Verbale, körperliche und sexualisierte Gewalt sind für die freie Journalistin Kili Weber an der Tagesordnung. Unterstützung erhält sie dabei kaum – so wie viele andere Journalist*innen in Deutschland.
Ihre Wohnung verlässt Kili Weber nur, wenn es nicht anders geht. Zu groß ist die Gefahr, dass sie unterwegs angegriffen, beleidigt oder verfolgt wird. „Ich bin mittlerweile zu einem eigenen Feindbild in der Szene geworden“, sagt sie selbst. Kili Weber ist freie Journalistin und berichtet von rechten Demonstrationen in Leipzig und Umgebung, Angriffe sind für sie in ihrer Arbeit an der Tagesordnung. Auf Demonstrationen wird ihr Name von Neonazis in Sprechchören gerufen, privat erhält sie Gewalt-, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen – als weiblich gelesene Person zieht sie die Aufmerksam der Demonstrationsteilnehmer *innen besonders auf sich.
„Misogynie und Antifeminismus sind Kernelemente der rechten Ideologie“, sagt sie selbst. „Am Anfang war das krass, aber mittlerweile bin ich abgestumpft.“ Es sei für sie immer schwieriger, das Gefahrenpotential von Situationen einzuschätzen. Auch deswegen hat Kili Weber auf Demonstrationen immer Begleitschutz von der Zivilorganisation „Between the lines“. Die Begleitpersonen schützen Kili vor Angriffen, weisen sie auf gefährliche Situationen hin und sorgen dafür, dass sie ihre Berichterstattung fortsetzen kann.
Kili Weber ist damit nicht alleine. Für 2021 verzeichnet das Europäische Zentrum für Medien- und Pressefreiheit (ECPMF) 83 tätliche Angriffe gegen Journalist*innen – so viele wie nie zuvor. 75% der Angriffe fand laut den Forscher*innen im Rahmen von „Querdenken“-Demonstrationen statt, die Dunkelziffer der nicht gemeldeten Übergriffe ist aber um ein Vielfaches höher.
Die Vielzahl der Übergriffe bleibt ohne Anzeige
Dank ihres Begleitschutzes ist Kili Weber bisher bei ihrer Berichterstattung noch nicht ernsthaft verletzt worden. Hassrede ist für sie und andere Journalist*innen Teil des Arbeitsalltags geworden. „Viele Betroffene sitzen solche verbalen Angriffe einfach aus“, sagt Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der Technischen Universität Dortmund. Zwar könne Hassrede bisweilen als Straftatbestand angezeigt werden, etwa bei Beleidigungen oder Bedrohungen. Diesen Schritt gingen allerdings nur die wenigsten Betroffenen, da eine Anzeige nicht immer erfolgreich ist. Denn welche Äußerungen noch unter die Meinungsfreiheit fallen oder als bereits als strafbar gelten, ist in vielen Fällen eine Gratwanderung. Trotzdem empfiehlt Prof. Gostomzyk, Beweise zu sichern – auch, wenn es um körperliche Angriffe geht.
Werden Journalist*innen auf Demonstrationen körperlich angegangen, können sie bei der Polizei Schutz suchen oder die Beamt*innen auf eine ausufernde Situation aufmerksam machen. Aber auch das passiere laut Gostomzyk äußerst selten, denn: „Journalist*innen und die Polizei haben ein ambivalentes Verhältnis. Nicht umsonst hat der Presserat eigene Verhaltensgrundsätze für Polizei und Medien formuliert.“ Diese Einschätzung deckt sich auch mit den Erfahrungen von Kili Weber. Vor allem auf Demonstrationen in großen Städten ermögliche die Polizei ihr die Ausübung ihrer Arbeit. In kleineren Orten sei es aber schon oft vorgekommen, dass Polizist*innen gefährliche Situationen heruntergespielt, unbegründete Kontrollen durchgeführt oder Kili und ihren Begleitschutz eingeschüchtert hätten.
Sicherheitsnetze statt freiwilliger Schutzkonzepte
Mit der Berichterstattung aufzuhören, ist für sie aber keine Option: „Jemand muss darüber berichten. Ich kann nicht aufhören, ich muss weitermachen.“ Ihr ist wichtig, durch ihre Arbeit genau zu dokumentieren, was auf den Demonstrationen vor sich geht: „Wenn man nicht weiß, wer da läuft, könnte man denken, dass es nur „besorgte Bürger*innen“ sind. Dass das organisierte Nazis sind, muss gesehen werden.“
Doch verbale, körperliche und sexualisierte Gewalt belasten sie – um das Erlebte aufzuarbeiten, nimmt sie deswegen psychologische Hilfe in Anspruch. In rechtlichen Fragen wird Kili von einer Anwältin der Opferberatung des RAA Sachsen e.V. beraten, ansonsten ist sie auf sich alleine gestellt. Anders als bei fest angestellten Journalist*innen, die in juristischer Hinsicht von ihrem Medienhaus unterstützt werden.
Um freie Journalist*innen wie Kili Weber in ihrer Arbeit besser zu unterstützen, braucht es laut Medienrechtler Tobias Gostomzyk im Kern weniger Verbesserungen im Gesetzestext, sondern vor allem übergreifende und unabhängige Hilfsangebote für Journalist*innen: „Was helfen würde, sind konkrete Ansprechpartner*innen; Jurist*innen, Psycholog*innen oder Hotlines für die Betreuung nach Angriffen.“ Die Nachschärfung von Gesetzen schaffe noch kein Sicherheitsnetz.
Seit 2022 gibt es zwar einen Schutzkodex für Journalist*innen, der unter anderem von Reporter ohne Grenzen und der dju (Deutsche Journalistinnen und Journalisten-Union) initiiert wurde. Für Medienhäuser ist dieser Kodex allerdings generell nicht verpflichtend und auch freie Journalist*innen werden nicht miteinbezogen. „Was unsere Sicherheit angeht, stehen wir Freie komplett alleine da“, sagt Kili Weber. Auch für Tobias Gostomzyk ist das nur schwer nachvollziehbar: „Alle Journalist*innen berichten, alle haben das gleiche Interesse von Sicherheit. Ob und wie für die Sicherheit von Journalist*innen gesorgt wird, sollte nicht nur von dem jeweiligen Medienhaus abhängig sein.“