Nachdem das polnische Holocaust-Gesetz nicht nur die ganze Nation, sondern auch außerhalb des Landes polarisiert hat, wurde es kürzlich ein Stück weit durch das nationale Parlament entschärft. Ein Kommentar von Jasmin.
Es stimmt: Polens Rolle während des zweiten Weltkriegs lässt sich nicht mit der Deutschlands vergleichen. Ebenfalls wahr ist, dass es sich bei den Konzentrationslagern nicht um polnische Konzentrationslager handelte, sondern lediglich um deutsche Konzentrationslager auf polnischem Grund. Und die dritte Wahrheit ist, dass der einzig richtige Weg für einen mehrseitigen Diskurs sein kann, weiterhin über dieses Gesetz zu kommunizieren anstatt nicht mehr davon zu sprechen.
Zweiter Weltkrieg: Polen und Deutschland – weiß und schwarz.
Polen ist von Deutschland besetzt. Deutsche Konzentrationslager werden auf polnischem Grund errichtet. Viele Polen leiden unter Nazi-Deutschland. Viele Polen werden zu Helden, indem sie Juden helfen.
2018: Polen und Deutschland. Nicht mehr weiss und schwarz, aber grau.
In Deutschland gibt es ein Gesetz, das das Leugnen des Holocausts verbietet. Es ist ein Eingriff in die Meinungsfreiheit, der in Deutschland akzeptiert wird, um die Wahrheit über deutsche Verbrechen nicht zu verschleiern.
In Polen gibt es derweil ein Gesetz, welches die gesagten Wahrheiten kontrollieren soll. Es ist dementsprechend auch ein Eingriff in die Meinungsäußerung. Kann man die beiden Gesetze also gleichsetzen? Nein.
Dass auch Polen der jüdischen Bevölkerung Leid angetan haben, wird bis heute verschwiegen. Und das, obwohl Forscher, unter anderem Jan Gross, in den letzten Jahrzehnten Polens Geschichte neu aufgearbeitet und genau das herausgearbeitet haben.
Jedoch sieht sich die polnische Regierung nach wie vor lieber ausschließlich als Opfer der Nationalsozialisten.
Eine weitere Chance für die polnische Regierung, um an ihrer Opferrolle festhalten, bot sich 2012, als der ehemalige US-Präsident Barack Obama in einer Rede von polnischen Konzentrationslagern spricht. Es ist der Startschuss für eine Diskussion, dessen Resultat im wahrsten Sinne des Wortes geschichtsverändernd ist. Eine Diskussion über Sprache, Interpretation und Emotionen auf internationaler Ebene. Eine Diskussion an dessen Ende sogar Israel hinter Polen steht, für einen Gesetzesentwurf der besagt, dass die Konzentrationslager auf polnischem Grund keine polnischen Konzentrationslager sind.
Einige Zeit später ist das Gesetz dank einer neuen Regierung, nicht mehr das, was es einst sein sollte. Es wird nicht nur bestraft, wer von polnischen Vernichtungslagern spricht, sondern auch, wer faktenwidrig der polnischen Nation die Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen zuschreibt, die von Deutschland begangen wurden.
Der eigentliche Sinn des Gesetzes, Polens Rolle in der Zeit der Besetzung richtig zu stellen, ging verloren. Zurück blieb ein Gesetz, das freie Äußerungen über den zweiten Weltkrieg nicht nur kontrollierte, sondern einschränkte. Zurück blieb ein Gesetz, das freie Meinungsäußerung strafrechtlich verfolgte.
Zum Holocaust sollte es niemals ein Gesetz geben, das die Aussagen oder Faktenlage zu diesen Gräueltaten verändert oder kontrolliert. Dieses Kapitel ist für viele Nationen ein dunkles Kapitel. Am dunkelsten für die Deutschen, keine Frage.
Aber auch die polnische Bevölkerung hat die jüdische Bevölkerung verfolgt und ausgeliefert. Und das unter den Teppich zu kehren, ist mehr als falsch. Wenn man zu etwas stehen muss, dann zur Geschichte und zur eigenen Schuld. Nur dadurch können wir uns in der Zukunft weiterentwickeln. Nur dadurch, dass wir etwas laut aussprechen, können wir es verändern. So ein Gesetz ist eine Herabwürdigung der Opfer des Holocausts und dessen, was in ganz Europa passiert ist. Niemals sollten Teile der Geschichte verschwiegen werden. Ganz besonders nicht, um die eigene Schuld zu ignorieren und sich selbst in einem positiven Licht und ausschliesslich in einer Opferrolle darzustellen.
27. Juni 2018: Polen mildert das Holocaust Gesetz ab.
Nachdem Kritik aus dem Ausland kam und die Beziehungen zwischen Polen und Israel sowie Polen und den USA gelitten haben, mildert die polnische Regierung das Gesetz nun ab. Es soll nicht mehr als Straftat verfolgt werden, wenn dem polnischen Volk wahrheitswidrig eine Schuld oder Mitschuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten unterstellt wird. Weiterhin soll aber die Möglichkeit erhalten bleiben, mit zivilrechtlichen Mitteln gegen Darstellungen auch in ausländischen Medien vorzugehen.
Hiermit reagiert Polen auf die breite Kritik und macht einen entscheidenden Schritt zurück in die Richtung des ersten Gesetzesentwurfes.
Ein Gesetzesentwurf, der wichtig ist. Es waren deutsche Vernichtungslager. Deutsche Vernichtungslager auf polnischem Grund und keine polnischen. Dass dies auch in der Öffentlichkeit so dargestellt wird, ist wirklich wichtig.
Genauso wichtig ist, dass die Verbrechen an Juden, egal von welchem Land, laut ausgesprochen werden können. Dass Holocaust Überlebende ihre Erfahrungen mitteilen können, ohne eine rechtliche Strafverfolgung befürchten zu müssen.
Die Abmilderung des Gesetzes ist nun also ein Schritt in die richtige Richtung. Denn nur durch Geschichte kann gelernt werden. Nur durch die Geschichte, kann sich eine Nation auch weiterentwickeln.
Es ist nun mal nicht schwarz oder weiß. Es ist grau. Tiefgrau, aber es ist unsere Entscheidung, ob wir in Zukunft in eine schwarze oder weiße Richtung gehen wollen. Das sollten nicht nur unsere Politiker und Politikerinnen, sondern jede Einzelne und jeder Einzelne von uns im Kopf behalten. Dass wir grau sind ist sogar gut. Die Schattierung ist entscheidend.