In Deutschland gibt es mehr als vierzig Parteien. Ein paar der kleineren Parteien hat sich die politikorange-Redaktion näher Angeschaut. Linda Göttner hat mit der Julia Beerhold von „Demokratie in Bewegung“ über ihre Partei gesprochen.
Gründung: Die „Demokratie in Bewegung“ (DiB) gründete sich am 29. April 2017. Voraussetzung für die Gründung der Partei war eine Stimmenanzahl von 100 000 bei einer Onlineabstimmung. Nachdem dies erreicht war, wurde die Partei sowie die 16 Landesverbände binnen weniger Wochen gegründet.
Philosophie: Die Partei setzt sich für mehr demokratische Teilhabe und politische Transparenz ein. Dabei verfolgt sie auch direktdemokratische Methoden, um die Hürden für Bürgerentscheide abzubauen. Auch soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Vielfalt sind Grundsatzthemen der Partei.
Mitgliederanzahl: 237 (Stand: 23. August 2017)
Ergebnis der letzten Bundestagswahlen: –
Vorsitzende: Julia Beerhold ist hauptberufliche Schauspielerin und seit 2017 Vorsitzende der „Demokratie in Bewegung“. Für die Bundestagswahl 2017 kandidiert sie in Nordrhein Westfalen.
Im Interview war die Bundesvorsitzende der Partei Julia Beerhold.
Warum lohnt es sich für Sie, in einer Partei aktiv zu sein, die voraussichtlich 2017 nicht in den Bundestag eintreten wird?
Wer sagt denn, dass wir nicht doch in den Bundestag kommen? Seit der Wahl-O-Mat online ist, geht es bei uns durch die Decke. Wenn nur ein Teil der Menschen, bei denen die DiB an erster Stelle erscheint, uns auch wählt – das wäre eine Sensation und dann wären wir im Bundestag!
Aber völlig unabhängig von den Wahlergebnissen lohnt es sich für mich, bei DiB zu sein, weil mich die Menschen und das Konzept überzeugen. Ich war selbst skeptisch, überhaupt eine neue Partei zu gründen. Aber ich habe mit vielen Menschen über ihre Gründe gesprochen, nicht zu wählen. Ein Hauptargument war, dass man ein Wahlprogramm nicht beeinflussen kann. Dieses Argument entkräftet die DiB auf eine sehr kluge Art. Denn bei dieser Partei können alle, ob Mitglied oder nicht, ein Thema einbringen. Findet es genügend Mitstreiter*innen, wird darüber abgestimmt und so kann es Teil des Wahlprogramms werden. Die DiB ist so etwas wie ein kontinuierlicher, offener Parteitag. Wo es eher um das Zuhören und Verstehen geht, als ums Zutexten.
Warum sind Sie in einer kleinen Partei aktiv, statt in eine große einzutreten und diese auf den Kopf zu stellen?
Ich wollte in die Politik, um mich politisch zu beteiligen, und nicht, um eine große Partei auf den Kopf zu stellen. Ich glaube, es ist sehr viel schwieriger, von innen heraus Impulse zu geben als von außen. Das spiegeln auch die Mitglieder der großen Parteien, in denen sich Strukturen verhärtet haben. Genauso wie es die Grünen vor 30 Jahren geschafft haben, das Thema Ökologie und Nachhaltigkeit in alle Parteien und in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, glaube ich, dass wir es schaffen können, Impulse für die Themen Transparenz, Entflechtung von Wirtschaft und Politik und demokratische Teilhabe zu setzen.
Was halten Sie von der fünf Prozent Hürde?
Ich finde sie wichtig, damit wir nicht die Verhältnisse der Weimarer Republik wiederbeleben. Aber es bleibt die Frage, ob vielleicht auch eine drei Prozent Hürde reichen würde.Ich finde es grundsätzlich richtig, dass auch die Hürden für Parteigründungen relativ hoch sind, auch in formaler und bürokratischer Hinsicht. Dadurch wird die Parteienlandschaft nicht zu sehr zersplittert. Kurz: Auch, wenn es uns das Leben erst einmal schwer macht, hat es wichtige Gründe.
Angenommen, Ihre Partei kommt in den Bundestag: Mit welchen Parteien könnten Sie sich eine Koalition vorstellen?
