Für die Gesellschaft sind Freiräume von größter Bedeutung: Sie ermöglichen unter anderem das Meinungsrecht. Eine tragende Säule für die afrikanische Bürger und Bürgerinnen stellen zivilgesellschaftliche Organisationen dar. Unsere Redakteurin Jumoke Balogun traf sich mit Hannah Smidt vom GIGA-Institut und fragte, wie es zum Verschwinden zivilgesellschaftlicher Freiräume in Afrika kommt.
Zivilgesellschaftliche Organisationen prangern öffentlich Menschenrechtsverletzungen an, die von Regierungen zu verantworten sind. Deswegen werden sie häufig starken Kontrollen und Restriktionen unterworfen. Dr. Hannah Smidt, wissenschaftliche Mitarbeiterin am GIGA-Institut (German Institut of Global and Area Studies) in Hamburg, hat sich eingehend mit diesem Thema beschäftigt und eine Forschungsarbeit hierzu veröffentlicht. Als Referentin heißt sie die Eine-Welt-Landeskonferenz 2019 in Münster willkommen.
Frau Smidt, welchen Fragen widmet sich Ihre Forschung am GIGA?
Bei meiner Arbeit fokussiere ich mich auf zwei Hauptfragestellungen. Die erste hat weniger mit dem zu tun, was hier auf der Eine-Welt-Landeskonferenz besprochen wird. Es geht nämlich darum, ob UN-Friedensmissionen, die in Kriegsregionen stationiert sind, lokalen Akteuren helfen können, ein dauerhaftes, friedliches und gesellschaftliches Zusammenleben zu bewirken. Und wenn ja, wie die Friedensmissionen der UN das angehen.
Die zweite Fragestellung hat mehr mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zu tun. Da beschäftige ich mich damit, warum immer mehr Regierungen zivilgesellschaftliche Organisationen wie z.B. NGOs, aber auch lokale Vereine und Kooperativen, einschränken und welche Konsequenzen diese Beschränkungen auf zivilgesellschaftliches Engagement haben. Zum Beispiel können Regierungen sehr wirksam lokale und internationale Kritik ausschalten, indem sie zivilgesellschaftlichen Organisationen Einschränkungen auferlegen.
Wie schränken Regierungen zivilgesellschaftliche Organisationen ein?
Regierungen wenden verschiedene Politiken und Praktiken an. Zu den Maßnahmen gehören Gesetze, die es zivilgesellschaftlichen Organisationen unmöglich machen, Geld aus dem Ausland zu bekommen.
Dann gibt es eine ganze Reihe von Praktiken, durch die diese Organisationen in nationalen Medien als Agenten, Spione und Handlanger von internationalen Interessen verleumdet werden. Oder wo Demonstrationen aufgelöst werden, Polizeigewalt herrscht und Büros inklusive Telefonate überwacht werden.
Was wollen die Regierungen damit erreichen?
Diese Maßnahmen sollen dazu führen, dass Leute diesen Organisationen nicht mehr beitreten und dass die Glaubwürdigkeit von Zivilgesellschaft in der eigenen Bevölkerung in Frage gestellt wird.
Wie reagieren zivilgesellschaftliche Organisationen darauf?
2013 hat die Regierung von Kenia versucht, ein Gesetz zu erlassen, das Gelder aus dem Ausland, die die Zivilgesellschaft empfangen soll, auf einen Anteil von 15 % einzuschränken soll. Daraufhin fanden mehrere große Demonstrationen statt und zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich zu einer Koalition zusammengeschlossen. Außerdem haben sie Lobbyarbeit betrieben und Parlamentarier kontaktiert. Was sie mit ihren Gegenmaßnahmen und ihrem Einsatz am Ende erreicht haben, ist, dass dieses Gesetz im Parlament nicht verabschiedet wurde. Was aber auch zu sehen war, ist, dass bedrohte Aktivisten aus Kenia ausgewandert sind und einige der Organisationen, denen der Vereinsstatus aberkannt worden war, ihre Büros schließen mussten.
Kenia aber hat eine sehr starke und vielfältige Zivilgesellschaft, die starke Anpassungsstrategien für den Widerstand entwickelt. Immer mehr zivilgesellschaftliche Organisationen greifen auf soziale Medien zurück, um der nationalen Propaganda der Regierung entgegenzutreten und ihren Forderungen so Gehör zu verschaffen.
Wie schaffen es die Regierungen, diese Machenschaften zu rechtfertigen – trotz umfassender Kontrolle durch die UN oder der Unterzeichnung von Menschenrechtsverträgen?
