24,1 Prozent – Ein katastrophales Ergebnis für die Union. Was sind die Konsequenzen für Armin Laschet, die Partei und die nächste Regierung? Eine Einschätzung von Fynn Dresler.
Es ist 18:57 Uhr, als Armin Laschet vor die Kameras im Konrad-Adenauer-Haus tritt und vor versammelter Parteispitze den Regierungsauftrag der Union verkündet. Damit gibt er den Startschuss in einen hitzigen Wahlabend. Denn auch Olaf Scholz betont mit dem Wahlsieg im Rücken seinen Anspruch auf das Kanzleramt. Mit einem Vorsprung von 1,6 Prozentpunkten gegenüber der Union ist der Sieg am Ende denkbar knapp, was es den Politiker*innen der Union leicht macht, in den folgenden Stunden gleichsam den Regierungswillen zu betonen. Dabei versuchen Laschet, Söder und Co. mit dem Verweis auf den fehlenden Kanzler*innenbonus und die Aufholjagd gegenüber den Umfragen über den überdeutlichen Verlust von 8,8 Prozentpunkten hinwegzutäuschen. Ein Stimmenverlust gegenüber 2017, der endgültig auch der Union den Status als Volkspartei aberkennt.
Fabian Beine von der Jungen Union bezeichnet dieses Ergebnis nur als „einen schwarzen Tag in der Geschichte der Schwarzen.“ Seine Bilanz macht deutlich, was manch anderer noch nicht wahrhaben will: Die Union ist große Verliererin dieser Wahl. Damit bleibt nicht nur die Kanzler*innenfrage auch in den Tagen nach der Wahl noch offen, sondern auch die Zukunft des Kanzlerkandidaten und CDU-Vorsitzenden Armin Laschet.
Die Causa Laschet
Wenn es am Ende nicht fürs Kanzler*innenamt reicht, muss Armin Laschet diese deutliche Niederlage anerkennen und sich gegenüber der eigenen Partei und Basis rechtfertigen. Der Kanzlerkandidat der Union startete mit dem erklärten Ziel in den Wahlkampf, die nächste Regierung anzuführen. Mit der Zweitplatzierung der Union ist dies nicht unmöglich, aber eben auch nicht selbstverständlich. Niedrige Beliebtheitswerte, Wahlkampfpannen und die Forderung nach Aufarbeitung führen spätestens mit dem Ende des Wahlkampfs dazu, dass Funktionär*innen der Union ihr Urteil zur Zukunft ihres Parteivorsitzenden bereits gefällt haben.
So fordert etwa sein Parteikollege und einstiger Teampartner Jens Spahn angesichts der Niederlage einen Generationenwechsel. Norbert Röttgen macht deutlich: „So, wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben.“ Fraktionsvize Gitta Connemann fordert unter anderem personelle Konsequenzen. Auch die Schwesterpartei CSU hält die schlechte Stimmung nicht zurück: Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, führt die deutlichen Verluste laut Informationen der WELT auf den Kurs, die Kampagne und den Kandidaten zurück. Damit steigt der Druck auf Laschet, was auch seine Sturheit im Regierungsanspruch erklärt: Nur als Kanzler in einer unionsgeführten Jamaika-Koalition hätte Laschet auch persönlich das Schlimmste abgewendet und könnte sich trotz Stimmenverlust als Gewinner inszenieren.
Der Kampf um den Fraktionsvorsitz
Geht die Union in die Opposition, bedeutet dies neben der Niederlage außerdem einen nie da gewesenen Mangel an Ämtern, der den bereits existierenden Machtkampf um einiges verschärfen würde. Denn: Selbst im Wahlkampf ist Markus Söder nicht müde geworden, Werbung für sich zu machen und auf die Fehler des gemeinsamen Kanzlerkandidaten hinzuweisen. Auch Friedrich Merz könnte mit seinem Rückhalt an der Basis als Person der Erneuerung dastehen und auf ein Amt drängen.
In der Opposition wäre das einzig aussichtsreiche Amt der Fraktionsvorsitz, den bisher Ralph Brinkhaus bekleidet. Dieser wurde am Dienstagabend bis Ende April im Amt bestätigt, womit der erste Machtkampf in der Union weder deutlich Laschets Forderungen widerspricht noch ein eindeutiges Bekenntnis zu seiner Person darstellt. Vielmehr soll der von Söder und Laschet eingefädelte Kompromiss ein Zeichen der Geschlossenheit der Union liefern.
