To Be or Not to Be – Jugendliche stellen Teilhabe in Frage

Scheinpartizipation. Dieses Wort schwebte für viele Jugendliche über dem Termin zur Vorstellung der Jugendstrategie der Bundesregierung im Bundeskanzleramt. Sie fühlen sich durch das Papier kaum wahrgenommen, fürchten Schwierigkeiten bei der Umsetzung und eine Instrumentalisierung durch die Politik. Leander Löwe kommentiert.

Politik für die Jugend: Wie viel durften junge Menschen bei der Jugendstrategie wirklich mitreden?                                Foto: Sascha Kemper

 

Junge Menschen stärker an der Bundespolitik zu beteiligen ist eines der Ziele des Koalitionsvertrages. Dort heißt es:

„Die Teilhabe von jungen Menschen wollen wir auf allen Ebenen stärken und weitere Beteiligungsformate unterstützen. Wir wollen Jugendliche für Politik begeistern und die Akzeptanz unserer Demokratie stärken.“

Doch es gibt verschiedene Punkte, die daran zweifeln lassen, dass die Bundesregierung es wirklich ernst meint mit der versprochenen Beteiligung von Jugendlichen an der Bundespolitik.

Ein erster Streitpunkt ist die direkte Einbindung in Entscheidungsfragen. Denn auch wenn jugendliche Forderungen abgefragt und in der Erarbeitung der Jugendstrategie mit einbezogen worden sind, werden die jungen Menschen in keinem Fall direkt an Entscheidungen beteiligt. Und das, obwohl dies eine klare Forderung der JugendPolitikTage war.

Allein die Zusammensetzung der unterschiedlichen Arbeitsgruppen im Rahmen der #JPT19 sehen die Jugendlichen kritisch. Beim genauerer Betrachtung war die Vielfalt trotz aller Bemühungen noch begrenzt und bleibt ausbaufähig. Sowohl bei der Erarbeitung als auch bei der Vorstellung der Jugendstrategie waren kaum junge Menschen anwesend, die kein Hochschulstudium absolvierten oder einer Minderheit angehörten. So berichtet eine Teilnehmerin.

Verwunderlich ist auch die Intransparenz der Entstehungsprozesse der Jugendstrategie. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend dementiert sie: von einem „offenen Dialogprozess“ ist dort die Rede. Doch stellt sich direkt bei Aushändigung des druckfrischen Strategiepapiers eine Reihe von Fragen, deren Antworten nicht wirklich zufriedenstellend sind: Wie genau sind eigentlich die neun kunterbunt designten Handlungsfelder entstanden?

Laut Strategie wurde für die Handlungsfelder

„jeweils aus der Perspektive der Lebenswelt junger Menschen eine Analyse der Ausgangslage durchgeführt und entsprechende Handlungsbedarfe identifiziert, die im weiteren Verlauf der Jugendstrategie mit konkreten Maßnahmen angegangen werden“.

Aber wie sollen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundesjugendministerium in die Perspektive der Lebenswelt junger Menschen versetzt haben, wenn sie sich selbst in einer anderen Lebenssituation befinden? Woher soll am Ende die Gewissheit stammen, dass die externe Analyse tatsächlich eine Repräsentation der jugendlichen Wünsche impliziert? Und – eine Grundsatzfrage – warum wird bei der Wiedergabe von jugendlichen Forderungen überhaupt durch das Ministerium gefiltert?

Es bleibt das Gefühl, dass die Bundesregierung eine Strategie vorstellt, die Probleme zwar grob analysiert, aber nicht anpackt. Dieses Gefühl ist in Anbetracht der Präsentation der Strategie durchaus berechtigt. Bei der hat die Bundesregierung offensichtlich versucht, eine Strategie nur durch das Einladen von 150 Jugendlichen zu legitimieren und verifizieren, ohne sie die Strategie zuvor lesen zu lassen.
Dabei sollten mehrere Gefahren ausgeblendet werden: Zunächst die, dass Anliegen der Jugendlichen tatsächlich nicht ausreichend repräsentiert sein könnten. Weiter aber auch Probleme bei der Realisierbarkeit, der zum Teil sehr schwach formulierten Forderungen.

Zu jedem Handlungsfeld zählt das Papier nach den Forderungen auch „Maßnahmen“ auf. Selten sind diese aber ausreichend spezifiziert. Ein Beispiel dafür: der Freiwilligendienst „naturweit“. Dieser wird vom Träger „kulturweit“ als ergänzende Bildungsmaßnahme verstanden, die Lernprozesse anstoßen und Perspektiven verändern soll. In der Strategie wird er allerdings als Umweltmaßnahme präsentiert. Die Freiwilligen nehmen dafür Langstreckenflüge auf sich, leisten vor Ort aber keine nachhaltige Entwicklungsarbeit für den Umweltschutz. Das wird in der Strategie den Hintergrund gerückt. Die Maßnahme geht also deutlich an der scharfen Forderung der Jugendlichen vorbei, die vorrangig einen Ausbau der Bildung innerhalb von Institutionen wie Schule oder Hochschule sowie umweltpolitisches Handeln von wirtschaftlichen Akteurinnen und Akteuren fordert.

Eine Stimme des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sagte dazu bei einer Abendveranstaltung am Vorabend der Strategievorstellung: „Es war auch schon bei den JugendPolitikTagen allen klar: Nicht alles, was dort gesagt wird, wird eins zu eins umgesetzt.“ Streng genommen ist diese Aussage zwar zutreffend, damit abspeisen lassen sich die Teilnehmenden aber nicht. Sie haben sich deutlich mehr Ernsthaftigkeit bei der Behandlung ihrer Anliegen und deren Umsetzung erhofft. „Wann geht’s denn jetzt mal konkret los? Wann werden unsere Forderungen angegangen?“, ärgerte sich eine Teilnehmerin im Vorfeld. Auch in einem im Nachgang veröffentlichten Statement einiger der eingeladenen jungen Menschen wird die Kritik deutlich:

„Entgegen der Pressemitteilung der Bundesregierung können wir die Jugendstrategie derzeit noch nicht inhaltlich unterstützen oder gar bewerten, da wir, trotz einer Einführungsveranstaltung, noch keine Möglichkeit hatten, dieses, letztlich 150 Seiten lange Papier, zu lesen. Wir möchten unseren deutlichen Unmut über den Prozess der Präsentation Ausdruck verleihen“,

heißt es dort. Am Ende steht eines fest: In der Zukunft müssen die Politiker oft an die Maßnahmen und Forderungen erinnert und zur Verantwortung für die vielen Versprechen gezogen werden, die mit der Präsentation der Strategie und ihrer Verabschiedung im Kabinett Anfang Dezember gemacht wurden. Denn eine gerechte Teilhabe junger Menschen ist noch lange nicht in Sicht.

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