Auf dem diesjährigen BDEW-Kongress wurden klima- und energiepolitische Entscheidungen diskutiert. Wie sollte die Energielobby ihren Einfluss auf die Politik nutzen und werden dabei auch junge Stimmen gehört? politikorange war auf Stimmenfang.
„Die sichere Existenz der Menschheit steht auf dem Spiel.” – Zu diesem Ergebnis kommt der diesjährige IPCC Bericht, der die Auswirkungen des Klimawandels untersucht. Von der zunehmenden Erderwärmung werden die jüngeren und nachfolgenden Generationen deutlich stärker betroffen sein. Viele junge Menschen machen sich daher große Sorgen um die Zukunft. So ging auch aus der 18. Shell Jugendstudie hervor, dass Umweltverschmutzung und Klimawandel zu den Hauptproblemen zählen, die Jugendlichen Angst machen. Gleichzeitig werden die klima- und energiepolitischen Entscheidungen vornehmlich von älteren Menschen getroffen. Klimaschutz ist also auch eine Frage der Generationengerechtigkeit. Im Vorfeld der letzten Bundestagswahl appellierten daher viele: Wählt im Sinne eurer Kinder und Enkelkinder.
Dass nun schnell gehandelt werden muss, um die Erderwärmung einzudämmen, scheint ein gemeinsames Verständnis von Politik und Energiewirtschaft zu sein, wie auf dem diesjährigen Kongress des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) immer wieder betont wird. Schließlich war der Energiesektor im Jahr 2020 laut Umweltbundesamt für über 80 Prozent der menschengemachten Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Der Einfluss der Energielobby
Der BDEW ist der größte Lobbyverband der Branche. Auf dem Kongress treffen hochrangige Vertreter*innen der Energie- und Wasserwirtschaft auf politische Entscheidungsträger*innen, um gemeinsame Zielsetzungen, Innovationen und Möglichkeiten zu diskutieren. Der Einfluss der Energielobby auf die Energie- und Klimapolitik ist dabei nicht zu unterschätzen. Bundeskanzler Olaf Scholz war selbst zu Gast auf dem Kongress, um zur Energiepolitik der Bundesregierung zu sprechen. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck schenkte vor einem vollbesetzten Kongresssaal den Forderungen der Branche Gehör.
Die Sprecherin von Fridays for Future, Carla Reemtsma, sieht dieses innige Verhältnis kritisch: „Die Energiewirtschaft, die einen unglaublich relevanten Anteil an Emissionen ausmacht, sollte nicht diese Form von Einfluss auf politische Entscheidungen haben. Das ist per se antidemokratisch, denn dann entscheiden plötzlich nicht mehr die Wählerstimmen, sondern Unternehmen über die energiepolitische Gegenwart und Zukunft.”
Graue Herren in der Überzahl
Sieht man sich auf dem Kongress um, zeichnet sich ein weitgehend uniformes Bild. Man gewinnt den Eindruck, der typische Energiemanager sei weiß, männlich und über 50. Das nimmt auch Kerstin Andreae wahr, die als weibliche Spitze der BDEW Geschäftsführung eine Ausnahme ist: „Die Branche ist aktuell noch sehr männlich.”
Die Repräsentation von Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft wird regelmäßig von der Allbright Stiftung untersucht, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für mehr Diversität in wirtschaftlichen Führungspositionen einsetzt. Die im Oktober 2021 veröffentlichte Allbright-Studie stellte fest, dass die Vorstandsmitglieder in Börsenunternehmen1 zu 87 Prozent männlich, zu 75 Prozent deutsch und zu einem überwiegenden Anteil vor 1968 geboren sind. Auch zwei der größten Energieunternehmen, die auf dem BDEW-Kongress vertreten waren, machen in Sachen Gleichstellung keine gute Figur: Der Vorstand von RWE ist zu 33 Prozent mit Frauen besetzt, der von Eon nur zu 20 Prozent.
1 Die Allbright-Studie informiert über die Vorstände und Aufsichtsräte der zum 1. September 2021 im DAX30, MDAX und SDAX notierten Unternehmen.
Geschätztes Durchschnittsalter: Mitte 50
Von hinten betrachtet gehen bei vielen Kongressteilnehmenden die Farben der Anzüge in die grau schattierten Haartöne über. Als wir Kerstin Andreae darauf ansprechen, schätzt auch sie das Durchschnittsalter auf Mitte 50. Es sei wohl angedacht gewesen, auch die junge Generation auf dem Kongress sprechen zu lassen, so Andreae. Diesmal habe es nicht geklappt, „aber nächstes Jahr”, beteuert sie.
Fridays for Future-Sprecherin Carla Reemtsma konnte sich bislang kein eigenes Bild vom BDEW-Kongress machen. Generell zweifelt sie jedoch an, dass die Perspektiven der klima-aktivistischen Jugend auf dem BDEW-Kongress und ähnlichen Veranstaltungen genügend, wenn überhaupt, zur Sprache kommen: „Wir erleben, dass junge Menschen oft auf irgendwelche Jugendkonferenzen abgeschoben werden, dass sie in politischen Räumen nicht ernst genommen und nur eingeladen werden, damit sich die Veranstaltenden damit schmücken können.”