Es gibt verschiedene Rechtfertigungsstrategien von Regierungen. Einmal rechtfertigen sich Regierungen damit, dass die nationale Souveränität zurückgewonnen werden muss und dass deswegen die Einmischung aus dem Ausland eingedämmt werden muss.
Eine andere Strategie, sich zu rechtfertigen, ist die Bekämpfung des Terrorismus. Kenianische Soldaten sind zum Beispiel im Kampf gegen die somalische Terrormiliz Al-Shabaab engagiert, da sich in Kenia auch der schwere Terroranschlag an der West-Gate-Mall ereignete. Die Regierung benutzt diesen Kampf gegen den Terrorismus als Rechtfertigung, um zivile Freiheiten einzuschränken und zu sagen „Wir müssen zivilgesellschaftliche Organisationen besser kontrollieren, weil diese Organisationen Terrorismus unterstützen“. Wenn Regierungen es geschafft haben, viele zivilgesellschaftliche Organisationen zum Aufgeben zu bewegen, wird es für diese schwieriger, gegen die Einschränkungen vorzugehen. Dadurch sind die Machenschaften der Regierungen weniger sichtbar und es bietet sich mehr Spielraum dafür, zivilgesellschaftliche Freiräume noch kleiner werden zu lassen.
Es hat natürlich auch eine abschreckende Wirkung, wenn Büros geschlossen werden müssen oder Aktivisten verhaftet werden.
Welche Folgen hat diese Entwicklung für die Zivilgesellschaft afrikanischer Staaten?
Was wir sehen, ist ein Rückgang von Protesten und unabhängigen Organisationen, die in den Ländern registriert sind. Wir sehen auch weniger internationale Berichte, die Menschenrechtsverletzungen von den Regierungen anklagen. Für Amnesty International und Human Rights Watch wird es schwieriger, lokale Partner zu finden, die unabhängig agieren können und auch die nötigen Ressourcen haben.
Die Folgen lassen sich noch nicht genau abschätzen, weil es momentan sehr wenig Studien dazu gibt. Ich glaube, dass wir dazu noch mehr Forschung betreiben und wachsam bleiben müssen.
Wie kommt es, dass zivilgesellschaftliche Freiräume sogar in demokratisch gewählten Nationen kleiner werden?
Es ist natürlich ein Paradoxum, dass Regierungen, welche von der Bevölkerung gewählt wurden, zivilgesellschaftliche Organisationen einschränken, die für die Bevölkerung sehr wichtig sind. Regierungen wollen an der Macht bleiben. Wenn es zivilgesellschaftliche Organisationen gibt, die Regierungen für ihr Fehlverhalten kritisieren, ist es auch für demokratische Staaten ein Anreiz, Akteure mundtot zu machen.
Wir leben in Zeiten der Digitalisierung: Welche Chancen bieten die sozialen Medien in betroffenen Ländern?
Soziale Medien können als alternatives Sprachroh wirken, wenn die Regierung nationale Medien für sich vereinnahmt hat. In dem Punkt sind soziale Medien sehr wichtig. Das haben wir unter anderem auch in Kenia gesehen. Was ich unter anderem im Senegal erlebt habe, ist, dass über soziale Medien Demonstrationen publik gemacht wurden.
Wann und wie begann Ihr Interesse an Politik, Forschung und für den afrikanischen Kontinent?
Ich habe Politikwissenschaft im Bachelor studiert und bin dann im Masterstudium für ein Jahr an die Johns-Hopkins-University in Baltimore gegangen. Dort habe ich einen Kurs zu Zivilgesellschaft in Afrika belegt. Im Anschluss habe ich ein dreimonatiges Praktikum bei der Friedrich-Ebert-Stiftung im Senegal in Dakar gemacht. Zu dieser Zeit hat sich eine soziale Bewegung aus Musikern und Studentenaktivisten gebildet. Während des Praktikums konnte ich Interviews mit diesen Aktivisten führen. Für mich war es sehr spannend zu sehen, wie die Zivilgesellschaft auf dem afrikanischen Kontinent trotz weniger Mittel eine große Mobilisation hervorrufen kann. So habe ich angefangen, mich für die Zivilgesellschaft in Afrika und für die Beziehungen zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Afrika und Deutschland zu interessieren.
Was gefällt Ihnen besonders an Ihrer Arbeit?
Viele Sachen! Ich arbeite zu wichtigen und relevanten Themen mit vielen intelligenten und interessierten Leuten zusammen. Alles in allem macht mir das sehr viel Spaß und deswegen bin ich gerne Forscherin.