Im Mittleren Osten spielen israelische und palästinensische Mädchen in einem Team gemeinsam Basketball, in Brasilien lernen Mädchen bei Fußballturnieren, wie sie ihre Rechte einfordern können. Auch in Deutschland wird der Sport für Integration und Gewaltprävention genutzt. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. folgte diesen Beispielen und initiierte zum Gedenken an den ersten Weltkrieg einen internationalen Austausch mit Jungfußballern.
Der 16. November 2018 ist ein besonderer Abend im Berliner Olympiapark-Amateurstadion. Zu den klassischen Stadionbesuchern und Stadionbesucherinnen stoßen an diesem Abend auch Teilnehmende der „Youth for Peace“-Konferenz. Auf dem Platz spielen die U17-Jugendteams der Vereine FC Liverpool und Hertha BSC in Gedenken an den Ersten Weltkrieg. Krieg, Frieden, Fußballspiel – wie passt das zusammen?
Um das zu verstehen, ist ein wenig geschichtliches Hintergrundwissen erforderlich: Im Dezember 1914 kam es zum berühmten Weihnachtsfrieden, einer nicht autorisierten Waffenruhe. Im Zuge dieser wurde nicht nur an der Westfront gesungen und es gab eine gemeinsame Messe, sondern es kam auch zu einer besonderen sportlichen Begegnung. Britische und deutsche Soldaten schossen statt mit der Pistole auch einmal mit dem Fuß und versammelten sich zu einem Freundschaftsspiel. Und auf einmal ging es um Teamgeist, es wurde gejubelt und man half sich nach Stürzen auf dem Rasen gegenseitig auf. Beim „Youth for Peace“-Event wurden nun die Elemente Gedenken und Frieden miteinander verbunden. Die intensiven Workshoptage, an denen die Jugendlichen über Erinnerungskultur diskutieren und konkrete Projekte für den Frieden entwickeln, werden mit einem abendlichen Rahmenprogramm abgeschlossen. Neben Kino und Karaoke gehört das Freundschaftsspiel dazu. Dabei entsteht die Frage, ob es beim Fußball wirklich friedlich zugeht.
Dass Frieden viele Facetten aufweist, haben die Jugendlichen bei „Youth for Peace“ schnell feststellen können. Einer der Aspekte ist das Nichtvorhandensein von Gewalt. Von dieser ist der Fußball, wenn die Spiele von emotional getriebenen Fan- und Hooliganzusammenkünften begleitet werden, nicht vollkommen getrennt. Ein anderer Aspekt, den die Jugendlichen herausgestellt haben, ist Patriotismus. Der Nationalstolz spielte auch im Jahr 1914 eine große Rolle und trug seinen Teil zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges bei. Wenn die damalige Lage auch nicht mit dem Jahr 2018 zu verwechseln gilt, so fiebern doch auch heute ganze Nationen mit ihren Mannschaften mit. „Klar, feuere ich da mein Nationalteam an“, antwortet der 23-jährige Ägypter John auf dir Frage, für wen er bei internationalen Sportturnieren die Daumen drücke. Nicht viel anders sieht es bei der 21-jährigen Milica aus Montenegro aus. Erst wenn die eigene Nationalmannschaft ausgeschieden sei, rutschen die Kriterien Leistung und Können in der Auswahl des Lieblingsteams nach oben.
Parallelen zum Krieg in Bezug auf Konkurrenz, und das Prinzip, das nur eine Seite gewinnen kann, gibt es folglich auch im Stadion. Zwar wird bei Mannschaftssportarten der Teamgeist hochgelobt, doch was dabei das Team am meisten zusammenschweißt, ist der gemeinsame Gegner, wie Hertha-Präsident Werner Gegenbauer kritisch anmerkt. Fraglich bleibe, ob dabei die patriotischen Gefühle stärker angeregt würden oder ob es gut sei, dass Bürgerinnen und Bürger sportliche Ereignisse dazu nutzen können, diese auszuleben und sie dann in anderen Bereichen nicht zu entfalten. Letzteres wäre ein klares Plus für internationale Wettkämpfe. Hinzu kämen die Grundsätze des „Fairplay“. Die sportliche Betätigung und die Regeln, auf die man sich einige, würden Toleranz, Respekt, Selbstvertrauen und Eigenverantwortung schaffen. Man spiele also nur vordergründig gegeneinander um den Sieg, im Gesamten jedoch gehe es um den gemeinsamen Spaß am Sport.
