Am 23. Mai 2016 stimmten 52 Prozent der Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreiches für den Brexit. Am 29. März 2019 sollte er in Kraft treten. Doch fast drei Jahre nach dem Referendum sind die Britinnen und Briten immer noch Mitglied der Europäischen Union. In drei Wochen steht die Europawahl an und Großbritannien ist rechtlich zu einer Teilnahme verpflichtet. Politikorange-Redakteurin Marieke Arendt geht der Frage nach, welche Auswirkungen die britische Teilnahme an der Europawahl 2019 auf den Brexit haben könnte.
Eine Chance auf ein zweites Referendum
Brexit-Gegnerinnen und Gegner sehen in der kommenden Europawahl eine Chance und hoffen auf ein zweites Referendum. Unter ihnen befinden sich proeuropäische Parteien wie die neu gegründete „Change UK – The Independent Group“, die sich für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU einsetzt. Auch das Stimmungsbild in der britischen Bevölkerung zum Brexit hat sich verändert. Laut einer Umfrage des britischen Meinungsforschungsinstituts YouGov, würden sich heute 46 Prozent gegen den Brexit entscheiden. Nur 39 Prozent würden sich für einen Austritt aussprechen und könnten sich daher bei einem Volksentscheid, aufgrund des Mehrheitswahlrechtes, nicht behaupten.
In Großbritannien bereitet man sich nun auf die Europawahlen vor. Christos Katsioulis, Leiter des Landesbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung in London, geht davon aus, dass viele Britinnen und Briten von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen werden: „Ich glaube wir werden eine paradoxe Situation haben, wobei die Wahlbeteiligung in Großbritannien höher sein wird als im Rest der EU. Viele Britinnen und Briten werden durch diese Wahlen die Chance erhalten, sich zum Brexit zu äußern.“
Doch kann die Europawahl den Brexit wirklich stoppen? Bislang zeigte die britische Regierung wenig Bereitschaft, ihren Kurs zu ändern. Außerdem ist weiterhin unklar, wie der Brexit aussehen wird. Mit dem zunehmenden Stimmungswandel wird die Spaltung des Landes in Bezug auf den EU-Ausstieg deutlich. Die Europawahl könnte Klarheit schaffen. Sie könnte die Bürgerinnen und Bürger erneut auf die Vorteile der Europäischen Union aufmerksam machen. Dadurch würde sich das Stimmungsbild mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter in Richtung Brexit-Stopp verschieben. Auch Sven Giegold, Spitzenkandidat der Grünen für die Europawahlen, hofft, dass durch die Wahlen „eine positive Dynamik weg vom Brexit entsteht“, wie er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk erzählt. Er rechnet damit, dass eine Teilnahme Großbritanniens zu einer „Mobilisierung der Pro-Europäer auf der Insel“ führe.
Brexit als Unruhestifter im Europäischen Parlament
Kritikerinnen und Kritiker hingegen meinen, dass die britische Teilnahme an den Wahlen ein Hindernis darstellt und das Funktionieren des Europäischen Parlaments stark beeinträchtigen könnte. Sollte Großbritannien bis zum 22. Mai nicht aus der EU austreten, muss das Vereinigte Königreich an der Europawahl teilnehmen. Dies belegt ein Rechtsgutachten des Europäischen Parlamentes: „Sollte das Vereinigte Königreich in der Zeit der Europawahlen noch Mitglied der EU sein, hätte es die Pflicht, Wahlen abzuhalten, um vor der Einsetzung des Parlaments Abgeordnete zu bestimmen.“ Eine Beteiligung an der Wahl würde auch bedeuten, dass die 73 freien Sitze im EU- Parlament nun doch an die Briten gehen. Eigentlich war eine Aufteilung der Mandate auf bisher unterrepräsentierte Länder, wie zum Beispiel Spanien vorgesehen. Folglich könnte sich der erneute Kurswechsel erheblich auf spätere Parlamentsabstimmungen auswirken.
Brexit-Befürworter Nigel Farage erhofft sich von der Europawahl ein großes Comeback. Der Gründer der neuen Brexit-Partei hatte schon bei den letzten Wahlen im Jahr 2014 für Furore gesorgt. Seine damalige Partei Ukip erreichte 27 Prozent der Stimmen und war dadurch am stärksten vertreten. Farage wird auch bei den kommenden Wahlen versuchen, viele Bürgerinnen und Bürger für sich zu begeistern und weiterhin seine EU-Hassbotschaften verbreiten.
Eine ungewisse Zukunft
Viele Parteien bereiten sich nun schon intern auf die anstehenden Wahlkampagnen vor. Die britische Premierministerin Theresa May versucht indes weiterhin, die Wahlteilnahme zu verhindern. Demnach sollen die Parteien Wahlkampagnen durchführen, ohne die Gewissheit, ob die Arbeit später nicht doch umsonst sein wird. Ein Spiel, welches nicht alle mitmachen möchten. Viele Briten und Britinnen sehen in der Europawahl eine Verschwendung von Geld und Zeit. Die Angst, der Brexit würde Großbritannien in den Ruin treiben, wird immer größer. Eine ungewisse Zukunft steht den Bürgerinnen und Bürgern des Vereinigten Königreiches bevor, denn niemand weiß, wie lange das Brexit-Chaos noch andauern wird. Besonders in den Reihen des Europäischen Parlamentes steht den Abgeordnetinnen und Abgeordneten eines ins Gesicht geschrieben: Fassungslosigkeit.