Selbstwahrnehmung der Branche
Zwei, die zumindest optisch dem Bild der grauen Herren entsprechen, sind bereit für ein Gespräch. Einer von ihnen heißt Arnd Hasenfuss, Jahrgang 64. Er ist hier als Vertreter von Accenture, einer der weltweit größten Unternehmensberatungen. Er findet, der Frauenanteil in der Branche habe sich in den letzten Jahren deutlich erhöht, aber: „Diversität ist hier nicht die Hauptstoßrichtung”. Ob er ein Stück weit auch hier ist, um für seine 17-jährige Tochter etwas in Richtung Energie- und Klimapolitik zu bewegen? „Nein, die ist selbst aktiv, da muss ich für meine Tochter nichts bewegen.”
Der andere Herr heißt Oliver Strozyk, er ist 49 – also noch unter 50, wie er betont – und arbeitet bei MSU solutions GmbH, einem Unternehmen das Branchensoftware für die Energie- und Wasserwirtschaft entwickelt. Er teilt die Auffassung nicht, dass die Branche hauptsächlich von alten Männern dominiert werde und nimmt die mangelnde Diversität somit auch nicht als Problem wahr. Der Kongress hier sei schließlich nur eine Momentaufnahme, meint er, die „normalen Mitarbeitenden”, die zum Beispiel in Stadtwerken arbeiten, seien durchschnittlich weit unter 50.
Er, Ü50, sucht junge Fachkräfte
Die Branche ist dringend auf Nachwuchs angewiesen, wie auf dem Kongress immer wieder betont wird. Die vom BDEW organisierte „Nachwuchsinitiative“ soll helfen, Arbeitgeber*innen und junge, qualifizierte Arbeitnehmer*innen vor Ort zu vernetzen. In diesem Rahmen wird ausgewählten Studierenden und jungen Berufstätigen die Teilnahme auf dem Kongress finanziert.
Eine von ihnen ist die 25-jährige Sophie Jacobs, sie studiert Maschinenbau und Wirtschaftswissenschaften. Als junge Frau in der Minderheit zu sein, kennt sie bereits von ihrem Maschinenbaustudium. Dem Kongress rechnet sie dennoch an: „Man hat sich ja bemüht, dass in den Plenumsdiskussionen meistens mindestens eine Frau dabei saß.” Mit Blick auf das Programm zeigt sich: für die Mehrheit der Programmpunkte trifft das zu, in 16 der knapp 40 verschiedenen Vorträge und Diskussionsrunden kam jedoch keine Frau zu Wort.
Jacobs Interesse an dem Kongress ist von einer klaren Motivation geleitet: „Ich will natürlich in die Energiewirtschaft gehen, um erneuerbare Energien voranzutreiben. Denn das ist das zukunftsträchtige Thema, um das sich alle hier kümmern sollten.” Einige der Diskussionen, die auf dem Kongress stattfanden, betrachtet Jacobs jedoch kritisch: „Das ging ein bisschen in Richtung Greenwashing. Auch die Chefs von großen Unternehmen, die bekanntlich noch sehr viel mit Kohlekraftwerken arbeiten, präsentieren sich dann so, als wären sie super klimafreundlich und würden alles in ihrer Macht stehende tun.”
Alexander Schwade ist 25 Jahre alt und als „Young Professional“, also als Nachwuchskraft auf dem Kongress. Das Ticket, das für den Nachwuchs zu Sonderkonditionen 950 Euro kostet (der reguläre Teilnahmebeitrag beläuft sich auf knapp 3.000 Euro), wurde ihm von seinem Arbeitgeber gesponsert, der GASAG. Auch ihm fällt auf: „Verschiedene Gesellschaftsgruppen sind wahrscheinlich nicht repräsentiert. Das ist wirklich nur die Energie- und Wasserwirtschaft, die sich intern trifft, also ein geschlossener Bereich.” Er hat jedoch den Eindruck, es werde bewusst versucht, junge Leute an die Branche heranzuführen.
Ähnlich wie Sophie Jacobs möchte auch er einen Beitrag zur Energiewende leisten. „Dass man eine Zeitenwende anstoßen muss, hat hier auch die ältere Generation verstanden und die Branche hat sich das Klima-Thema auf die Fahne geschrieben”, so der Eindruck von Schwade.
Auf dem Kongress wird fast schon wie ein Mantra immer wieder bekundet, die Energiewirtschaft habe sich der Energiewende mit dem Klimaschutz als übergeordnetes Ziel verschrieben und werde Hand in Hand mit der Politik den Pfad zur Klimaneutralität beschreiten. An mancher Stelle tun sich jedoch Zweifel auf, ob diesem Versprechen auch konsequente Taten folgen werden – und in einem Punkt sind sich alle einig, die ihre Stimme von politikorange einfangen ließen: Klima-Aktivismus braucht es trotzdem.