Aus meinem Gespür heraus würde ich sagen, dass viele Koalitionen mit Parteien möglich wären, die unsere Grundwerte achten. Einer unserer wichtigsten Grundwerte ist Vielfalt. Deshalb sind wir auch die Partei, die am weitesten entfernt ist von der AfD. Daher würden wir in einer Koalition vor allem darauf achten, ob die Partei sich ebenfalls den Wert Vielfalt auf die Fahnen geschrieben hat. (Ergänzung – da ich mich daran erinnere, das auch so oder ähnlich gesagt zu haben -: Aber das ist eine Frage, die unbedingt von allen diskutiert werden müsste.) Bei uns geht es ja gerade darum, dass nicht einzelne Personen losgelöst entscheiden, sondern dass die wichtigen Entscheidungen von den Bewegerinnen und Bewegern gefällt werden. Bei einer Koalition dürfen wir uns von diesem Prinzip nicht entfernen.
Von der Parteigründung bis zur Bundestagswahl 2017 blieb Ihnen nur wenig Zeit, das Programm zu formulieren und die Partei personell aufzustellen. Welche Hürden sind Ihnen begegnet?
Alles, was man sich vorstellen kann. Wir haben gesagt, wenn mindestens 100.000 Leute unser Vorhaben als sinnvoll erachten, dann gründen wir uns als Partei. Es fanden 100.000 Leute sinnvoll und dann mussten wir es natürlich umsetzen. Erst einmal ist es unfassbar schwierig, was man bürokratisch erledigen muss. Wir haben die Partei und alle 16 Landesverbände innerhalb weniger Wochen gegründet.
Die nächste Hürde war, die Unterschriften zu sammeln. In Nordrhein-Westfalen benötigten wir beispielsweise 2000 Unterstützerunterschriften. Es ist natürlich schwierig, mit einer völlig unbekannten Partei, von der noch nie jemand gehört hat, so viele Leute zu überzeugen, ihre persönlichen Daten herauszugeben, und zwar sofort. Jetzt stehen wir bei 74 Prozent der Wahlberechtigten auf dem Stimmzettel.
Die nächste Hürde war, nicht selbst ein Parteiprogramm zu schreiben. Die Idee ist ja gerade, dies auf Basis von Initiativen zu tun. Dabei wollen wir Lösungen, die wirklich alle zufrieden stellen. Wir nutzen dazu die Methode des systemischen Konsensierens, die herausfindet, wie groß der Widerstand gegen einen Vorschlag ist. Das braucht natürlich Zeit, was uns allen bewusst ist. Umso verrückter, dass wir innerhalb von knapp vier Wochen ein wirklich beachtliches Wahlprogramm erstellen konnten. Die Initiativen dafür kamen von allen möglichen Menschen und gingen dann in den Diskussions- und Abstimmungsprozess. Die letzte Hürde bis jetzt war der Bundesparteitag. Denn laut Parteiengesetz dürfen nicht die Bewegerinnen und Beweger Beschlüsse fassen, wie wir es eigentlich gerne gemacht hätten. Das darf nur der Bundesparteitag als höchstes Organ.
Das Initiativprinzip ermöglicht, dass jeder Ideen in das Parteiprogramm einbringen kann, auch wenn er nicht Mitglied ist. Ist es so schwieriger, Ihren Grundsätzen treu zu bleiben?
Ich habe gute Erfahrungen gemacht, weil sich Menschen einbringen, die sich sonst nicht engagieren würden. Zum Beispiel Leute, die in ihren Berufen der Neutralität verpflichtet sind, aber als Privatperson natürlich auch Ideen haben und sich nicht trauen oder sich vielleicht gar nicht für qualifiziert halten. Ich finde es sehr wichtig, dass wir keine elitäre Partei sind, mit nur super gebildeten Mitgliedern. Sondern im Gegenteil: Vielfalt heißt auch, dass die Gesellschaft wirklich so abgebildet wird, wie sie ist. Es ist toll, dass sich hier unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zusammenfinden.
Ist es manchmal schwieriger, seinen Grundsätzen treu zu bleiben, wenn so viele Ideen eingebracht werden können?
Nein, denn unsere Grundwerte sind unveräußerlich. Wir orientieren uns an den Nachhaltigkeitszielen der UN und an den Menschenrechten. Wir hatten zum Beispiel Initiativen diskutiert und abgestimmt und dann ist uns aufgefallen, dass zwei dieser Initiativen gegen den Grundwert Vielfalt verstießen. Dann haben wir die Initiativen zurück in die Gruppe gegeben und gefragt, wie wir damit umgehen wollen. Ich hatte erst Angst, dass ein Shitstorm kommt. Aber es wurde uns gedankt, dass wir darauf geachtet haben. Die Initiativen werden überarbeitet und können beim Bundesparteitag im November vielleicht einfließen. Die Grundsätze haben dementsprechend absolute Priorität, sonst würde es nicht funktionieren. Wir wollen ja gerade eine kluge Beteiligung etablieren und nicht nur eine Ja- oder Nein-Wahl. Komplexe Zusammenhänge brauchen eben Zeit und auch neue Wege. Sei es der Weg, wie die Homoehe verabschiedet wurde oder sei es über das Initiativprinzip in Kombination mit den Grundwerten. Aber so paradox es ist: Regeln ermöglichen Freiheit. Und unsere Grundwerte ermöglichen den Menschen Freiheit, die sonst nicht gehört würden.
