
Westliche Staaten – Mitfinanzierer des Terrors?
Dass die westlichen Staaten am Geschehen in Nahost und im Iran beteiligt sind, ist kein Geheimnis. Deutschland verhandelt weiterhin mit dem Iran über das Atomabkommen (hier erfahrt ihr mehr dazu) und sei laut Schröter größte Handelspartner Teherans in der EU . Zwar wurden zum Start der Protestbewegung nach dem Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 Sanktionen gegen den Iran erlassen, diese seien jedoch kein wirkvolles Mittel, da sie nach Einschätzungen von Schröter weder durchgehalten werden, noch wirklich etwas bewirken können.
Die Mitgliedschaft im BRICS-Verbund bietet dem Iran verschiedene Wege, sich gegen die Auswirkungen westlicher Sanktionen zu schützen oder diese zu mildern, wie durch die Diversifizierung seiner wirtschaftlichen und politischen Beziehungen. Auch mit dem Einfluss iranischer Lobbyorganisationen auf die deutsche Politik ließe sich die starke Untätigkeit der Deutschen Politik erklären, so Schröter. „Die Dinge, die wir wirklich tun könnten, um die Opposition zu stärken, werden im Moment nicht getan und das finde ich wirklich dramatisch“, sagt die Professorin.
Sie schlägt vor, die iranische Oberschicht, welche im Regime Macht ausübt, daran zu hindern, an westlichen Universitäten zu studieren. Im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wurde diese Maßnahme bereits ergriffen. Des Weiteren müssen die „federführenden Revolutionsgarden“, welche die stärkste Machtbasis des Regimes darstellen, auf die Terrorliste gesetzt werden, fordert Schröter. Während andere Staaten dies schon längst getan hätten, halte sich Deutschland eher zurück. Auch müsse über die Schließung des islamischen Zentrums in Hamburg – der Europazentrale der Mullahs – nachgedacht werden, sagt Schröter.
Das „Geisel-Problem“
Deutschland müsse eine klare Haltung zu Geiselnahmen beziehen, fordert Sharmahd. „Deutlicher kann eine Geiselnahme nicht sein und trotzdem wird nicht von einer Geisel gesprochen“, sagt sie und spricht von ihrem Vater, welcher über zwei Staatsgrenzen hinweg verschleppt worden ist. Für den Umgang mit Geiselnahmen gibt es bislang keinen wirksamen Lösungsansatz. Westliche Staaten machen sich erpressbar, wenn sie dem Druck des islamischen Regimes nachgeben und Gefangenenaustauschen oder anderen Vereinbarungen zustimmen.
Sharmahd sagt, dass es endlich eine internationale Organisation brauche, um das „Geisel-Problem“ angehen zu können. Daher kämpft sie für die Einführung einer „global task force for hostage taking“. Diese soll zu einer länderübergreifenden Bewältigung des Problems führen und so mit verschiedenen Mitteln Druck auf den Iran ausüben.
Mut und Stärke
Schröter zufolge sei es nicht der Westen, der das islamische Regime um seinen Machterhalt bangen ließe. Viel größer sei die Bedrohung, sollte der Konflikt mit Israel weiter außer Kontrolle geraten und der innerstaatliche Widerstand steigen. Dem stimmt auch Sharmahd zu. Es sei die Kraft des Volkes und der Aktivist*innen innerhalb und außerhalb des Iran, vor dem sich die Führung fürchte. „Das Volk hat nichts zu verlieren. Die haben keine Angst zu sterben!“
Sharmahd ist sich sicher, dass das Regime alles versuche, die Aufmerksamkeit weg von Protest und Widerstand innerhalb ihres eigenen Volkes zu lenken. Daher sollten westliche Medien umso genauer hinschauen, wenn es um die Revolution im Iran gehe. Und auch die Politik müsse immer wieder darauf aufmerksam gemacht werden, sich diesen Problemen anzunehmen, sagt Schröter. „Da sind Menschen, die werden gefangen genommen, werden gefoltert, werden hingerichtet, dass muss man sich immer wieder ins Bewusstsein rufen“, appelliert sie.
Ein wichtiges Signal setzte vor wenigen Wochen die UN-Untersuchungskommission zur Lage im Iran. Diese beschuldigt die iranische Regierung, bei der Unterdrückung der Proteste Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben. Der Bericht wurde während der 55. Sitzung des Menschenrechtsrates in Genf vorgestellt und stützt sich auf über 300 Seiten, hundert Zeugenaussagen und zahlreiche Dokumente. Hier erfahrt ihr mehr dazu.
Iran als Strippenzieher in Nahost?
Bei den Protesten im Iran spielt der Kampf um die Rechte der Frauen die zentrale Rolle. Der Widerstand richtet sich jedoch auch gegen die Investition der Staatsgelder. Statt der schlechten Wirtschaftslage entgegen zu wirken, fließen die Gelder in die massive Aufrüstung der iranischen Milizen und die finanzielle und militärische Unterstützung verschiedener Terrororganisationen, wie die Hisbollah, Hamas oder den Palästinensischen Islamischen Dschihad. Diese Proxy-Gruppen, deren Staatsziele die „Auslöschung Israels“ und die „Wiedereroberung Jerusalems“ sind, unterstützt der Iran mit Finanzen, Aufklärungsdaten, Waffen und Training. Hier erfahrt ihr mehr dazu.
Der direkte Angriff des Regimes auf Israel am 13. April folgte auf einen mutmaßlich israelischen Angriff am 2. April auf die iranischen Botschaft in Syrien, bei der zwei iranische Generäle starben. Während die iranischen Staatsmedien daraufhin Propagandavideos von feiernden Iraner*innen veröffentlichten, sieht die Realität anders aus.
Der Großteil der iranischen Bevölkerung spricht sich klar gegen den Angriff und die Feindschaft des Iran gegenüber Israel aus. Schon nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, habe die Opposition innerhalb der sozialen Netzwerke stark gegen die Involviertheit im Nahostkonflikt mobil gemacht und als Demonstration ihrer Gegnerschaft die israelische Flagge eingesetzt, erklärte Professorin Schröter. Wie sich die Lage entwickeln wird, hängt auch von der Reaktion des Irans auf den mutmaßlichen Vergeltungsschlag Israels am 19. April ab.
Eine Revolution könnte Vieles bewirken. „Das geopolitische und militärische Agieren des Iran hat wahnsinnige Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und auf die Situation in der gesamten Nahost-Region“, sagt Professorin Schröter. „Im Mittleren Osten wäre Frieden tatsächlich möglich.“ Solch eine Revolution würde international viele Probleme lösen und an allererster Stelle natürlich den Iraner*innen ihre lang ersehnte Freiheit geben.
Dieser Artikel ist im Rahmen der offenen Redaktion entstanden. Bei Fragen, Anregungen, Kritik und wenn ihr selbst mitmachen mögt, schreibt uns eine Mail an redaktion@jugendpresse.de