Das Veto ist Grün-Gelb
Die Zukunft Armin Laschets hängt also ab von der nächsten Regierungskoalition. Und damit liegt die Entscheidung – anders als Laschet am Wahlabend suggerierte – zunächst einmal bei den möglichen Koalitionspartner*innen: Den Grünen und der FDP.
Eins ist für nahezu alle Beteiligten klar: Eine neue große Koalition wird es nicht geben. Damit ist die Koalitionsbildung eine Entweder-Oder-Frage zwischen Jamaika und Ampel, wie auch Fabian Beine von der Jungen Union betont: „Wir wollen keine neue Große Koalition und eine Juniorpartnerschaft der Union kommt für mich nicht infrage.“
Auch Dr. Benjamin Höhne, Stellvertretender Leiter des Instituts für Parlamentarismusforschung, sieht in der Großen Koalition nicht mehr als ein Druckmittel gegenüber Forderungen von den Grünen und der FDP. Sollten diese zu weit reichen, können SPD und Union immer noch mit der unliebsamen Alternative zu Bescheidenheit mahnen. Obwohl die programmatischen Schnittmengen für das Bündnis weiterhin gegeben sind, hatte zuletzt keiner der Akteur*innen Werbung beim bisherigen Koalitionspartner gemacht. Dafür spricht auch die große Unbeliebtheit der Großen Koalition in der Bevölkerung und die zuletzt viel betonte Wechselstimmung.
Damit bleiben zwei Optionen mit weitreichenden Folgen für die Zukunft: Entweder Jamaika oder Ampel, entweder Laschet oder Scholz, entweder Sieg oder Niederlage. Sowohl für Jamaika als auch für ein Ampelbündnis sind die Grünen und die FDP offen. Entscheidend werden am Ende die Zugeständnisse und der Rückhalt für die Koalition unter den Wähler*innen.
Laut Dr. Benjamin Höhne sind die inhaltlichen Differenzen der Grünen in ihrem Kernthema Klimaschutz bei SPD und Union vergleichbar. Bei der FDP bieten vor allem die geplanten Steuerentlastungen Konfliktpotenzial. Die Sondierungsgespräche, besonders die Vorgespräche zwischen den Grünen und der FDP, werden zeigen, wer wo zu Zugeständnissen bereit ist. Anders als bei den letzten Koalitionsverhandlungen ist diesmal jedoch die Bereitschaft aller Beteiligten fürs Regieren besonders groß. Auch der Druck aus der Bevölkerung für einen Wandel und gegen eine Neuauflage der Großen Koalition erhöht die Erfolgschancen.
Für ein Bündnis aus SPD, den Grünen und FDP spricht, dass es eine Koalition der Wahlgewinner*innen wäre. Die logische Konsequenz aus dem Wahlsieg der SPD ist die Regierungsbildung und auch der herbe Verlust der Union spricht gegen eine erneute Beteiligung. Für die Grünen ist die Unterstützung für eine Ampel-Koalition in der Partei im Vergleich zur Jamaika-Koalition mehr als doppelt so hoch und auch für die FDP bietet eine Koalition mit SPD und Grünen Möglichkeiten. Neben Rot-Grün könnte sich die FDP programmatisch abgrenzen und als bürgerlichen Gegenpol profilieren.
Ein Problem für die Union, die langfristig Wähler*innen an die FDP verlieren könnte. Auch wäre ungewiss, wie und wer die neue Rolle der Union als Oppositionspartei ausfüllen könnte. Ein gewagter Schritt, der viele personelle und strategische Fragen aufwirft, jedoch angesichts der Wahlergebnisse immer schwerer abzuwenden sein wird. Demnach naheliegend für die Union: Weiter auf ein Jamaika-Bündnis setzen und auf unüberwindbare inhaltliche Differenzen der Ampel-Koalition hoffen. Das Desaster der Union wäre in letzter Sekunde abgewendet und auch Laschet wäre als Kanzler haltbar – zumindest für den Moment.