Sie haben sich für eine Quote von 25 Prozent entschieden, die die interne Vielfalt der Partei sichern soll. Wie haben Sie die Zahl 25 festgelegt und wie definieren Sie diese Gruppe ohne den Rest zu diskriminieren?
Das ist sozusagen noch work in progress. Wir hätten sogar gerne noch mehr Quoten. Das ist ein Anfang und ein Zeichen. Diese Quote soll Menschen fördern, die wegen ihrer Herkunft, Hautfarbe, einer Behinderung oder sexuellen Identität oder Orientierung benachteiligt sind. Das trifft zwar auf viele Menschen zu, dennoch tauchen sie in Machtpostionen eher nicht auf. Ich würde gerne mehr Menschen aus diesen Bereichen für uns gewinnen, auch wenn sie nicht an exponierter Stelle sein möchten, weil sie zum Beispiel rassistische Übergriffe fürchten.
Auch für Frauen haben wir eine Quote von 50 Prozent. Frauen sind einfach noch viel mehr in der Sorgearbeit eingebunden als Männer und haben daher oft einfach weniger Zeit und fühlen sich oft auch weniger kompetent. Wir haben 1.000 Jahre Patriarchat hinter uns und drei Sekunden Gleichstellung. Eine Quote allein reicht eigentlich auch nicht. Wir wollen bewusster mit Formen von Diskriminierung umgehen. Wir hätten auch gerne viel mehr “people of colour” und brauchen diese auch ganz dringend. Aber ich verstehe, dass viele Menschen sich eben nicht rassistischen Angriffen aussetzen oder sich auf das Thema reduzieren lassen wollen. Hautfarbe ist eben auch nur ein Konstrukt und nur eine Facette unseres Seins.
Wie haben Sie die Zahl 25 Prozent festgelegt?
Wir haben lange darüber diskutiert. Zunächst haben wir gesagt, ein Viertel klingt erst einmal gut. Die Menschen können ja auch selber entscheiden, ob sie sich so einer Gruppe zugehörig fühlen möchten oder nicht. Wir zwingen keinen. Aber beispielsweise wäre ich in Nordrhein-Westfalen eigentlich auf den Listenplatz drei gekommen. Jedoch haben wir lieber einen schwulen Mann auf diesen Platz gebeten, um hier auch die Quote Vielfalt zu leben und nicht nur die Frauenquote. Das ist alles noch neu und ein Versuch. Aber ich glaube, dass es ein ganz vielversprechender Versuch ist. Vielleicht sagen wir demnächst auch 30 Prozent oder eine andere Zahl für Vielfalt. Nur die Quote von 50 Prozent für Frauen wird sich nicht verändern, denn wir sind nun mal die Hälfte der Bevölkerung.
Warum fordern Sie eine bundesweite Bildungspolitik statt einer länderspezifischen?
Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Gesellschaft sehr viel mobiler geworden ist. Menschen ziehen oft um, nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch weltweit. Doch schon innerhalb Deutschlands wird die Biografie von jungen Menschen unfassbar schwierig, wenn sie einen Schulwechsel zwischen verschiedenen Bundesländern haben. Auch die Vergleichbarkeit der Leistung muss realistischer werden.
Was erwarten Sie von der nächsten Bundestagswahl?
Mein großer Wunsch ist es, dass es eine sehr hohe Wahlbeteiligung gibt. Mein zweiter Wunsch ist, dass die Menschen nicht die Ausgrenzung, den Hass und die Hetze wählen. Außerdem wünsche ich mir, dass die Menschen so wählen, dass es auch für nachfolgende Generationen eine kluge Wahl ist. Ich teile die Leute mittlerweile selbst schon in zwei Lager. Es gibt die, die sich immer zu kurz gekommen fühlen und das sind lustigerweise oft gar nicht die, die wirklich zu kurz kommen. Und dann gibt es die empathischen, altruistischen, die denken, dass wir alle auf einer Welt sind und schauen müssen, wie wir alle auf dieser Welt gemeinsam leben können. Und wie wir die Welt so behandeln können, dass es sie morgen noch gibt. Ich wünsche mir einfach, dass viele Wähler*innen sich für diese Seite entscheiden.