Diane Tempel-Bornett, Pressesprecherin vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, kann sich dem anschließen. Der Verein traut den Fußball sogar noch mehr zu: Sportliches Kräftemessen könne nicht nur den friedlichen Austausch fördern, sondern auch zur Erinnerungskultur beitragen. Im Zuge des Projekts Fußball und Gedenken finden mehrerer Begegnungen mit Nachwuchsfußballern aus Deutschland, England und Frankreich statt. Zudem besuchten die jungen Spieler mehrere Gedenkstätten in Europa und in Teilen der ehemaligen Sowjetunion. In einigen dieser Kriegsgräber liegen auch Fußballer begraben, die während des Ersten Weltkrieges ums Leben kamen, und deren Biografien Mitglieder der Vereine Hertha BSC und Schalke04 im Zuge des Projekts genauer unter die Lupe nahmen. Die Ergebnisse wurden bei der Zentralen Gedenkveranstaltung zum deutschen Volkstrauertag dem Deutschen Bundestag vorgetragen.
Dass die Fußballbegegnung Herta BSC – FC Liverpool auch bei den Teilnehmenden von „Youth for Peace“ auf Begeisterung stößt, lässt sich am nächsten Tag noch feststellen. „I really liked the match. In my opinion sport unites people”, kommentiert die 20-jährige Jelena aus Usbekistan, die in Deutschland studiert. „I did like it even though I don’t like football. I even don’t know the outcome of the game and who scored how many goals. I am only interested in the symbolic meaning of this event”, sagt Milica. “It was too cold”, erzählt John. Und doch hat es ihm an dem kalten Novemberfreitag gefallen: “It was interesting. In sports it is not necessary to speak the same language. It brings people from different countries together who all identify themselves with the same passion for sports.”
Sportereignisse für den Frieden
Mit Fußballereignissen wird aber nicht nur erinnert, sondern auch zum Handeln aufgerufen. So veranstaltet beispielsweise die Hilfsorganisation Plan international an mehreren Orten Deutschlands regelmäßig unter dem Slogan „Fußball macht Mädchen stark„-Sporttage, um für die Unterstützung von Mädchen in Entwicklungsländern zu werben. Auch vor Ort in Brasilien und einigen Ländern des afrikanischen Kontinents führt die Hilfsorganisation Workshops durch, in denen Mädchen lernen, für ihre Rechte einzutreten – und das alles begleitet von passionierten Fußballturnieren.
Erweitern wir den Blickwinkel auf andere Sportarten, so stoßen wir schnell auf Nelson Mandela „Sport hat die Kraft, die Welt zu verändern. Er hat die Kraft, Menschen zu vereinen, wie es sonst nur Weniges kann“. Kein Wunder, dass er es sich zum Ziel setzte, die Football-Mannschaft Südafrikas zum Weltmeister zu machen. In Bezug auf Gewaltprävention und kulturellen Austausch setzen sich ebenfalls zahlreiche Vereine, wie der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) in Kooperation mit Engagement Global ein. Das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) fördert seit 1963 sportliche Ereignisse. 500.000 Sportlerinnen und Sportler wurden seitdem unterstützt . Dabei unterstützen sie die Interessierten besonders bei der Organisation und Durchführung von deutsch-französischen Veranstaltungen. Das DFJW versteht Sport als Feld interkulturellen Lernens: Sport als gemeinsamer Ausgangpunkt für die Entdeckung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, für die Bestätigung und Widerlegung von Klischees und für das Schließen von Freundschaften. „Sport verbindet, das ist keine Floskel. Denn Sport, vor allem Fußball, kann man nur mit anderen betreiben, man braucht Partner und trägt den Wettkampf friedlich aus“, äußert in diesem Sinne auch Hertha-Präsident Werner Gegenbauer.
Ein Spiel, bei dem alle gewinnen
Nach dem Schlusspfiff verlässt die englische Mannschaft als „Torsieger“ den Platz. Doch am Ende dürfen alle mit einem Gewinn nach Hause gehen. Denn bevor es in die Umkleidekabinen geht, bekommen alle Mitspielern, egal in welchem Trikot sie stecken, die Medaille des „Football Remembers“-Erinnerungsprojekts durch einen Vertreter der Premier League um den Hals gehängt.