Corona- und Klimakrise sind zwei Krisen, die aktueller nicht sein könnten. Es ist also erst einmal sehr naheliegend, dass sie verglichen werden. Aber wie sinnvoll ist das? Lisa-Marie Fritsche hat sich diese Frage gestellt.
Die Forderung
„Fight every crisis“ (Bekämpf jede Krise) – unter diesem Motto protestiert die „Fridays for Future“-Bewegung, seit das Coronavirus unseren Alltag beeinträchtigt. Die Aktivist*innen möchten nicht, dass die Klimakrise in Zeiten von Corona in den Hintergrund tritt. Was mitschwingt, ist die Erbitterung über die Unterschiede im Tempo, mit dem die Krisen jeweils bekämpft werden. Der Umgang mit Corona beweise schließlich, „dass es anders gehen kann“, sagte Luisa Neubauer Mitte März in einem Gespräch mit der FAZ. Sie ist die Anführerin der „Fridays for Future“-Bewegung in Deutschland. „Würden wir die Klimakrise halb so ernst nehmen wie die Coronakrise, wäre uns geholfen,“, erklärt sie. Als der Lockdown begann, waren Flugzeuge am Boden, das Home-Office wurde zum Standard-Arbeitsplatz und das öffentliche Leben wurde weitgehend heruntergefahren. Für viele Klima-Aktivist*innen ist das ein Zeichen dafür, dass Veränderungen eben doch möglich sind – wenn die Politik sie möchte.
Der Vergleich
Dass die Krisen verglichen werden, ist naheliegend. Ein Vergleich dient dem Menschen als Verständnishilfe. Die jungen Aktivisti*nnen nutzten ihn beispielsweise, um ihre Forderungen zu begründen. Auch Wissenschaftler*innen vergleichen in ihren Forschungen gern. Phänomene, die sich ähneln, lassen sich gut vergleichen – aber es ist auch möglich, sehr unähnliche Dinge zu vergleichen. Es gilt immer eine Grundidee: Der Vergleich muss richtig zugeschnitten sein. Das Vergleichs-Prinzip ist also nicht: „Man soll Äpfel nicht mit Birnen vergleichen“. Nein, es muss umgedacht werden: „Sogar Äpfel und Birnen können verglichen werden, wenn man sich zum Beispiel ihren Vitamingehalt anschaut“. Diese Idee muss nun auf Corona- und Klimakrise übertragen werden.
Die Gemeinsamkeiten
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung hat sich daran versucht. Dort wurde erst kürzlich eine Studie veröffentlicht, in der Corona- und Klimakrise verglichen werden. „Die strukturellen Ähnlichkeiten beider Krisen sind auffällig“, stellt die Hauptautorin Kira Vinke gegenüber der Berliner Zeitung heraus. Kennzeichnend seien in beiden Fällen vor allem die Begünstigungen der Krisen durch das Eingreifen des Menschen in die Natur. Beide Krisen hätten globale Auswirkungen und würden die Schattenseite der globalisierten Welt zum Vorschein bringen.
Vinke findet, dass man aufgrund der Gemeinsamkeiten der Krisen aus der Coronakrise und für die Klimakrise lernen sollte. Zum Beispiel sei es wichtig, auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu hören und rechtzeitig zu handeln. Außerdem betont sie, dass globale Krisen auch über Grenzen hinweg angegangen werden müssten. Jede*r Einzelne müsse Verantwortung übernehmen, denn alle säßen im gleichen Boot.
Die Unterschiede
Zu einem etwas anderen Schluss kommt Prof. Dr. Stefan C. Aykut. „Corona- und Klimakrise sind zuerst einmal schwer vergleichbar“, meint der Professor für Soziologie an der Uni Hamburg. Bei Corona könne man anhand der Infektionszahlen sofort erkennen, wo Maßnahmen ergriffen wurden. Die Folgen des Umgangs mit der Klimakrise würden hingegen erst in der Zukunft sichtbar. Dann sei es bereits zu spät, noch etwas an der Situation zu ändern. Laut Aykut ist auch das einer der Gründe dafür, dass viele Menschen die Klimakrise noch immer als sehr abstrakt wahrnehmen. Anders ist es beim Coronavirus. Das wird laut Aykut als unmittelbare Gefahr wahrgenommen.
Einen anderen Grund zeigt das Ranking der University of Notre Dame. Danach leiden vor allem wirtschaftsschwächere Länder wie Tschad oder Somalia in der Sahelzone unter dem Klimawandel. Sie verzeichnen geographisch bedingt bereits einen größeren Temperaturanstieg als der Globale Norden und erleben dadurch Dürren. Darüber hinaus haben sie weniger finanzielle Mittel zur Verfügung, um gegen die drohende Nahrungsknappheit vorzugehen. Prof. Aykut sieht darin einen weiteren, strukturellen Unterschied der Krisen. Es zeige, dass für die Klimakrise nicht unbedingt ihre wirtschaftsstarken Hauptverursacher*innen geradestehen müssen. Vor Corona bleiben aber auch wirtschaftsstärkere Länder nicht verschont, wenn sie keine Maßnahmen ergreifen.
Die Schlussfolgerung
Das Problem ist nicht der Vergleich selbst, sondern wie die Vergleichenden mit ihm umgehen. Denn um strukturelle Gemeinsamkeiten oder Unterschiede festzustellen, kommen sie um den Vergleich nicht herum. Wissenschaftler*innen finden beides – wie sie das Ganze im Anschluss bewerten, ist eine Frage der persönlichen Perspektive.
Wichtig bleibt in jedem Fall eines: Durch einen solchen Krisenvergleich sollten keine unbedachten Analogien erschaffen werden. Wenn Klima-Aktivist*innen wie Neubauer die Krisen vergleichen, sollte es also nicht so wirken, als könne die Pandemie als Maßnahme für den Klimaschutz verstanden werden. Die niedrigen CO2-Emissionen zu Beginn des Lockdowns, betitelt als „Corona-Effekt“, waren schließlich nur von kurzer Dauer. Diese Analogien zwischen den Krisen können zudem länger anhaltende negative Assoziationen hervorrufen. Dann bestünde das Risiko, dass klimafreundliche Entwicklungen wie niedrigere Emissionen dauerhaft mit Corona verknüpft würden. Wenn Klimaschutz gesellschaftlich getragen werden soll, müssen unpassende Analogien also vermieden werden. Vergleichen kann man also schon, aber eben nur mit Augenmaß.