Über 35.000 unbegleitete Minderjährige sind im Jahr 2016 nach Deutschland gekommen. Nach einer schweren und traumatisierenden Flucht sind sie auf besondere Betreuung angewiesen. Ein Weg diesen jungen Menschen zu helfen ist die ehrenamtliche Vormundschaft. Lynn hat sich mit einem Vormund und seinem Schützling über ihre Erlebnisse unterhalten.
Helmut Wende, pensionierter Kapitän, wirkt selbstsicher und bodenständig. Ein Mann, der weiß, was er will und keine Angst hat, das auch zu sagen. Jemand, der sich bereit erklärt, mit anzupacken. Seit einiger Zeit ist er ehrenamtlicher Vormund für den Geflüchteten Younis Twaha. Auf dem 16. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag erzählen die beiden von ihren Erfahrungen.
Im Rahmen einer Fachveranstaltung klären Wolfgang Rüting vom Kreisjugendamt Warendorf und Prof. Dr. Sigrid Bathke vom Institut für soziale Arbeit e.V. über ehrenamtliche Vormundschaften auf. Ein ehrenamtlicher Vormund erklärt sich bereit, seinen Schützling vor allem bei administrativen Pflichten zu unterstützen. Er nimmt den Jugendlichen zwar nicht in seinem Zuhause auf, verbringt jedoch mindestens einmal im Monat Zeit mit ihm. Wie genau die Beziehung sich dabei entwickelt, hängt von dem Vormund und seinem Schützling ab.
„Darf ich Vater zu dir sagen?“
Herr Wende erfuhr von ehrenamtlichen Vormundschaften durch eine Zeitungsanzeige des Jugendamts. Er absolvierte eine Schulung und lernte am 1. April 2016 Younis kennen, einen mittlerweile 16-jährigen Geflüchteten, der vor knapp anderthalb Jahren unbegleitet aus Afghanistan nach Deutschland gekommen ist. „Hab‘ gedacht, den besuchst du einmal alle zwei Wochen, guckst mal nach dem Rechten. Und wenn er ganz top ist, darf er auch mal zum Kaffee kommen.“, so die Anfangseinstellung von Herrn Wende. Doch es kam anders: „Der ist jetzt wie ein Sohn für uns.“ Trotz der engen Bindung gibt es auch viele Sorgen: Wird Younis seinen Hauptschulabschluss schaffen? Wie kann er den ersehnten Kontakt zu seiner Familie in Afghanistan herstellen?
Der Anfang in Deutschland war für Younis nicht einfach. Er kam ganz alleine in ein Land, dessen Sprache er nicht beherrschte und dessen Kultur er nicht verstand. Er hat bis heute keinen Kontakt zu seinen Eltern. Die aktuelle Telefonnummer kennt er nicht, Briefkontakt könnte seine Familie im von den Taliban beherrschten Gebiet in Schwierigkeiten bringen. Wie sehr er sie vermisst, machte sich schon beim ersten Treffen mit Herrn Wende bemerkbar: „Wir waren einkaufen und auf der Rückfahrt fragte er: ˛Darf ich Vater zu dir sagen?‘ Das hat mich dann schon bisschen berührt. Meine Frau redet er mit ˛more‘, was Paschtu für ˛Mutter‘ ist, an. Und das war schon ein schönes Erlebnis.“, berichtet Herr Wende. Aus der Anfangszeit erzählt er ein weiteres prägendes Ereignis: „Younis hatte einen Schub, psychische Probleme, mitten in der Nacht, und obwohl Tag und Nacht eine Aufsicht in dieser Unterkunft ist, bestand er darauf, zu uns zu kommen. Was für uns ein Zeichen war, dass er zu uns mehr Vertrauen hat, als zu der Einrichtung.“
Frei von Stressmachern
Aus Herrn Wendes‘ Erzählungen klingen oft Unzufriedenheit mit Younis‘ Unterkunft und seiner Schule heraus. Laut Herrn Wendes verwalten die Sozialpädagogen die Kinder und Jugendlichen statt sie zu betreuen. Zudem gibt es bürokratische Hindernisse – vor allem bezüglich der Bildung.
Für Younis besteht Schulpflicht. Er besucht die internationale Schule, nimmt aber auch am regulären Unterricht mit Gleichaltrigen teil. Trotz seiner sehr guten Deutschkenntnisse versteht er kaum etwas, da ihm zum Teil das nötige Wissen fehlt. In Afghanistan konnte er nur die „Talibanschule“ besuchen, die ein sehr einseitiges Schulprogramm lehrt. Fächer wie Physik, Biologie und Englisch sind neu für ihn. Es ist jedoch aufgrund der Schulpflicht auch nicht möglich, dass er Privatunterricht von Herrn Wende erhält.
Die Unterstützung von Herrn Wende und seiner Familie ist ein großes Glück für Younis. Sie setzen sich nicht nur dafür ein, dass er den Hauptschulabschluss schafft und danach eine Lehre anfangen kann. Sie unterstützen ebenso seine Hobbys Tennis und Kricket. In den Vereinen trifft er auch außerhalb der Schule auf Gleichaltrige, die seine Interessen teilen.
An Deutschland gefällt ihm, dass es keinen Krieg gibt – keine „Stressmacher“, wie er sagt. Seine Familie fehlt ihm sehr. Doch es hilft ihm, dass er mithilfe des Jugendamtes eine zweite Familie gefunden hat, die ein offenes Ohr für seine Sorgen und Probleme hat. Auch nach der Volljährigkeit möchte er weiterhin Zeit mit Herrn Wende und seiner Familie verbringen. Auch für Herrn Wende ist der Kontakt zu Younis eine Bereicherung. Für ihn ist klar: „Ehrenamt lohnt sich.“
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Capt. Helmut Wende was my captain when I was a merchant marine cadet on board M.V. Sunny Danielle in 1978. He is a very good man and a very good teacher. I learned a lot from him. I also met his mom when she boarded our ship in Venice, Italy that same year. They are a wonderful family. More power to you Capt Wende.